Wir hatten uns bereits im August-Heft ausführlich mit der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verjährung von Ausschlussfristen befasst. In einem weiteren Urteil vom 31. Januar 2023, das jetzt erst im Volltext veröffentlicht wurde, hat das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechung zur Verjährung bestätigt und sich nun auch mit der Anwendung von Ausschlussfristen befasst (BAG v. 31.1.2023, 9 AZR 244/20). Diese neue Rechtsprechung ist von weitreichender Bedeutung für die Praxis. Auch Fälle, die, wie hier viele Jahre zurückliegen, können noch zu Abgeltungsansprüchen führen, sogar bei Scheinselbständigkeit. Wir möchten daher die wichtige neue Judikatur hier darstellen.
Der Fall (verkürzt):
Der klagende Arbeitnehmer war vom 1. April 2007 bis zum 30. Juni 2010 bei einem Verlagshaus in der Online-Redaktion als freier Mitarbeiter beschäftigt. An fünf Tagen in der Woche schrieb er aktuelle Nachrichten und bereitete Texte anderer Mitarbeiter für die Veröffentlichung auf. Während seiner Tätigkeit als sogenannter Pauschalist gewährte das Verlagshaus ihm keinen Urlaub.
Im Anschluss an die Beendigung des freien Mitarbeiterverhältnisses wurde der Mitarbeiter nahtlos ab 1. Juli 2010 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als Redakteur weiterbeschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestimmte sich dann ab diesem Zeitpunkt nach dem Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen (MTV).
Der Tarifvertrag enthielt folgende Ausschlussfrist:
„§ 18 Anspruchsverfolgung …
1. Mit Ausnahme der Regelung für den Urlaub (§ 9 Abs. 5) … sind nicht erfüllte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb dreier Monate nach Fälligkeit geltend zu machen. Lehnt eine Partei die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs schriftlich ab, so muss dieser innerhalb eines halben Jahres nach Fälligkeit gerichtlich geltend gemacht werden. Bei späterer Geltendmachung als nach Satz 1 und Satz 2 kann die Erfüllung verweigert werden.“
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete am 30. September 2014. Mit Schreiben vom 1. August 2018 forderte der Mitarbeiter seinen Arbeitgeber erfolglos auf, Urlaub aus den Jahren 2007 bis 2010 noch nachträglich abzugelten. Das damalige freie Mitarbeiter-Rechtsverhältnis sei tatsächlich ein Arbeitsverhältnis gewesen. Der Verlag habe ihn nicht über seine Urlaubsansprüche informiert und sei damit auch seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Gewährung von Urlaub nicht nachgekommen.
Für die Urlaubsberechnung hat er den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen je Jahr zugrunde gelegt, damit 15 Tage für das Jahr 2007, je 20 Tage für die Jahre 2008 und 2009 und zehn Tage für das halbe Jahr 2010.
Die Urlaubsansprüche seien nicht verfallen, da der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten eben nicht nachgekommen sei, und zwar weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG noch nach § 18 des MTV. Auch sei keine Verjährung eingetreten.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung der Vorinstanzen aufgehoben, den Rechtsstreit aber nicht abschließend entschieden, sondern zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht Vorgaben gemacht, um die Frage, ob tatsächlich ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, weitergehend zu klären. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht in der Sache bereits wichtige Ausführungen zur Anwendung der Ausschlussfrist und der Verjährung gemacht.
I. Urlaubsanspruch nur für Arbeitnehmer
Zwischen den Parteien bestand in den Jahren 2007 bis 2010 ein freies Mitarbeiterverhältnis. Für freie Mitarbeiter entsteht kein gesetzlicher Urlaubsanspruch, auch nicht auf Basis der einschlägigen EU-Richtlinie. Das Bundesarbeitsgericht hat bestätigt, dass nur bei Klärung der Frage, ob tatsächlich ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, Urlaubsansprüche entstanden sein können.
Hinweis für die Praxis:
Für die Praxis können wir nur dringend raten, von Vereinbarungen über freie Mitarbeiterverhältnisse abzusehen, wenn die Voraussetzungen nicht vorliegen. Es handelt sich dann um eine vereinbarte Scheinselbständigkeit. Tatsächlich ist dann der freie Mitarbeiter Arbeitnehmer mit allen Rechten, die Arbeitnehmern zustehen, insbesondere rückwirkenden Urlaubsansprüchen.
II. Verjährung?
Zur Frage der Verjährung von Urlaubsansprüchen in solchen Konstellationen hatten wir bereits eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ausführlich besprochen. Wir verweisen auf diese Urteilsbesprechung in einem früheren Newsletter.
Hinweis für die Praxis:
Urlaubsansprüche unterliegen grundsätzlich der Verjährung. Der Verjährungsbeginn setzt aber voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seine Urlaubsansprüche im Rahmen der Mitwirkungsobliegenheiten korrekt jährlich informiert hat. Fehlt es an einer solchen Information, konnte nach der neuen Rechtsprechung der Mitarbeiter seine Urlaubsansprüche nicht nehmen. Damit bleiben die Urlaubsansprüche bestehen und können nicht verjähren! Diese Rechtsprechung verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig es für Arbeitgeber ist, die Belegschaft jährlich auf die Pflicht, Urlaub zu nehmen um den Verfall zu verhindern, hinzuweisen. Zudem stellt das Bundesarbeitsgericht klar, dass Verjährungsfristen erst mit der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 6. November 2018 beginnen konnten. Im vorliegenden Fall hatte der Mitarbeiter allerdings bereits Klage im Jahre 2018 erhoben, so dass der Anspruch noch nicht verjährt war.
III. Ausschlussfristen
Der Arbeitgeber hatte sich schließlich im vorliegenden Fall auf die Anwendung der dreimonatigen Ausschlussfrist aus dem MTV berufen. Ausschlussfristen beginnen in der Regel mit der Fälligkeit des Anspruchs. Fälligkeit tritt mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein, denn dann erst kann der Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG entstehen.
Auch für Ausschlussfristen wendet das Bundesarbeitsgericht allerdings seine Rechtsprechung für die Anwendung der Verjährung entsprechend an. Auch hier wird der Beginn der Ausschlussfrist nach hinten verlegt. Ausschlussfristen können nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts erst mit Verkündung des Urteils des EuGH vom 6. November 2018 entstehen, damit frühestens am 7. November 2018 beginnen. Auch diese Frist hatte der Mitarbeiter im vorliegenden Fall gewahrt.
Fazit:
Urlaubsansprüche sind besonders geschützt. Dies gilt nicht nur für bestehende Arbeitsverträge, sondern auch für freie Mitarbeiterverträge, die sich nachträglich als Arbeitsverhältnis darstellen. Kommt der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nach, können also auch noch Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsansprüche für lange zurückliegende Zeiten geltend gemacht werden, im vorliegenden Fall betraf dies die Jahre 2007 bis 2010. Ausschlussfristen und auch die dreijährige Verjährung kommen frühestens ab dem 7. November 2018 in Betracht. Und dann auch nur, wenn der Arbeitgeber zuvor seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hatte, was bei freien Mitarbeiterverhältnissen regelmäßig nicht der Fall gewesen sein wird. Arbeitgeber sollten daher klare Prozesse einführen, die die neuen Anforderungen der Rechtsprechung erfüllen.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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