Sozialplan: Stichtagsregelung und Ausschluss befristet beschäftigte Arbeitnehmer zulässig?
Sozialpläne dienen dem Ausgleich und der Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die infolge einer Betriebsänderung entstehen. Viele Sozialpläne differenzieren dabei nach bestimmten Arbeitnehmergruppen. So werden z.B. rentennahe Arbeitnehmer bei der Höhe der Abfindungen gedeckelt. Das Bundesarbeitsgericht hatte in einem aktuellen Verfahren zu entscheiden, ob befristet beschäftigte Arbeitnehmer auf Basis einer Stichtagsregelung aus dem Geltungsbereich eines Sozialplans ausgeschlossen werden dürfen (Bundesarbeitsgericht v. 30.1.2024, 1 AZR 62/23). Wir möchten die wichtige Entscheidung hier für die Praxis besprechen.
Der Fall:
Das beklagte Unternehmen betreibt auf Grundlage eines Nutzungsvertrages mit der Berliner Flughafengesellschaft am Flughafen Berlin-Tegel seit dem Jahre 2006 Dienstleistungen in Form der Betankung von Flugzeugen.
Wegen der geplanten Eröffnung des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER) zum 3.6.2012 kündigte die Flughafengesellschaft den Nutzungsvertrag zum 2.6.2012. Das Unternehmen beschloss darauf hin, den Betrieb zu diesem Zeitpunkt abschließend stillzulegen.
Bekanntlich verzögerte sich die Eröffnung des Flughafens für einen langen Zeitraum. Die Flughafengesellschaft verlängerte daher die Nutzungsverträge bis zur dann tatsächlichen Eröffnung des Flughafens Endes des Jahres 2020.
Das Unternehmen stellte nach Abschluss der ersten Verlängerung Arbeitnehmer nur befristet ein. Weiter vereinbarte sie mit dem Betriebsrat einen Sozialplan, der nach seinem § 1 Abs. 1 „für sämtliche Mitarbeiter der Betriebe (galt), die am 30.6.2012 in einem Arbeitsverhältnis mit der SJS standen“. Ausgenommen war nach § 1 Abs. 2 des Sozialplans „Mitarbeiter, die in einem befristeten Arbeitsverhältnis stehen, gleich wann dieses begründet wurde“.
Der jetzt klagende Arbeitnehmer war befristet vom 8.7.2013 bis zum 30.11.2020 auf der Grundlage zweier befristeter Arbeitsverträge als Flugzeugtankwart beschäftigt. Er machte mit außergerichtlichem Schreiben vergeblich einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach Maßgabe des Sozialplans geltend. Er hat die Auffassung vertreten, der Ausschluss befristet beschäftigter Arbeitnehmer von dessen Geltungsbereich benachteilige ihn ohne sachlichen Grund im Sinne von § 4 Abs. 2 TzBfG und sei deshalb unwirksam.
In erster Instanz hat das Arbeitsgericht den geltend gemachten Abfindungsanspruch in Höhe von 26.560,53 € brutto abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Berufungsverfahren stattgegeben.
Die Entscheidung:
Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht hingegen einen Abfindungsanspruch abgelehnt und festgestellt, dass die im Sozialplan vereinbarte Stichtagsregelung wirksam vereinbart wurde.
I. Betriebsverfassungsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz
Die Betriebsparteien verfügen bei der Ausgestaltung von Sozialplänen über Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume, die Typisierungen und Pauschalisierungen einschließen und zulassen. Sie müssen aber nach § 75 BetrVG den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. Gruppenbildung in Sozialplänen müssen sich an der zukunftsbezogenen Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion des Sozialplans orientieren. Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede bestehen, die diese ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.
II. Ausschluss befristeter Arbeitnehmer zulässig!
Im vorliegenden Fall hatten die Betriebspartner eine Gruppenbildung vorgenommen, in dem sie die Geltung des Sozialplans auf Arbeitnehmer beschränkt haben, die am Stichtag des 30.6.2012 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten standen. Damit haben sie zugleich die danach eingestellten befristeten beschäftigten Arbeitnehmer von dessen Geltungsbereich ausgenommen.
Zwar verbietet § 4 Abs. 2 S. 1 TzBfG eine Ungleichbehandlung befristet beschäftigter Arbeitnehmer wegen der Befristung. Dies gilt aber nur soweit sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen. Daher ist eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer unbefristet und befristet beschäftigter Arbeitnehmer immer dann zulässig, wenn dafür ein sachlicher Grund besteht. Dabei darf der Rechtfertigungsgrund weder unmittelbar noch mittelbar auf Befristung selbst beruhen.
Die befristet beschäftigten Arbeitnehmer nach dem Stichtag konnten bereits von Beginn ihres Arbeitsverhältnisses an nicht die Erwartung haben, dass ihr Arbeitsverhältnis dauerhaft bestehen könnte und sie möglicherweise in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Vielmehr stand zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses fest, dass der Flughafen BER eröffnen und der Flughaften Berlin-Tegel schließen werde. Damit stand auch fest, dass der Arbeitgeber seinen Betrieb dort stilllegen würde. Die Betriebspartner dürften daher typisierend annehmen, dass diese befristet beschäftigten Arbeitnehmer keine durch den Sozialplan auszugleichenden wirtschaftlichen Nachteile haben.
Aus der Tatsache, dass sich die Betriebsstilllegung über sieben Jahre verzögert hat, folgt nichts anderes. Damit mussten die Betriebsparteien bei Abschluss des Sozialplanes nicht rechnen. Zudem hat ein Sozialplan lediglich eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihm vorgesehenen Leistungen sind daher kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste.
Fazit:
Stichtagsregelungen in Sozialplänen sind also zulässig. Befristete beschäftigte Arbeitnehmer können dabei aus dem Geltungsbereich ausgenommen werden, wenn sachliche Gründe für die Differenzierung vorhanden sind. Auf dieser Basis sind die Betriebsparteien befugt, Gruppenbildungen vorzunehmen. Haben bestimmte Mitarbeiter keine Nachteile, müssen sie im Sozialplan nicht berücksichtigt werden.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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