11.10.2023 -

Ablehnung der stufenweisen Wiedereingliederung eines schwerbehinderten Beschäftigten: Schadensersatz?

Das LAG Rheinland-Pfalz hat klargestellt, dass der Anspruch auf Zustimmung zu einem Wiedereingliederungsplan nicht uneingeschränkt und immer gilt.
Arbeitgebern sollten bei schwerbehinderten Menschen eine stufenweise Wiedereingliederung nicht vollständig abzulehnen, sondern an der Gewinnung von Erkenntnissen mitwirken (credits:adobestock).

Die stufenweise Wiedereingliederung von Mitarbeitern (sog. Hamburger Modell) ist grundsätzlich eine freiwillige Vereinbarung. Ein Anspruch auf Durchführung einer solchen Wiedereingliederungsmaßnahme besteht nicht. Anders ist dies aber bei schwerbehinderten Menschen. Diese haben wegen der besonderen Schutzvorschriften nach dem SGB IX einen Anspruch auf Zustimmung zu einem Wiedereingliederungsplan. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat jetzt klargestellt, dass dieser Anspruch nicht uneingeschränkt und immer gilt. Vielmehr besteht auch auf Seiten des Arbeitnehmers eine Mitwirkungspflicht, damit der Arbeitgeber Kenntnisse über die mögliche vertragsgemäße Beschäftigung erlangen kann (LAG Rheinland-Pfalz v. 30.5.2022, 3 Sa 208/21).

Die Entscheidung enthält wichtige Hinweise für die Praxis und soll daher hier besprochen werden. Wir beschränken uns auf die Kernaussagen des sehr ausführlich begründeten Urteils.

Der Fall (verkürzt):

Die Klägerin ist bei dem beklagten Land bereits seit 1984 als Labormitarbeiterin beschäftigt. Aufgrund einer beruflich bedingten Krebserkrankung war sie arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin ist als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt.

Am 19. März 2018 informierte die Klägerin ihren Arbeitgeber über den Abschluss einer Rehamaßnahme. Sie wurde als arbeitsunfähig entlassen und legte auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor.

Der Arbeitgeber bat daraufhin im April 2018 das zuständige Gesundheitsamt um eine Stellungnahme. Das Gesundheitsamt sollte amtsärztlich prüfen, wann mit einer Wiederaufnahme der Arbeit zu rechnen sei und insbesondere, ob die Klägerin wieder im Labor arbeiten dürfe und ggf. unter welchen Bedingungen.

Den anberaumten Termin beim Gesundheitsamt am 7. Juni 2018 lehnte die Klägerin mit der Begründung ab, dass sie arbeitsunfähig sei und sich nicht begutachten lassen müsse. Gleichzeitig kündigte sie dem beklagten Land an, dass sie einen Plan zur Wiedereingliederung vorlegen und um einen leidensgerechten Arbeitsplatz bitten werde.

Das Gesundheitsamt bestimmte einen neuen Termin zur amtsärztlichen Untersuchung auf den 15. Juni 2018, den die Klägerin wiederrum ablehnte. Die Klägerin antwortete wie folgt:

„Zwischenzeitlich müsste Sie aber mein Wiedereingliederungsplan erreicht haben. Darin ist in Abstimmung meinen behandelnden Ärzten genau beschrieben, wann und unter welchen Bedingungen ich meine Arbeit wieder aufnehmen kann.

Ich möchte Sie deshalb nochmal bitten, mir ab dem 19.06.2018 einen entsprechenden Arbeitsplatz für 3 Stunden zur Verfügung zu stellen.

Rechtliche Vorschriften stehen uns dabei überhaupt nicht im Wege, denn nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr.1 SGB IX haben schwerbehinderte Beschäftigte einen Rechtsanspruch auf stufenweise Wiedereingliederung. Ich werde mich deshalb am Morgen des 19.06.2018 im I. X. zur Arbeitsaufnahme einfinden

Aus sachlichen Gründen ist deshalb eine Untersuchung durch den Amtsarzt überhaupt nicht mehr notwendig. Aus rechtlichen Gründen ist diese zurzeit auch gar nicht möglich, denn ich befinde mich im Krankenstand.

Im Krankenstand ruhen nämlich die Hauptpflichten des Arbeitnehmers, d.h. ein Vollzug des TV-L ist zur Zeit überhaupt nicht möglich.

Ich bitte daher Verständnis, dass ich mir eine amtsärztliche Untersuchung, für die ja weder die sachlichen noch die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind und die mich außerdem psychisch sehr stark belasten würde, ersparen möchte, um meinen Heilungsverlauf nicht zu gefährden, denn ich merke schon, wie alleine die Ankündigung dieser Untersuchung mich gesundheitlich schon wieder herunterzieht.“.

