17.07.2024 -
Die Inflationsausgleichsprämie ist eine freiwillige Leistung. Der Arbeitgeber entscheidet allein über das „Ob“ und die Höhe der Leistung.
Auch bei der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie darf der Arbeitgeber befristet beschäftigte Arbeitnehmer nicht benachteiligen (credits: adobestock).

Die Inflationsausgleichsprämie ist eine freiwillige Leistung. Der Arbeitgeber entscheidet allein über das „Ob“ und die Höhe der Leistung. Im Grundsatz kann er auch frei entscheiden, welchen weiteren Zweck er mit der Sonderzahlung verbinden möchte. Allerdings darf der Arbeitgeber dann nicht gegen arbeitsrechtliche Grundprinzipien verstoßen, insbesondere gegen das Verbot, befristet beschäftigte Arbeitnehmer zu benachteiligen, § 4 Abs. 2 TzBfG. Das Arbeitsgericht Stuttgart hat dies in einem aktuellen Urteil bestätigt (ArbG Stuttgart v. 14.11.2023, 3 Ca 2713/23).

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Steuerberater als Steuerassistent in Teilzeit mit 30 Stunden pro Woche beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war zunächst vom 14.2.2022 bis zum 13.6.2022 befristet. Die Befristung wurde am 6.5.2022 bis zum 30.6.2023 verlängert.

Im Dezember 2022 teilte der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern mit, dass festangestellte Mitarbeiter im Januar 2023 unabhängig vom Beschäftigungsgrad oder der Betriebszugehörigkeit eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.000,00 € erhalten. Für den Erhalt der Zahlung gab der Arbeitgeber u.a. folgende Voraussetzungen vor:

„1. Wer erhält eine Inflationsausgleichsprämie im Januar 2023?

Jede/r Mitarbeiter/in erhält eine Inflationsausgleichsprämie im Januar 2023, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

1. Es besteht ein aktives Beschäftigungsverhältnis im Dezember 2022.

2. Es besteht ein ungekündigtes Beschäftigungsverhältnis zum Zeitpunkt der Gehaltsabrechnung im Januar 2023.

3. Im Falle einer Befristung muss das Befristungsende am 31.12.2023 oder später liegen…“

Dem Kläger wurde die Inflationsausgleichsprämie nicht ausgezahlt. Daraufhin machte er die Zahlung schriftlich geltend und erhob nach Ablehnung Zahlungsklage vor dem Arbeitsgericht.

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht hat dem Arbeitnehmer die volle Inflationsausgleichsprämie zugesprochen.

I. Anspruchsvoraussetzungen zunächst nicht erfüllt

Ein Anspruch auf Basis der mitgeteilten Voraussetzungen stand dem Arbeitnehmer nicht zu. Es handelte sich hierbei um eine Gesamtzusage des Arbeitgebers, die an mehrere Bedingungen geknüpft war. Der Kläger stand im Dezember 2022 in einem aktiven Beschäftigungsverhältnis. Dieses Arbeitsverhältnis war zum Zeitpunkt der Gehaltsabrechnung im Januar 2023 auch nicht gekündigt. Jedoch war sein Arbeitsverhältnis nur bis zum 30.6.2023 befristet, so dass er die dritte Anspruchsvoraussetzung nicht erfüllt hat und ihm die Zahlung daher auch nicht gewährt worden ist.

II. Verbot der Schlechterstellung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern

Das Arbeitsgericht hat den Anspruch auf Zahlung der Inflationsausgleichsprämie jedoch auf § 4 Abs. 2 TzBfG gestützt. In der Gesamtzusage sind die befristet beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber vergleichbar unbefristeten Arbeitnehmern ohne sachliche Rechtfertigung nach Auffassung des Arbeitsgerichts schlechter gestellt worden.

Nach § 4 Abs. 2 S. 1 TzBfG darf ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer wegen der Befristung des Arbeitsvertrages nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Diese unterschiedliche Behandlung aufgrund sachlicher Gründe gilt auch für die Differenzierung beim Arbeitsentgelt und anderen teilbaren geldwerten Leistungen.

Hinweis für die Praxis:

Die Schlechterstellung muss also durch genau bezeichnete konkrete Umstände gerechtfertigt sein. Die Schlechterstellung muss einem billigenswertem Bedürfnis des Unternehmers entsprechen und geeignet und erforderlich sein. Die Grundsätze hat in vollem Umfang der Arbeitgeber zu beweisen.

