Darf der Arbeitgeber einseitig in einen Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb versetzen? Was ist eine Auffanggesellschaft?
Aufgrund der Verschlechterung der konjunkturellen Lage und bereits als Folge der fortschreitenden Digitalisierungsprozesse in der Arbeitswelt kommt es erneut vermehrt zu Personalabbauprogrammen in Unternehmen.
Viele große Unternehmen gehen dabei dazu über, Arbeitsverhältnisse nicht mehr zu kündigen, sondern mit den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (nachfolgend zur besseren Lesbarkeit einheitlich „Arbeitnehmer“ oder „Mitarbeiter“ genannt) individuelle Vereinbarungen über die Überleitung in eine sog. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft („Auffanggesellschaft“) zu schließen. In diesem Fall kommt es zu einem Wechsel des Vertragsarbeitgebers.
Teilweise errichten Unternehmen aber auch innerhalb der Organisation, als eigenständige Betriebe oder Betriebsteile, selbst Einheiten zur Vermittlung- und Qualifizierung von Arbeitnehmern. Häufig bezeichnet als „Mitarbeiter-Entwicklungs-Center“ oder als „Coaching & Consulting Center“. Dies mit der finalen Zielsetzung, die Arbeitnehmer an andere konzernangehörige Unternehmen zu vermitteln oder dabei zu unterstützen, neue Arbeitsverhältnisse bei konzernexternen Arbeitgebern zu finden.
Die Überleitung in die im Unternehmen organisatorisch aufgehängten Qualifizierungseinheiten soll teilweise ohne Änderungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag, sondern allein auf Grundlage einer einseitigen Versetzung erfolgen. Hierbei wird zwar der Betriebsrat involviert und zum Teil auch eine Sozialauswahl vorgeschaltet; doch ist die einseitige Versetzung in einen sog. Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb auch arbeitsrechtlich zulässig?
1. Instrumente zum Personalabbau
Üblicherweise wird bei Personalabbauprogrammen zunächst ein sog. Personalüberhang definiert, der sodann unter Einsatz unterschiedlicher Instrumentarien möglichst sozialverträglich abgebaut werden soll.
In Konzernunternehmen häufig genutztes Mittel zum Personalabbau ist die Durchführung sog. Freiwilligenprogramme. Bei diesen erhalten die Mitarbeiter die Möglichkeit, bei Vorliegen der sog. doppelten Freiwilligkeit, mit dem Arbeitgeber Ausscheidens-/Aufhebungsvereinbarungen abzuschließen.
Optiert ein Arbeitnehmer hierzu und ist der Arbeitgeber einverstanden, so kommt es unter Anwendung unterschiedlicher arbeitsrechtlicher Instrumente (insbes. der Abschluss eines Aufhebungsvertrages gegen Abfindungszahlung, Altersteilzeit- oder Vorruhestandsvereinbarungen oder der einvernehmliche Wechsel in eine BQG) zumindest perspektivisch zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Denn hierauf zielt die Maßnahme ab.
Die Entscheidung, an einem Freiwilligenprogramm teilzunehmen, wird den betroffenen Arbeitnehmern, zumindest in großen Konzernunternehmen, häufig durch recht günstige Ausscheidenskonditionen attraktiv gemacht. Dadurch stellt sich mitunter sogar die Frage, „wer gehen darf“ und nicht „wer gehen muss“.
Dabei kommen oftmals auch sog. Sprinterklauseln zur Anwendung: Hiernach wird es abfindungserhöhend honoriert, wenn der jeweilige Arbeitnehmer sich innerhalb einer definierten Frist zum Abschluss einer Ausscheidensvereinbarung bereit erklärt.
Die zugrundeliegende Personalabbaumaßnahme ist zumeist nur unter Beteiligung des Betriebsrats umsetzbar, da sie dessen Mitbestimmungsrechte (v.a. nach den §§ 112, 113 BetrVG, 17 Abs. 2 KSchG) berührt; während der Abschluss eines singulären Aufhebungsvertrages allerdings keine Mitwirkung des Betriebsrats erfordert.
2. Einsatz einer sog. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG)
Bei Personalabbauprogrammen behelfen sich Arbeitgeber oft mit den bereits erwähnten sog. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften („Auffanggesellschaft“).
Aufgabe einer BQG ist es, die dem Personalüberhang zugeordneten Arbeitnehmer zu qualifizieren und dabei zu unterstützen, eine adäquate Anschlussbeschäftigung zu finden; dies regelmäßig, aber nicht notwendigerweise, bei einem konzernfremden Arbeitgeber. Vor allem in Konzernen werden BQGs zum Zwecke eines sozialverträglichen Personalabbaus entweder generell vorgehalten oder zur Durchführung einzelner Programme als selbstständige Rechtsträger (insbes. in der Rechtsform der GmbH) gegründet.
