Der Arbeitgeber hat bekanntlich die Kosten für die Schulung der Betriebsratsmitglieder umfassend zu übernehmen, § 40 Abs. 1 BetrVG. Neben den eigentlichen Seminargebühren werden auch die notwendigen Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten von dieser Vorschrift erfasst. Wie verhält es sich aber, wenn der Schulungsanbieter ein inhaltsgleiches Webinar anbietet? Kann der Arbeitgeber die Teilnahme an einer Präsenzschulung wegen der zusätzlichen Kosten verweigern? Mit diesen wichtigen Fragen hatte sich das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Beschluss zu befassen (BAG v. 7.2.2024, 7 ABR 8/23).
Im Ergebnis bleibt das Bundesarbeitsgericht bei seiner sehr betriebsratsfreundlichen Rechtsprechung, wonach der Beurteilungsspielraum des Betriebsrats jedwede Einflussmöglichkeiten des Arbeitgebers auf Fort- und Durchführung eines inhaltsgleichen Seminars verhindert.
Der Fall:
Bei der beteiligten Arbeitgeberin handelt es sich um ein Luftverkehrsunternehmen mit Sitz in Düsseldorf. Es besteht eine Personalvertretung auf Grundlage eines Tarifvertrages. Der Tarifvertrag bestimmt die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) in der jeweils gültigen Fassung.
Die Personalvertretung beabsichtigte ihre im Sommer 2021 in das Gremium nachgerückten zwei Mitglieder (wohnhaft in Köln und Düsseldorf) zu dem von der W. AG in der Zeit vom 24. bis zum 27. August 2021 in Binz auf Rügen angebotenen Seminarveranstaltung „Betriebsverfassungsrecht Teil 1“ zu entsenden.
Die Arbeitgeberin stellte die Erforderlichkeit dieser Grundlagenschulung nicht prinzipiell in Abrede, bat aber darum, aus Kostengründen ein inhaltsgleiches ortsnahes Seminar oder – was vom Schulungsträger auch angeboten wurde – Webinar auszusuchen. Die von ihr konkret als Alternativen benannten Präsenzseminare fanden in Velbert, Bad Honnef und in Köln statt. Zudem wurde von dem Seminaranbieter auch ein inhaltsgleiches Webinar angeboten.
Die Personalvertretung hatte dann dem Arbeitgeber abschließend mitgeteilt, das Seminar werde nicht in Binz auf Rügen, sondern aus Kostengründen in Potsdam durchgeführt. Die beiden nachrückenden Betriebsräte nahmen dann an dieser Schulung auch teil. Es wurden Seminargebühren in Höhe von 1.528,00 € zuzüglich Umsatzsteuer sowie Übernachtungs- und Verpflegungskosten in Höhe von 1.108,62 € zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Der Arbeitgeber weigerte sich, die Kosten zu übernehmen.
Die Personalvertretung machte dann im Wege eines Beschlussverfahrens vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf die Freistellung von diesen Kosten geltend.
Das Arbeitsgericht hat dem Kostenfreistellungsanspruch des Betriebsrats entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat sich dieser Entscheidung angeschlossen.
Die Entscheidung:
Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.
I. Beurteilungsspielraum des Betriebsrats
Bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit von Schulungen und damit auch den entstehenden Kosten steht dem Betriebsrat ein Beurteilungsspielraum zu. Die Pflicht zur Kostentragung steht allerdings immer unter dem in § 2 Abs. 1 BetrVG normierten Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Der Betriebsrat darf daher seine Entscheidung über die Schulungsteilnahme nicht allein an seinen subjektiven Bedürfnissen ausrichten. Vielmehr muss er die betrieblichen Verhältnisse berücksichtigen.
So darf der Betriebsrat nach der Rechtsprechung die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung dann nicht für erforderlich halten, wenn er sich vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstigen auf andere Weise verschaffen kann. Allerdings ist der Betriebsrat nicht gehalten, anhand einer umfassenden Marktanalyse den günstigsten Anbieter zu ermitteln. Entsprechend muss er sich nicht für die kostengünstigste Schulungsveranstaltung entscheiden, wenn er eine andere Schulung für qualitativ besser hält. Nur wenn mehrere gleichzeitig angebotene Schulungen auch nach Ansicht des Betriebsrats im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums als qualitativ gleichwertig anzusehen sind, kann eine Beschränkung der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auf die Kosten der preiswerteren Veranstaltung in Betracht kommen.
II. Kein Verweis auf Webinar-Schulung möglich
Das Bundesarbeitsgericht hat in Anwendung dieser Grundsätze zunächst klargestellt, dass sich die Personalvertretung nicht auf das Webinarangebot desselben Schulungsträgers verweisen lassen musste. So hat der Betriebsrat ein Beurteilungsspielraum, der sich neben dem Inhalt der Schulungsveranstaltung eben auch auf Format und Methoden sowie Art und Weise der Wissens- und Kenntnisvermittlung bezieht. In diesem Sinne umfasst der Beurteilungsspielraum die Einschätzung der Gleichwertigkeit verschiedener Schulungsangebote.
Im vorliegenden Fall sind die Betriebsratsmitglieder aufgrund der Andersartigkeit der Schulungssituation bei einem Webinar von einem geringeren Lernerfolg ausgegangen. Auch der bei einem Präsenzseminar übliche fortgesetzte Gedanken- und Erfahrungsaustausch fehlt bei einem Webinar. All dies hat das Bundesarbeitsgericht dazu veranlasst, die Gleichwertigkeit des Webinars abzulehnen.
Hinweis für die Praxis:
Damit muss der Arbeitgeber die persönlichen Präferenzen der Schulungsteilnehmer ebenfalls mitberücksichtigen. Der Betriebsrat darf also die Präferenzen als Grundlage für seine Entscheidung im Rahmen des Beurteilungsspielraums einfließen lassen. Das führt im Ergebnis zu einer Ausrichtung an den subjektiven Bedürfnissen des Betriebsrats. Diese schließt das Bundesarbeitsgericht aber sonst aus.
III. Nähere Präsenzschulungen vorrangig?
Das Bundesarbeitsgericht hat auch den Verweis auf ortsnähere Präsenzschulungen abgelehnt. So habe sich die Personalvertretung mit den jeweils anderen Schulungsorten befasst. Die Kostenersparnis würde, so das Bundesarbeitsgericht, „nur wenige hundert Euro“ betragen. Zudem habe die Personalvertretung ein berechtigtes Interesse an einer zeitnahen Schulung und müsse sich nicht auf erst einige Wochen später stattfindende Seminare z.B. in Köln verweisen lassen.
Fazit:
Die Begründung ist aus unserer Sicht in vielen Punkten angreifbar. Eine Kostenersparnis liegt auch dann vor, wenn die Ersparnis nicht immens hoch ist. Bei inhaltsgleicher Schulung reichen eben auch nur einige hundert Euro als Kostenersparnis und damit Sachgrund aus. Auch die Frage, ob eine inhaltsgleiche Schulung nur einige Wochen später stattfindet, kann nicht ausschlaggebend sein. Im vorliegenden Fall waren die betroffenen Gremienmitglieder ohnehin vorher in Urlaub und auch schon seit über einem Jahr nachgerückt. Das Seminar in Köln hätte nur einen Monat später stattgefunden, was in der Gesamtschau, auch im Hinblick auf die Anwendung der erlernten Kenntnisse, ohne Belang ist. Im Ergebnis muss man sich aber auf diese Rechtsprechung als Arbeitgeber einstellen. Streitigkeiten über die Durchführung von Seminaren sollte man daher nur in ganz eindeutigen Fällen führen.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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