Die Gewährung von freiwilligen Leistungen bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern führt immer wieder zu schwierigen Rechtsfragen. Viele Arbeitgeber sind der Auffassung, eine rein freiwillige Leistung könne sie für die Zukunft nicht binden. Das Gegenteil ist der Fall! So hat der Betriebsrat bei allen betrieblichen Entlohnungsfragen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen. Zudem kann auch die Gewährung von freiwilligen Leistungen zu einem dauerhaften Anspruch der Mitarbeiter führen. Mit diesen wichtigen Fragestellungen hatte sich nun das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Urteil zu befassen (Bundesarbeitsgericht v. 21.2.2024, 10 AZR 345/22). Wir möchten hier das Ineinandergreifen der verschiedenen Regelungsgegenstände darstellen.
Der Fall (verkürzt):
Die beklagte Arbeitgeberin wartet und setzt Windenergieanlagen instand. Sie ist nicht tarifgebunden. Ein Betriebsrat besteht seit dem Jahre 2013.
Arbeitsvertrag
In dem Arbeitsvertrag des Klägers heißt es auszugsweise:
„3. Vergütung
…
Die Zahlung von Gratifikationen, Prämien, Zulagen oder sonstigen Leistungen liegt im freien Ermessen der Firma und begründet keinen Rechtsanspruch.
Der Lohn wird nachwirkend einmal monatlich auf ein von dem Mitarbeiter angegebenes Konto überwiesen. Lohnabtretungen bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung der Firma.“
Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin zahlten den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern ein jährliches Urlaubsgeld. Im Zusammenhang mit der Auszahlung des Urlaubsgeldes wurde dann im Jahre 2008 erstmals eine schriftliche Mitteilung dazu an die Mitarbeiter übersandt. In diesem Schreiben heißt es u.a. wie folgt:
„8. Die Urlaubsgratifikation ist eine einmalige, freiwillige und jederzeit widerrufliche soziale Leistung, die auf die Urlaubszeit beschränkt ist.
Durch die Zahlung wird für die Zukunft daher weder dem Grunde noch der Höhe nach, auch nicht bezüglich der Auszahlungsmodalitäten, des Personenkreises der Bezugsberechtigten sowie der Ermittlung der Gratifikation ein Rechtsanspruch begründet.“
Alle Mitarbeiter erhielten dann in den Folgejahren ebenfalls entsprechende, meist gleichlautende, Schreiben zur Thematik Urlaubsgeld.
Eine genaue Höhe des Urlaubsgeldes wurde dabei nicht mitgeteilt. Vielmehr enthielten die Schreiben regelmäßig folgenden Inhalt:
„1. Die Zahlung der Urlaubsgratifikation erfolgt in Anerkennung der von den Mitarbeitern/innen geleisteten Arbeit, des Arbeitserfolges wie der in der Vergangenheit und in der Zukunft bewiesenen Betriebstreue.
2. Die Höhe einer vollen Urlaubszuwendung wird in Form einer ergänzenden Regelung jährlich entschieden und festgelegt.“
Aussetzung des Urlaubsgeld
Im Juni 2020 wandte sich dann die Beklagte an alle Mitarbeitenden und informierte sie darüber, dass die Zahlung des Urlaubsgelds für das laufende Jahr ausgesetzt werde. Dementsprechend erhielte auch der Kläger für das Jahr 2020 kein Urlaubsgeld.
Der erst seit 2013 bestehende Betriebsrat wurde zu keinem Zeitpunkt förmlich an den Vorgängen zum Themenkomplex Urlaubs- und Weihnachtsgeld beteiligt.
Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe ein Anspruch auf Zahlung eines Urlaubsgelds für das Jahr 2020 in der geltend gemachten bisherigen Höhe aus einer Gesamtzusage zu. Der Freiwilligkeitsvorbehalt stehe dem nicht entgegen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hatte hingegen das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht hingegen der Klage, wie das Arbeitsgericht, stattgegeben.
I. Gesamtzusage
Zunächst hat das Bundesarbeitsgericht die Rechtsgrundlage des Anspruchs geklärt. Das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, dass es sich bei der spätestens im Jahre 2008 schriftlich erteilten Info an die Mitarbeiter um eine Gesamtzusage handelt. Diese begründet einen Anspruch auf Zahlung eines Urlausgeldes.