Da es sich bei einer BQG jedoch um einen eigenständigen, vom Vertragsarbeitgeber zu unterscheidenden Rechtsträger handelt, kann der Arbeitgeber die betroffenen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht in diese einseitig versetzen. Daher schließen die Arbeitsvertragsparteien eine Ausscheidensvereinbarung, die es regelmäßig vorsieht, dass der Wechsel in die BQG nur auf Zeit erfolgt; bevor es dann final zu einem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Konzern kommt.
In der BQG sind auch meist keine Arbeitsleistungen mehr zu erbringen. Der Arbeitnehmer soll nur an Qualifizierungs- und Vermittlungsmaßnahmen teilnehmen. Die Ausgestaltung im Detail ist aber unterschiedlich.
3. Versetzung in einen unternehmensinternen Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb (Auffanggesellschaft)
In der Praxis weniger üblich, aber dennoch von Arbeitgebern teilweise angewandt, wird ein Modell, wonach mit den Mitarbeitern keine Ausscheidensvereinbarungen geschlossen werden, sondern der Arbeitgeber die Arbeitnehmer einseitig in einen internen Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb versetzt.
Dieses Modell unterscheidet sich darin, dass es – anders als bei einem Wechsel in eine BQG – gerade zu keiner Änderung des Vertragsarbeitgebers kommt. Zum Zwecke der Personalvermittlung und -qualifizierung wird die Zieleinheit vielmehr als eigenständiger Betrieb oder Betriebsteil innerhalb der Anstellungsgesellschaft organisatorisch aufgehängt; dennoch wird sie intern häufig als Auffanggesellschaft bezeichnet.
Aber: Bei der Qualifizierungseinheit handelt es sich um keinen neuen Vertragsarbeitgeber.
4. Arbeitsrechtliche Einschätzung
Mitwirkung des Betriebsrats erforderlich?
Selbst wenn die Maßnahme unter Mitwirkung der betrieblichen Mitbestimmung erfolgt, stellt sich die Frage, ob eine einseitige Versetzung von, dem Personalüberhang zugeordneten Arbeitnehmern in eine unternehmenseigene Qualifizierungseinheit zulässig ist.
Bei der einseitigen Versetzung greift in jedem Fall das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Die Versetzung setzt betriebsverfassungsrechtlich voraus, dass der Betriebsrat dieser zustimmt. Andernfalls ist sie bereits aufgrund der unterlassenen Beteiligung des Betriebsrats individualrechtlich unwirksam (BAG, Urt. v. 22.04.2010 – 2 AZR 491/09).
Aber selbst, wenn der Betriebsrat zugestimmt hat, bleibt die Frage der individualrechtlichen Zulässigkeit.
Der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers
Zwar führt die Versetzung in den Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb zu keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dies auch nicht nach Ablauf eines definierten Zeitraums; dennoch hat sie eine grundlegende faktische Veränderung des Vertragsverhältnisses zur Folge: Das vertragliche Austauschverhältnis zielt nicht länger auf die Erbringung von Arbeitsleistungen gegen Zahlung der vertraglichen Vergütung. Der Arbeitgeber zahlt die Gehälter fortan ohne hierfür Arbeit zuzuweisen. Kurz: In der Qualifizierungseinheit kommt es also meist zu keiner vertragsgemäßen Beschäftigung.
Nichts Abweichendes folgt daraus, dass den Arbeitnehmern Vermittlungs- und Qualifizierungsmaßnahmen angedient werden und es darum geht, den Personalabbau sozialverträglich zu gestalten. Denn: Die einseitige Versetzung kollidiert mit dem allgemeinen Beschäftigungsanspruch (BAG, Urt. v. 12.12.2006 – 9 AZR 747/06). Dieser folgt aus den §§ 611a, 613 i.V.m. § 242 BGB und ist als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sogar verfassungsrechtlich abgesichert (vgl. hierzu grundlegend BAG, Urt. v. 10.11.1955 – 2 AZR 591/54; BAG, Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84).
Somit ist es zumindest nicht unproblematisch, wenn Arbeitnehmer gegen ihren Willen auf das „Abstellgleis“ des Vermittlungs- und Qualifizierungsbetriebs versetzt werden.
Beschäftigungsanspruch ≠ Beschäftigungsgarantie?
