19.03.2025 -
Muss ein Betriebsrat bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung mitbestimmen können? Das Arbeitsgericht Minden hatte nun zu entscheiden, ob die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Regelung der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung zulässig ist.
Muss ein Betriebsrat bei der Ausgestaltung einer Arbeitszeiterfassung beteiligt werden? (credits: adobestock)

Wir haben über die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mehrfach berichtet. Eine gesetzliche Regelung steht weiter aus. Arbeitgeber sind danach auf Basis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Zwischen den Betriebsparteien kommt es dabei immer wieder zu Streit über die Frage, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht in dem Sinne zusteht, dass er bei fehlender Arbeitszeiterfassung die Einführung verlangen kann (das „Ob“). Besteht eine Arbeitszeiterfassung streiten die Betriebsparteien weiter über die Frage der Ausgestaltung des Arbeitszeiterfassungssystems (das „Wie“). Das Arbeitsgericht Minden hat in einem aktuellen Beschluss entschieden, dass die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Regelung der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung zulässig ist, selbst dann, wenn bereits ein System zur Arbeitszeiterfassung besteht (Arbeitsgericht Minden v. 10.1.2024, 3 BV 35/23).

Der Fall:

Bei den Beteiligten des Rechtsstreits handelt es sich um zwei Arbeitgeber, die zusammen einen gemeinsamen Betrieb mit über 100 Betreuungsplätzen im Rahmen einer sogenannten „besonderen Wohnform“ betreiben. Der weitere Beteiligte ist der für diesen Gemeinschaftsbetrieb gewählte Betriebsrat.

Die Arbeitgeber erfassen bereits die Arbeitszeit über eine Software, mit dem sogenannten „Clinic Planer“. Sie sind deshalb der Auffassung, dass eine weitere Mitbestimmung insoweit nicht mehr bestehen kann. Sie würden die gesetzliche Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit erfüllen, so dass dem Betriebsrat das geltend gemachte Initiativrecht zur Arbeitszeiterfassung nicht zustehe.

Der Betriebsrat ist hingegen der Auffassung, das „Wie“ der Ausgestaltung mitbestimmen zu können und macht insoweit sein Initiativrecht geltend. Da die Arbeitgeber die Mitbestimmung verweigerten, hat der Betriebsrat die Verhandlungen für gescheitert erklärt und die Einsetzung der Einigungsstelle beim Arbeitsgericht beantragt.

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben.

I. Einsetzung einer Einigungsstelle

Die Einsetzung einer Einigungsstelle durch das Arbeitsgericht ist in dem speziellen Verfahren nach § 100 ArbGG geregelt. Es handelt sich um ein besonders beschleunigtes Beschlussverfahren. Die Einlassungs- und Ladungsfristen sind verkürzt.

Die Besonderheit des Verfahrens liegt darin, dass einem Antrag auf Einsetzung der Einigungsstelle nur dann nicht stattgegeben werden darf, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist.

II. Offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle

Eine Einigungsstelle ist dann offensichtlich unzuständig, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt infrage kommt und sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsummieren lässt.

Hinweis für die Praxis:

Eine offensichtliche Unzuständigkeit kann sich beispielsweise aus einer schon bestehenden gesetzlichen Regelung ergeben. Sie kann auch bei einer gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vorliegen.

II. Mitbestimmung bei Arbeitszeiterfassung

Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Arbeitszeiterfassung ist vieldiskutiert. Folgende Grundsätze haben sich dazu bislang herauskristallisiert. Ein Mitbestimmungsrecht besteht nicht für die generelle Frage, ob ein System zur Arbeitszeiterfassung eingeführt werden soll. Ein Mitbestimmungsrecht kann nämlich nur dann greifen, wenn keine gesetzliche Verpflichtung in Frage steht. Dies ist aber bei der Arbeitszeiterfassung nach der geltenden Rechtsprechung der Fall. Der Arbeitgeber ist nach der Rechtsprechung gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG dazu gesetzlich verpflichtet. Damit besteht kein Gestaltungsspielraum, der gemeinsam mit dem Vertretungsgremium verhandelt werden könnte. Aber: Eine Mitbestimmung besteht auf die Ausgestaltung des im Betrieb zu verwendenden Systems zur Erfassung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit. Darüber ist mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Hierüber besteht ein Initiativrecht.

Fazit:

In Anwendung der vorgenannten Grundsätze hat das Arbeitsgericht die Einigungsstelle eingesetzt und eine offensichtliche Unzuständigkeit abgelehnt. Aus der Tatsache, dass die Arbeitgeber bereits ein System der Arbeitszeiterfassung anwenden, ergibt sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts nichts Anderes. Der Betriebsrat muss bei der Ausfüllung der Regelungen beteiligt werden. Das war bislang nicht der Fall und daher für das Arbeitsgericht ausreichend.

Im speziellen Verfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle nach § 100 ArbGG werden üblicherweise die Einigungsstellen zunächst durch die Arbeitsgerichte eingesetzt, wie es auch hier der Fall war. Die eigentliche konkrete Zuständigkeit ist dann aber dennoch im Einigungsstellenverfahren erneut von dem Einigungsstellenvorsitzenden zu prüfen. Es kann also durchaus sein, dass zwar eine Einigungsstelle eingesetzt wird, die Einigungsstelle dann aber im Nachgang ihre Zuständigkeit ablehnt.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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