
Der gesetzliche Mindesturlaub ist bekanntlich europarechtlich und nach § 13 BUrlG besonders geschützt. Auf den gesetzlichen Mindesturlaub können Arbeitnehmer nicht verzichten. In vielen Fällen wird aber im Rahmen eines Aufhebungsvertrages oder auch eines gerichtlichen Vergleiches vereinbart, dass sämtliche Urlaubsansprüche in natura gewährt wurden bzw. keine Urlaubsabgeltungsansprüche mehr bestehen. Eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln macht deutlich, dass solche Vergleiche nicht immer zulässig und wirksam sind (LAG Köln v. 11.4.2024, 7 Sa 516/23)! Wir möchten die wichtige Entscheidung hier für die Praxis besprechen und wertvolle Hinweise für die Vertragsgestaltung geben.
Der Fall:
Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Unternehmen seit dem 1.1.2019 als Betriebsleiter zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von zuletzt 5.000,00 € beschäftigt. Arbeitsvertraglich war vereinbart, dass dem Kläger 30 Urlaubstage pro Jahr zustanden.
Anfang des Jahres 2023 kam zu einem Rechtsstreit zwischen den Parteien, in dessen Verlauf beide Seiten übereinkamen, dass eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewünscht war. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger im Jahre 2023 keinen Urlaub in Anspruch genommen, da er durchgängig arbeitsunfähig erkrankt gewesen war.
In einem ersten Vergleichsentwurf übersandte die Prozessvertreterin des Arbeitnehmers einen Text, in dem folgendes ausgeführt war:
„Im Übrigen nehme ich wie folgt Stellung: Insbesondere auf den gesetzlichen Mindesturlaub kann nicht wirksam verzichtet werden. Im Zuge einer Gesamteinigung ist mein Mandant bereit, nur die Abgeltung des Mindesturlaubes 2023 von sieben Tagen zu berücksichtigen. Aus den Vorjahren wären ansonsten noch nicht gewährte Urlaubstage in beträchtlicher Höhe abzugelten.“
Die Arbeitgeberseite widersetzte sich diesem Vorschlag. Vielmehr wurde ein neuer Vergleichsvorschlag mit folgendem Text unterbreitet:
„… Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“
Die Prozessvertreterin des Arbeitnehmers erklärte sich mit dem Vergleichsvorschlag in dieser letzten Fassung einverstanden, fügte aber folgendes in einem Anschreiben hinzu:
„Ich weise an dieser Stelle auf die erheblichen Bedenken meines Mandanten im Hinblick auf den Vergleichsschluss und die diesseitig, zuletzt mit Schreiben vom 28.3.2023, geäußerte Rechtsauffassung hin.“
Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses konnte der Kläger aufgrund fortbestehender Arbeitsunfähigkeit keinen Urlaub mehr nehmen.
Der Vergleich kam dann so wirksam zustande. Drei Monate nach dem Vergleichsschluss machte der Kläger gegenüber dem beklagten Arbeitgeber dennoch Urlaubsabgeltung in Höhe von sieben Urlaubstagen geltend. Er vertrat die Rechtsauffassung, auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch als unabdingbaren Anspruch habe er im Rahmen des Vergleichs – trotz der Vereinbarung – nicht verzichten können, so dass der Mindesturlaub im Umfang von sieben Tagen für das Jahr 2023 abzugelten sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Köln die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.
I. Berechnung des Urlaubsanspruchs
Zunächst hat das Landesarbeitsgericht klargestellt, dass dem Kläger grundsätzlich für das anteilige Jahre 2024 ein Urlaubsanspruch in Höhe von sieben Urlaubstagen zustand. Dabei hatte sich der Arbeitnehmer nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub von zwanzig Tagen berufen und nicht den zusätzlich vereinbarten übergesetzlichen Urlaubsanspruch im Umfang von weiteren zehn Arbeitstagen. Aufgrund des Ausscheidens des Klägers in der ersten Hälfte des Kalenderjahres 2023 war der zunächst entstandene Vollurlaub für jeden vollen Monat, in dem das Arbeitsverhältnis in diesem Jahr nicht mehr bestand, um 1/12 zu kürzen, mithin auf 4/12. Es ergab sich bezogen auf den Zeitraum vom 1.1.2023 bis zum 30.4.2023 ein Anspruch auf 6,67 Tage gesetzlichen Urlaub. Dieser war gemäß § 5 Abs. 2 BUrlG auf sieben Tage aufzurunden.
II. Kein wirksamer Tatsachenvergleich
Ein Tatsachenvergleich bezieht sich auf das Nachgeben bei einer Ungewissheit im Tatsächlichen. Es muss also zwischen den Parteien eine Ungewissheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruches bestehen. Umgekehrt kann eine völlig unstreitige Forderung nicht Gegenstand eines wirksamen Tatsachenvergleiches sein, der hinter der vollständigen Erfüllung zurückbleibt. In einem solchen Fall würde es sich vielmehr um einen Erlassvertraghandeln.
Hinweis für die Praxis:
Hier war der Anspruch des Klägers auf sieben Tage Mindesturlaub völlig unstreitig. Der Kläger war die ersten vier Monate durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Während der Krankheit konnte er seinen Urlaub nicht realisieren. Einen Tatsachenvergleich schied daher von vornherein aus.
III. Verzicht unzulässig!
Der Kläger konnte auch auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub während des bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht wirksam verzichten. Nach § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG kann abgesehen von § 7 Abs. 2 S. 2 BUrlG von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Der Urlaubsanspruch ist damit unverzichtbar. Der gesetzliche Schutzzweck würde verfehlt, wenn der Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung während des Arbeitsverhältnisses durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen oder beschränkt werden könnte.
Hinweis für die Praxis:
Etwas anderes gilt freilich dann, wenn das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist. Im Falle der Beendigung wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG um. Bei diesem Anspruch handelt es sich um einen reinen Geldanspruch. Auf Geldansprüche können die Arbeitsvertragsparteien aber verzichten. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit klargestellt, dass selbst dann, wenn das bevorstehende Ende des Arbeitsverhältnisses bereits verbindlich feststeht, ein vorzeitiger Verzicht auf den späteren Urlaubsabgeltungsanspruch ebenfalls nicht möglich ist. Das Landesarbeitsgericht führt dazu aus, dass die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet und er erst ab diesem Zeitpunkt nicht mehr geschützt werden muss.
IV. Ausgleichsklausel greift ebenfalls nicht
Die Parteien hatten vorliegend die übliche Ausgleichsklausel im Vergleich vereinbart. Auch dazu hat das Landesarbeitsgericht klargestellt, dass eine Ausgleichsklausel mit der Unverzichtbarkeit nach § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG unvereinbar ist. Die Ausgleichsklausel ist insoweit unwirksam.
Fazit:
Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch nicht verzichtet werden. Nur auf die weitergehenden vertraglichen Urlaubsansprüche können sich die Parteien verständigen. Die übliche Formulierung, dass sämtliche Urlaubsansprüche in natura gewährt werden, ist daher unzulässig, wenn der Mindesturlaubsanspruch feststeht und nicht streitig ist. Dann scheidet ein Tatsachenvergleich aus. Selbst wenn feststeht, dass der Mitarbeiter bis zum Beendigungszeitpunkt weiterhin arbeitsunfähig bleibt und seinen Urlaub gar nicht mehr nehmen kann, kommt ein Verzicht nicht in Frage. Auf den Urlaubsabgeltungsanspruch kann man erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verzichten, so jedenfalls das Landesarbeitsgericht. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen. Wir werden über die weitere Entwicklung der Rechtsprechung berichten.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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