Dem mag man entgegenhalten, dass es für die im Personalüberhang befindlichen Arbeitnehmer keine reale vertragsgemäße Beschäftigungsmöglichkeit mehr gibt und der Beschäftigungsanspruch nach der Rechtsprechung keine Beschäftigungsgarantie darstellt (vgl. BAG, Urt. v. 16.05.2019 – 6 AZR 329/18). Zudem setzt der Beschäftigungsanspruch voraus, dass das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung jenes des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung überwiegt. Das BAG differenziert dabei wie folgt:
„Bestehen hiernach keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers, kann der Arbeitnehmer grundsätzlich eine vertragsgemäße Beschäftigung verlangen. Stehen überwiegende schutzwerte Interessen der Beschäftigung entgegen, ist der Arbeitgeber nicht zur Beschäftigung verpflichtet.“
(BAG, Urt. v. 15.06.2021 – 9 AZR 217/20, Rn. 44 m.w.N; BAG, Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84).
Dennoch: Zumindest solange im Unternehmen Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sind, hat der Arbeitnehmer einen Beschäftigungsanspruch und der Arbeitgeber kann ihn nicht statt diesem auf die Teilnahme an Vermittlungs- und Qualifizierungsmaßnahmen verweisen. In diesem Fall ist die einseitige Versetzung in die Qualifizierungseinheit nicht mehr vom Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 Satz 1 GewO) erfasst. Dieses steht unter dem Ausübungsvorbehalt des billigen Ermessens. Die Zuweisung einer nicht vertragsgemäßen Beschäftigung ist hiernach unzulässig.
An der individualrechtlichen Unwirksamkeit einer Versetzung ändert es auch nichts, wenn der Betriebsrat der fraglichen Maßnahme zugestimmt und vor der Zuordnung der Mitarbeiter zum Personalübergang eine Sozialauswahl stattgefunden hat.
Kann der Arbeitgeber die Versetzung auf einen Tarifvertrag stützen?
Nach der Rechtsprechung der Instanzgerichte soll ein Arbeitgeber selbst nicht durch Tarifvertrag wirksam dazu ermächtigt werden können, Arbeitnehmer gegen ihren Willen in einen Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb zu versetzen. Eine solche Maßnahme würde den grundsätzlichen Wertungen des Kündigungsschutzgesetzes widersprechen (vgl. LAG Hamm, Urt. v. 24.02.2014 – 8 Sa 1368/12; LAG Düsseldorf, Urt. v. 22.10.2013 – 16 Sa 622/13).
Nichts Anderes kann dann für besondere Arbeitnehmergruppen gelten, wie etwa sog. leitende Angestellte oder solche, die mit dem Arbeitgeber bereits eine Altersteilzeitvereinbarung abgeschlossen haben, aber sich noch in der aktiven Phase der Altersteilzeit befinden. Auch diese haben gegen den Arbeitgeber einen Beschäftigungsanspruch.
5. Handlungsempfehlungen
Betroffene Arbeitnehmer können sich gegen eine rechtswidrige Versetzung gerichtlich zur Wehr setzen. Dies auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. LAG München, Urt. v. 07.05.2003 – 5 Sa 344/03).
Keinesfalls sollten Arbeitnehmer einer Versetzung ohne vorherige rechtliche Prüfung und ggfs. anwaltliche Beratung zustimmen. Denn: Kommt es zu einer einvernehmlichen Vertragsänderung, so ist es regelmäßig zu spät und der Wechsel in den Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb kann nicht mehr angegriffen werden. Jedenfalls sollte sich jeder Arbeitnehmer über die arbeitsrechtlichen Konsequenzen bewusst sein.
Aber: Auch aus Arbeitgebersicht stellt der Personalabbau mittels Einsatzes eines Vermittlungs- und Qualifizierungsbetriebes keine anzuratende Option dar: Zum einen ist die einseitige Versetzung angreifbar und damit nicht rechtssicher. Zum anderen führt sie alleine nicht zum bezweckten Ziel des Personalabbaus. Die Mitarbeiter werden nur in eine andere Einheit „verschoben“; insbesondere die „schwierigen Fälle“ können sich im Qualifizierungsbetrieb dauerhaft einrichten und damit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses widersetzen. Von daher ist der Abschluss von Ausscheidensvereinbarungen, nach welchen es nur zu einer zeitlich befristeten Überleitung in eine BQG („Auffanggesellschaft“) kommen soll, bevor das Arbeitsverhältnis dann mit Fristablauf verbindlich endet, die bessere Wahl.
Autor: Dr. Martin Kalf, LL.M.
Auszeichnungen
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