
Die Videosprechstunde hat sich trotz bürokratischer Hürden im medizinischen Alltag etabliert. Seit dem 01.03.2025 sind durch die Anlage 31c zum Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) neue Vorgaben für Videosprechstunden und Telekonsilien in Kraft. Die neue Anlage ergänzt die bereits bestehenden Vorschriften für Videosprechstunden und definiert in erster Linie „Qualitätsanforderungen“. Die Regelungen erheben dafür hinaus den Anspruch, die Nutzung digitaler Arzt-Patienten Konsultationen weiter zu fördern.
Einige wesentliche Neuerungen im Überblick
1. Pflicht zur Nutzung der elektronischen Patientenakte
Bei der Durchführung von Videosprechstunden und der Durchführung von Videokonsilien ist nunmehr die Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA) verbindlich. Medizinische Dokumente wie Arztbriefe oder Medikationspläne müssen in digitaler Form über sichere Kanäle übermittelt und in der ePA gespeichert werden. Eine Ausnahme muss natürlich gelten, wenn der Patient der Nutzung der ePA widerspricht.
2. Keine Verpflichtung Videosprechstunden anzubieten
Zwar ist in den neuen Regelungen die Rede davon, dass Vertragsärzte grundsätzlich im Rahmen des medizinisch Sinnvollen und unter Berücksichtigung der organisatorischen Verpflichtungen Videosprechstunden anbieten sollen, dies stellt aber keine Verpflichtung dar.
3. Pflicht, Videosprechstunden transparent auszuweisen
Das Angebot von Videosprechstunden ist gegenüber den Patienten mindestens in den Praxisräumen transparent auszuweisen.
4. Räumliche Nähe von Arzt und Patient
Ab dem 01.09.2025 müssen die für Videosprechstunden genutzten Terminvermittlungslösungen eine vorrangige Vergabe von Videosprechstunden für Patienten sicherstellen, die ihren Wohnort oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der räumlichen Nähe zum Praxissitz haben. Was „räumliche Nähe“ ist, bestimmt sich nach der Anlage 28 (TSS-Vereinbarung) zum BMV-Ä. Ziel dieser Regelung soll die Sicherstellung einer strukturierten Anschlussversorgung sein, falls eine persönliche Behandlung erforderlich wird. Für gewisse Konstellationen (Notdienst, Zweitmeinungsverfahren) sind allerdings Ausnahmen vorgesehen.
5. Keine Videosprechstunden aus dem Ausland
Werden Videosprechstunden außerhalb des „Vertragsarztsitzes“ erbracht, hat diese Tätigkeit im Inland zu erfolgen. Explizit regelt § 8 Abs. 3 der Anlage 31c BMV-Ä: „Eine vertragsärztliche Tätigkeit im Rahmen von Videosprechstunden ist ausgeschlossen, während und solange sich der Vertragsarzt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland befindet“. Weitere Voraussetzung für diese Fälle: Ein voll ausgestatteter Telearbeitsplatz, was einen dedizierten, geschlossenen Raum, telefonische Erreichbarkeit sowie Zugriff und vollständige Nutzbarkeit der elektronischen Patientendokumentation und der Telematikinfrastruktur voraussetzt.
6. Verpflichtende strukturierte Anschlussversorgung
Falls eine Videosprechstunde nicht ausreicht, um den gesamten Behandlungsbedarf eines Patienten zu decken, müssen Ärzte eine gezielte Nachsorge sicherstellen. Dazu gehören Folgetermine in der Praxis, Überweisungen an Fachärzte oder die direkte Ausstellung von Verordnungen. Diese Maßnahme soll eine umfassende Patientenversorgung gewährleisten.
7. Ausschluss bestimmter Medikamentenverschreibung
Die Verschreibung bestimmter Medikamente während einer Videosprechstunde unterliegt künftig strikteren Vorgaben. Insbesondere Betäubungsmittel und suchterzeugende Arzneimittel dürfen „unbekannten Patienten“ nicht verschrieben werden. Was ein „unbekannter Patient“ ist, definieren die neuen Regelungen ebenfalls: Ein unbekannter Patient im Sinne dieser Vereinbarung ist ein Patient, bei dem im Zeitraum der letzten vier Quartale unter Einschluss des aktuellen Quartals vor Durchführung der Videosprechstunde kein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt in der die Videosprechstunde durchführenden Praxis stattgefunden hat.
8. Aufrechterhaltung der „normalen“ Sprechstundenverpflichtung
Die außerhalb des Vertragsarztsitzes durchgeführten Videosprechstunden werden nicht auf die in § 19a der Ärzte-ZV definierte Mindestsprechstundenzeit angerechnet. Dies gilt entsprechend für am Vertragsarztsitz durchgeführte Videosprechstunden außerhalb der Praxisöffnungszeiten.
9. Ersteinschätzungsverfahren
Vor der Terminvergabe an unbekannte Patienten ist eine ausführliche Ersteinschätzung erforderlich. Dabei wird geprüft, ob eine Videosprechstunde überhaupt eine geeignete Behandlungsform darstellt oder ob ein persönlicher Termin oder der Verweis an eine andere Versorgungsstruktur notwendig ist.
10. Priorisierung der Terminvergabe
Eine Priorisierung der Terminvergabe darf lediglich „auf Basis medizinischer Behandlungsbedürftigkeit erfolgen“.
11. Keine isolierten Leistungsangebote
Terminangebote „allein zum Zwecke einer bestimmten Leistung“ sind unzulässig. Beispielhaft wird an dieser Stelle etwa die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genannt.
Fazit: Mehr Licht als Schatten und offene Fragen
Die grundsätzliche Richtung der neuen Regelung ist begrüßenswert. Statt eines früher nur „Dürfens“ ist nun vom „Sollen“ in Bezug auf Videosprechstunden die Rede. Ein klarer Schritt in eine zeitgemäße Versorgungswirklichkeit. Offen erscheint die Frage, wie mit den Vorgaben zur ePA umzugehen ist, so lange der bundesweite Rollout noch auf sich warten lässt. Nach Auffassung des Verfassers können diese Regelungen dann derzeit schlicht noch nicht angewendet werden, was die Verbindlichkeit der anderen Regelungen der neuen Anlage 31c zum BMV-Ä nicht tangieren wird. Über manche Regelungen mag man geteilter Meinung sein, z.B. ob der vollständige Ausschluss der Anrechnung der Zeiten, die für Videosprechstunden aufgewendet wird, auf die Mindestsprechstundenzeiten gerechtfertigt ist. Mit dem Ausschluss der Videosprechstunden aus dem Ausland werden natürlich auch gewisse Formen der „Workation“ und ausländische Anbieter tangiert. Offenbar stand der Grundsatz einer halbwegs großen räumlichen Nähe hier im Vordergrund.
Autor: Wolf Constantin Bartha
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