Sachgrundlose Erstbefristung: Zulässige Vorbeschäftigung als Leiharbeitnehmer?
Befristungen können bis zur Dauer von zwei Jahren ohne Sachgrund vereinbart werden. Voraussetzung ist aber, dass der Arbeitnehmer nicht schon bereits zuvor bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war, § 14 Abs. 2 TzBfG. Diese Voraussetzung führt in der Rechtsprechung immer wieder zu Klärungsbedarf. So hat das Bundesarbeitsgericht nun klargestellt, dass eine Vorbeschäftigung auch dann nicht vorliegt, wenn der befristet beschäftigte Arbeitnehmer dem Vertragsarbeitgeber zuvor als Leiharbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen war (BAG v. 5.4.2023, 7 AZR 224/22). Wir möchten die wichtige Entscheidung hier für die Praxis vorstellen.
Der Fall (verkürzt):
Der klagende Arbeitnehmer war bei einem Unternehmen der Automobilindustrie zunächst seit 13.9.2016 als Leiharbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen und dort als Produktionshelfer eingesetzt.
Diese Tätigkeit als Leiharbeitnehmer dauerte bis 31.8.2019 an.
Ab dem 1.9.2019 war dann dieser Leiharbeitnehmer unmittelbar bei dem eingesetzten Unternehmen im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrages bis zum 31.5.2020 befristet beschäftigt. Der Mitarbeiter war weiter am selben Arbeitsplatz und am selben Standort tätig. Der Arbeitgeber teilte dann Mitte Mai 2020 dem Mitarbeiter mit, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Befristung ende und keine Anschlussbeschäftigung mehr angeboten werden könne.
Für den Einsatz als Leiharbeitnehmer in dem vorherigen Zeitraum galten die Bedingungen eines einschlägigen Tarifvertrages, der eine Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten als Einsatzdauer zuließ.
Der Arbeitnehmer hat mit seiner Klage die Unwirksamkeit der Befristung zum 31.5.2020 geltend gemacht. Zudem hat er wegen der Überschreitung der gesetzlichen Überlassungsdauer von 18 Monaten zugleich den Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit seinem Arbeitgeber schon vorher in der Zeit vom 1.11.2018 bis 31.8.2019 geltend gemacht. Er hat dazu die Auffassung vertreten, nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG sei die Befristung ohne Sachgrund unzulässig, weil bereits zuvor ein – wegen Überschreitung der gesetzlich zulässigen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich fingiertes – Arbeitsverhältnis der Parteien bestanden habe. Die im Tarifvertrag festgelegte Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten habe für ihn nicht gegolten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr hingegen stattgegeben.
Die Entscheidung:
Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt. Die Befristung war wirksam.
I. Sachgrundlose Erstbefristung
Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 TzBfG geprüft. Danach kann mit einem Arbeitnehmer eine Befristung von zwei Jahren ohne Sachgrund vereinbart werden. Voraussetzung ist, dass mit demselben Arbeitgeber nicht bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Arbeitgeber im Sinne von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist der Vertragsarbeitgeber. In der Zeit seiner befristeten Beschäftigung war aber der Arbeitnehmer hier mit dem beklagten Arbeitgeber erstmals in Vertragsbeziehungen. Eine Vorbeschäftigung liegt nicht deshalb vor, weil der befristet eingestellte Arbeitnehmer zuvor als Leiharbeitnehmer im gleichen Betrieb auf dem gleichen Arbeitsplatz gearbeitet hat.
Hinweis für die Praxis:
Diese Rechtsprechung ist eindeutig und orientiert sich allein an den Vertragsbeziehungen der Parteien. Es ist also zulässig, einen Leiharbeitnehmer zu übernehmen und ihn dann erstmals im Rahmen einer sachgrundlosen Befristung nochmals für zwei Jahre befristet zu beschäftigen.
II. Zuvor-Beschäftigung wegen unwirksamer Arbeitnehmerüberlassung?
Der Arbeitnehmer hatte hier aber zusätzlich geltend gemacht, die Tätigkeit als Leiharbeitnehmer sei wegen Überschreiten der Überlassungshöchstdauer des § 1 Abs. 1b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) unwirksam. Danach darf der Entleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate tätig werden lassen. Ein Verstoß gegen diese Überlassungshöchstdauer führt zur Unwirksamkeit und vor allem nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG dazu, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Arbeitnehmer fingiert wird. Wenn aber ein solches Arbeitsverhältnis fingiert wird, hat auch bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber im Sinne von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG bestanden. Die Frage war also klärungsbedürftig.
Im vorliegen Fall hat die Überlassung des Klägers an die Beklagte vom 13.9.2016 bis zum 31.8.2019 (ca. 35,5 Monate) die gesetzlich festgelegte Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten zwar überschritten. Diese Überlassungshöchstdauer wurde aber wirksam durch Tarifvertrag auf 36 Monate verlängert, § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG i.V.m. mit dem einschlägigen Tarifvertrag. Die tarifvertraglich vorgesehene Höchstdauer von 36 Monaten wurde hier nicht überschritten. Die allein erforderliche Tarifgebundenheit des Entleihers war gegeben.
Fazit:
Das Bundesarbeitsgericht bekräftigt die Rechtsprechung, wonach Leiharbeitnehmer befristet erstmals beim übernehmenden Einsatzarbeitgeber erneut befristet beschäftigt werden dürfen. Es liegt dann keine Vorbeschäftigung im Sinne des TzBfG vor. Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach dem AÜG kann zwar eine solche Vorbeschäftigung auslösen. Dies gilt aber nicht, wenn die Überlassungshöchstdauer wirksam in einem Tarifvertrag festgelegt wird. Die Entscheidung macht allerdings deutlich, dass die Voraussetzungen für eine wirksame Tätigkeit als Leiharbeitnehmer und die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften des AÜG beachtet werden müssen. Anderenfalls kann die Fiktion des Arbeitsverhältnisses durchaus zu einer einschlägigen Vorbeschäftigung und der damit verbundenen Unwirksamkeit einer sachgrundlosen Erstbefristung führen.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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