Soziale Medien mit Kommentarfunktion: Mitbestimmungspflichtige Überwachungseinrichtung?
Der Betriebsrat hat bei der Einführung von technischen Überwachungseinrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitzubestimmen. Das Bundesarbeitsgericht hat dies im Jahre 2016 ausdrücklich für den Betrieb einer Facebook-Seite bejaht. Mit einer ähnlichen Frage hatte sich jetzt das Bundesverwaltungsgericht intensiv zu beschäftigen (BVerwG v. 4.5.2023, 5 P 16/21). Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist differenzierter und schlägt gegenüber der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen pragmatischeren Weg ein.
Der Fall:
Die Deutsche Rentenversicherung Bund betreibt mit anderen Rentenversicherungsträgern im Rahmen der gemeinsamen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur Personalgewinnung verschiedene Kanäle in sozialen Medien, konkret bei Facebook, Instagram und Twitter mit eigenen Seiten und Kanälen.
Die dort eingestellten Beiträge können die Nutzer kommentieren und ggf. dabei auch auf die Mitarbeiter der jeweiligen Dienststelle eingehen.
Die Kommentarfunktion kann nicht deaktiviert werden. Von Nutzern angebrachte Kommentare können von der Rentenversicherung weder mit den vorhandenen Funktionen automatisiert ausgewertet werden, noch ist seitens der Rentenversicherung der nachträgliche Einsatz von Auswertungsprogrammen vorgesehen. Die Löschung von Beiträgen ist möglich.
Der Hauptpersonalrat hatte erfolglos dazu aufgefordert, ein Mitbestimmungsverfahren durchzuführen. Daraufhin wurde das gerichtliche Beschlussverfahren durch den Hauptpersonalrat, gerichtet auf Mitbestimmung, eingeleitet. Gegenstand der Beteiligung ist die Mitbestimmung bei der Einführung von technischen Überwachungseinrichtungen nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG a.F. bzw. der nunmehr anzuwendenden gleichlautenden Vorschrift des § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG.
Das Verwaltungsgericht hat die Mitbestimmung bejaht. Das Oberverwaltungsgericht hat im Beschwerdeverfahren hingegen eine Mitbestimmung verneint.
Die Entscheidung:
Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht eine Mitbestimmung grundsätzlich bejaht, gleichzeitig aber klargestellt, dass sich eine generelle Beantwortung verbietet und die Frage der Mitbestimmung nur nach Maßgabe der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen ist. Diese konkreten Umstände wurden aber von den Vorgerichten noch nicht aufgeklärt. Der Rechtsstreit wurde daher nicht entschieden, sondern nochmals zur weiteren Aufklärung an das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen.
I. Soziale Medien als mitbestimmungspflichtige Überwachungseinrichtung
Das Gericht hat zunächst die generelle technische Einrichtung bei dem Betrieb von sozialen Medien bejaht. Bei den betriebenen Kanälen bzw. Seiten bei Facebook, Instagram und Twitter handelt es sich aufgrund der Kommentarfunktion um technische Einrichtungen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dabei auf die bereits bestehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 2016 (1 ABR 7/15) bezogen und diese bestätigt.
Hinweis für die Praxis:
Damit liegt bereits in dem bloßen Speichern von Nutzerkommentaren mit verhaltens- oder leistungsbezogenen Angaben zu einzelnen Beschäftigten eine selbstständige Leistung der technischen Einrichtung.
II. Einrichtung ist auch zur Überwachung „bestimmt“
Ebenfalls in Einklang mit der parallelen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur nahezu gleichlautenden Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist bei der Auslegung, ob eine technische Einrichtung im Sinne des Mitbestimmungstatbestandes dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu beurteilen, von einer objektiv-finalen Betrachtungsweise auszugehen. Somit unterliegen diejenigen technischen Einrichtungen der Mitbestimmung, die nach ihrer Konstruktion oder konkreten Verwendungsweise eine Überwachung von Verhalten oder Leistung der Beschäftigten ermöglichen. Damit erstreckt sich die Mitbestimmung auch auf solche technischen Einrichtungen, die zur Überwachung lediglich objektiv geeignet sind, ohne dass die Dienststellenleitung bei ihrer Einführung und Anwendung subjektiv die Absicht hat, sie zu diesem Zweck einzusetzen.
Hinweis für die Praxis:
Diese Rechtsprechung ist von großer Bedeutung bei der Einführung von technischen Überwachungseinrichtungen. Die objektive Eignung ist der alleinige Auslöser für die Mitbestimmung. Die Frage, ob eine subjektive Überwachung überhaupt beabsichtigt oder geplant ist, spielt daher keine Rolle!
III. Neuer Prüfungspunkt: Konkrete Überwachung gegeben?
Das Bundesverwaltungsgericht hat nun aber einen neuen Prüfungspunkt eingeführt. Bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung ist auch das tatsächliche Verhalten der Nutzer einzubeziehen. Der Schutzzweck der Mitbestimmung orientiert sich an dem möglichen Überwachungsdruck der Beschäftigten, die durch Kommentare der Nutzer ausgelöst werden. Das Gericht verlangt daher die Prüfung, ob es überhaupt zu solchen Kommentaren kommt, wie lange diese in den Profilen erscheinen und ob die Dienststelle diese Kommentare unverzüglich wieder löscht. Nur so kann festgestellt werden, ob tatsächlich ein Überwachungsdruck für die Beschäftigten erzeugt wird.
Hinweis für die Praxis:
Damit relativiert das Bundesverwaltungsgericht die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung kommt es auf die Wahrscheinlichkeit nicht an, so dass letztlich in allen Fällen der objektiven Eignung die Mitbestimmung schon bejaht wird. Das Bundesverwaltungsgericht verlangt nun zusätzlich konkrete Auswirkungen. Das ist zu begrüßen.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
Auszeichnungen
-
TOP-Wirtschaftskanzlei für Arbeitsrecht(FOCUS SPEZIAL 2024, 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht(WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen(WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen(WirtschaftsWoche 2023, 2020)
Autor
UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME
UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME
Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.