Die Klägerin beantragte dann schriftlich eine stufenweise Wiedereingliederung ab dem 19. Juni 2018 und legte einen Wiedereingliederungsplan vor. Dieser enthielt die Angaben, die Klägerin für die Zeit vom 19. Juni 2018 bis zum 13. Juli 2018 mit drei Stunden täglich „Schreibtischarbeit ohne Chemie; 3 Tag/Wo.“ einzusetzen.

Nach dem Wiedereingliederungsplan war die Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit nach Abschluss der Wiedereingliederung nicht absehbar. Der Arbeitgeber übersandte den Wiedereingliederungsplan dem Gesundheitsamt und forderte die Klägerin auf, auch zu einem neu anberaumten Termin im Gesundheitsamt am 17. Juni 2018 zu erscheinen. Die Klägerin weigerte sich erneut, diesen Termin wahrzunehmen. Aus diesem Grund lehnte das beklagte Land die Durchführung des Wiedereingliederungsplanes zu dem vorgesehenen Zeitpunkt „derzeit“ ab.

Die Klägerin machte einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 4.450,50 € geltend. Sie wies darauf hin, dass bei rechtzeitigem Antritt der Wiedereingliederung, wie beantragt, ab 19. Juni 2018 mit einer wieder eintretenden Arbeitsfähigkeit hätte gerechnet werden können. Dann hätte sie auch Arbeitsentgelt verdienen können.

Das Arbeitsgericht Trier hat den Arbeitgeber zur Zahlung des Betrages in Höhe von 4.450,50 € nebst Zinsen verurteilt.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung aufgehoben und den Anspruch abgelehnt.

I. Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung bei Schwerbehinderten

Bei einem Wiedereingliederungsverhältnis handelt es sich um ein Vertragsverhältnis eigener Art. Zu der Begründung eines solchen Wiedereingliederungsverhältnisses bedarf es stets der Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Im Grundsatz gilt zwar für beide Seiten das Prinzip der Freiwilligkeit, so dass ein Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, einem Hamburger Modell zuzustimmen. Etwas anderes gilt aber bei schwerbehinderten Beschäftigten. Bei diesen ist der Arbeitgeber regelmäßig verpflichtet, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben mitzuwirken und eine schwerbehinderte Person entsprechend den Angaben im ärztlichen Wiedereingliederungsplan zu beschäftigen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

Auch die krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung schließt einen Beschäftigungsanspruch im Rahmen einer Wiedereingliederung nicht aus. Die Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers besteht als typische Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis (vgl. § 241 Abs. 2 BGB). Verletzt die Arbeit diese ihn aus § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB betreffende Nebenpflicht, kann dies auch einen Schadensersatzanspruch eines Arbeitnehmers begründen.

II. Voraussetzungen für einen Beschäftigungsanspruch

Der Anspruch auf Beschäftigung nach dieser Maßgabe im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung setzt allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorlegt, aus der sich Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, Beschäftigungsbeschränkung, Umfang der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Dauer der Maßnahme ergeben. Die Bescheinigung muss eine Prognose erhalten, wann voraussichtlich die Wiederaufnahme der Tätigkeit erfolgt.

Hinweis für die Praxis:

Kein Anspruch besteht auf eine Mitwirkung an einer nur therapeutischen Erprobung, ohne dass in absehbarer Zeit das „ob“ und „wie“ einer möglichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ersichtlich wären.

Fazit:

Im vorliegenden Fall enthielt zwar der Wiedereingliederungsplan viele dieser Voraussetzungen. Allerdings enthielt er mit der Angabe „Schreibtischarbeit ohne Chemie“ keine für das beklagte Land umsetzbare Beschreibung von Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung. Letztlich war vollumfänglich unklar, womit die Klägerin positiv hätte beschäftigt werden können. Mit der Ablehnung hatte daher das beklagte Land seine arbeitsvertraglichen Pflichten auf Zustimmung nicht verletzt, insbesondere wegen der zunächst nur „derzeitigen Verweigerung der Wiedereingliederung“. Auch die Mitarbeiterin hätte daher an der Präzisierung der inhaltlichen Angaben, z.B. durch Wahrnehmung des Termins beim Gesundheitsamt, mitwirken müssen.

Arbeitgebern kann nach dieser Rechtsprechung nur empfohlen werden, insbesondere bei schwerbehinderten Menschen eine stufenweise Wiedereingliederung nicht vollständig abzulehnen, sondern an der Gewinnung von Erkenntnissen mitzuwirken und auch die Arbeitnehmer aufzufordern, den Wiedereingliederungsplan zu präzisieren. Wird schon ein Wiedereingliederungsplan vollständig und abschließend abgelehnt, kann dies zu Schadensersatzansprüchen führen.

Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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