III. Berücksichtigung der Betriebstreue zulässig?

Das Arbeitsgericht setzt sich dann mit der Frage auseinander, ob die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie überhaupt mit weiteren Zwecken, wie hier der künftigen Betriebstreue verbunden werden darf. Das Gericht hat dies bejaht. Dabei stützt es sich u.a. auch auf Ziffer 9 FAQ des Bundesministeriums der Finanzen zur Inflationsausgleichsprämie nach § 3 Nr. 11c EStG, wonach weitere Zahlungsbedingungen der Steuerfreiheit der Inflationsausgleichsprämie nicht entgegenstehen und deren Zulässigkeit sich nach dem Hinweis in den FAQ nach dem Arbeitsrecht richten soll. Dabei führt das Bundesfinanzministerium ausdrücklich die Betriebszugehörigkeit und die Möglichkeit der Rückforderung der Prämie bei Kündigungen an bestimmten Zeiträumen an.

Klassische Stichtagsklauseln dürfen daher, so das Arbeitsgericht, vereinbart werden. Daher ist es auch zulässig, die Betriebstreue als Zweck in die Zahlungsvoraussetzungen aufzunehmen. Aber: Bei Sonderzahlungen, die die Betriebstreue belohnen, müssen die Grundsätze des § 4 Abs. 2 TzBfG beachtet werden. Insbesondere darf eine Sonderzahlung an einen befristet beschäftigten Arbeitnehmer nicht von einer längeren Betriebstreue als bei einem unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer abhängig gemacht werden. Die Betriebstreue beider Arbeitnehmergruppen muss vielmehr gleich bewertet werden.

Befristet beschäftigten Arbeitnehmer dürfen nicht benachteiligt werden

Der Arbeitgeber hat aber im vorliegenden Fall unterschiedliche Stichtage für befristet und unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer angewandt. Für beide Arbeitnehmergruppen gilt der Auszahlungszeitpunkt – Januar 2023 – als Stichtag, bei dem das Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses vorausgesetzt wird. Für die befristet beschäftigten Arbeitnehmer gilt darüber hinaus der weitere Stichtag 31.12.2023.

Das stellt eine Ungleichbehandlung dar. Während unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern die Inflationsausgleichsprämie auch dann gewährt wird, wenn sie im Zeitraum von Februar bis zum 30.12.2023 vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag ausscheiden, erhalten befristet beschäftigte Arbeitnehmer die Zahlung nur dann, wenn ihre Befristung am 31.12.2023 oder später endet. Im Extremfall könnte ein unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer am 1.2.2023 das Arbeitsverhältnis fristlos beenden und hätte trotzdem Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie, während ein bis 30.12.2023 befristet beschäftigter Arbeitnehmer trotz deutlich längerer Betriebstreue von der Zahlung ausgenommen bleibt.

Die Differenzierung lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass bei unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern ein Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.12.2023 anzunehmen ist, während bei befristet beschäftigten Arbeitnehmern deren Ausscheiden bereits zum Stichtag feststeht. Dieser Zeitraum überschreitet auch die maximale gesetzliche Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGG von sieben Monaten oder vergleichbaren tarifvertraglichen Kündigungsfristen, z.B. nach dem TVöD von sechs Monaten zum Quartal.

Hinweis für die Praxis:

Im Zeitpunkt des Stichtages Januar 2023 konnte demnach weder bei unbefristeten noch bei befristet beschäftigten Arbeitnehmern eine sichere Prognose über deren Ausscheiden getroffen werden. Damit lag eine Schlechterstellung im Sinne von § 4 Abs. 2 TzBfG des befristet beschäftigten Arbeitnehmers und Klägers vor.

Fazit:

Die Gewährung von Inflationsausgleichsprämien ist freiwillig. Arbeitgeber können daher frei darüber entscheiden, in welcher Höhe sie die Prämie gewähren wollen. Wird aber die Prämie mit weiteren Zwecken verbunden, greifen arbeitsrechtliche Grundsätze, insbesondere das Verbot der Schlechterstellung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern nach § 4 Abs. 2 TzBfG. Werden also Voraussetzungen gemacht, müssen diese sachlich gerechtfertigt sein.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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