Eine Gesamtzusage richtet sich an alle Arbeitnehmer des Betriebs oder jedenfalls einen bestimmten abgrenzbaren Teil der Arbeitnehmerschaft. Sie enthält die ausdrückliche Erklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Eine ausdrückliche Annahme dieses Antrages wird nach den Regelungen des BGB von den Arbeitnehmern dabei nicht erwartet, §§ 145, 151 BGB. Vielmehr wird trotz ausdrücklicher Annahme das Angebot in der Gesamtzusage ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrages. Auch nachträglich in den Betrieb eintretende Arbeitnehmer erwerben damit einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leistungen der Gesamtzusage, wenn sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen.
Hinweis für die Praxis:
Eine Gesamtzusage wird dann wirksam, wenn sie gegenüber der Arbeitnehmerschaft in einer Form verlautbar wird, die die einzelnen Beschäftigten typischerweise in die Lage versetzt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Auf die konkrete Kenntnis kommt es dabei nicht an.
II. Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt unwirksam!
Der Arbeitgeber hatte sich dann zunächst auf die Freiwilligkeit nach Ziffer 8. des Schreibens berufen. Allerdings ist das Schreiben inhaltlich widersprüchlich. Damit verstößt Ziffer 8. der Regelung gegen die AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Die in Nummer 8. der Info enthaltene Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt ist intransparent und stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende unangemessene Benachteiligung dar.
Hinweis für die Praxis:
Bei einem Freiwilligkeitsvorbehalt entsteht schon kein Anspruch auf die Leistung, bei einem Widerrufsvorbehalt hingegen hat der Arbeitnehmer einen Anspruch, der Arbeitgeber behält sich aber vor, die versprochene Leistung einseitig zu widerrufen. Beides zusammen kann nicht wirksam vereinbart werden. Die Kombination führt vielmehr zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel.
III. Fehlende Beteiligung des Betriebsrats!
Der Betriebsrat hat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen. Dies betrifft insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und/oder deren Änderung.
Für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats kommt es nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgt ist, etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung. Das Mitbestimmungsrecht hängt allein vom Vorliegen eines kollektiven Tatbestands ab.
Bei der ständigen Gewährung des Urlaubsgeldes handelt es sich um in diesem Sinne eingeführte Entlohnungsgrundsätze im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Nach der Gesamtzusage haben alle Beschäftigten einen Anspruch auf ein jährliches Urlaubsgeld, dessen Volumen nach billigem Ermessen festzulegen ist. Der Betriebsrat wurde zwar erst später gewählt. Eine Zustimmung zu den zunächst unverändert fortbestehenden Entlohnungsgrundsätzen war dennoch nicht erforderlich. Mitbestimmungspflichtig ist in einer solchen Konstellation erst wieder eine Änderung des bestehenden Entlohnungssystems.
Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber mit der Entscheidung, im Jahre 2020 kein Urlaubsgeld mehr zu zahlen, aber gerade das bestehende System geändert. Daran wurde der Betriebsrat nicht beteiligt. Damit war die Entscheidung mitbestimmungswidrig.
Hinweis für die Praxis:
Der Arbeitgeber hatte sich darauf berufen, der Betriebsrat habe durch Schweigen der Änderung zugestimmt. Dem hat das BAG aber ebenfalls eine Absage erteilt. Die bloße Hinnahme eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers durch den Betriebsrat reicht für eine Mitbestimmung nicht aus und lässt nicht auf den Abschluss einer formfreien Regelungsabrede schließen.
Fazit:
Die Mitarbeiter hatten damit Anspruch auf das Urlaubsgeld für das Jahr 2020 weiterhin in voller Höhe. Zwar sah die Regelung die Ausübung eines Ermessens bei der Bestimmung der Höhe des Urlaubsgeldes zu. Dieses Ermessen konnte aber vom Bundesarbeitsgericht selbst vorgenommen werden.
Die Entscheidung macht deutlich, dass die Gewährung von freiwilligen Leistungen bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber die Einführung eines Entlohnungssystems darstellt. Selbst wenn die Leistungen wirksam unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt werden, ist eine Änderung dieses Systems nur mit Zustimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG möglich. Die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts wird allerdings nicht vom Beteiligungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erfasst. Der Betriebsrat muss aber bei der Verteilung des Volumens beteiligt werden.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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