19.07.2023 -
Eine fristlose Kündigung ist wirksam, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht.
Erstattung einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber nur aus wichtigem Grund (credit: adobe stock)

An die Wirksamkeit und Berechtigung von fristlosen Kündigungen werden zu Recht hohe Anforderungen gestellt. Regelmäßig müssen die vertraglichen Hauptpflichten erheblich verletzt sein. Allerdings kann auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung ausnahmsweise zu rechtfertigen. Einen solchen Fall hatte jetzt das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zu entscheiden (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz v. 11.5.2022, 2 Sa 349/21). Der Entscheidung ist uneingeschränkt zuzustimmen und wir wollen hier die wesentlichen Grundsätze darstellen.

Der Fall (verkürzt):

Die klagende Arbeitnehmerin ist bei dem beklagten Arbeitgeber seit 1. März 2019 als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung beschäftigt. Das Unternehmen beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

Die Klägerin äußerste gegenüber ihrem Kollegen ein Jahr nach der Einstellung erstmals im März 2020 die Befürchtung, man wolle ihr kündigen. Weiter äußerte sie mehrfach gegenüber dem Vorstand, dass sie sich überwacht fühle und glaube, dass eine Software eingesetzt werde, um sie zu überwachen. Diese Befürchtungen äußerte sie auch gegenüber dem Finanzleiter. Dieser versicherte ihr in einem Personalentwicklungsgespräch im Oktober 2020, dass weder eine Beobachtung ihrer Person beabsichtigt sei noch eine entsprechende Überwachungssoftware eingesetzt werde.

Die Klägerin äußerste jedoch nur wenige Tage später erneut gegenüber dem Finanzleiter, dass sie sich weiterhin überwacht fühle. Dieser forderte sie dann deutlich und eindringlich auf, diese Vorwürfe künftig zu unterlassen, insbesondere auch nicht gegenüber Dritten zu erheben.

Am 6. November 2020 ging bei dem Arbeitgeber ein Anruf der Polizei ein, die dem Finanzleiter durchgestellt wurde. Der Polizeibeamte berichtete, dass die Klägerin eine Anzeige aufgeben wolle wegen offensichtlich ungerechtfertigter Überwachung ihrer Person. Der Finanzleiter wies den Polizeibeamten darauf hin, dass die geäußerten Behauptungen jeder Grundlage entbehrten. Am gleichen Tag unterzeichnete die Arbeitnehmerin die zuvor von ihr bereits online erstattete Strafanzeige.

In der Folgezeit setzte sich auch die Polizei mit dem Arbeitgeber in Verbindung, um nach den von der Klägerin behaupteten Anschuldigungen zu befragen. Alle Anschuldigungen konnten nicht bestätigt werden. Das von der Staatsanwaltschaft eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde wegen fehlendem hinreichendem Tatverdacht eingestellt.

Der Arbeitgeber kündigte der Arbeitnehmerin fristlos am 19. November 2020, hilfsweise ordentlich.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung zur fristlosen Kündigung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt. Das Arbeitsverhältnis wurde fristlos wirksam beendet.

I. Verletzung vertraglicher Nebenpflichten

Eine fristlose Kündigung ist wirksam, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die nach § 241 Abs. 2 BGB jeder der Partei des Arbeitsvertrages obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners.

Die Erstattung einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder eines seiner Repräsentanten kann ein solcher wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein, wenn der Arbeitnehmer dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat oder die Strafanzeige eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seines Repräsentanten darstellt.

II. Wichtiger Grund bei fehlendem Anlass erforderlich

Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft ist im Regelfall noch keine Pflichtverletzung. Bei der Strafanzeige handelt es sich um ein staatsbürgerliches Recht. Aber: Dies gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitnehmer dabei wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat. Weiter kann ausnahmsweise eine vertragswidrige Pflichtverletzung vorliegen, wenn trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts für das Vorliegen der nach dem Straftatbestand erforderlichen Absicht keine Anhaltspunkte bestehen und die Strafanzeige sich deshalb als leichtfertig und unangemessen erweist. Zwar sind auch die in Strafanzeigen enthaltenen Werturteile von Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. Dieses Grundrecht wird aber nicht vorbehaltlos gewährt, sondern steht unter dem Schrankenvorbehalt der allgemeinen Gesetze. Das erfordert eine fallbezogene Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem vom grundrechtbeschränkenden Gesetz, hier die Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Arbeitgeber aus § 241 Abs. 2 BGB, geschützten Rechtsgut.

Die Anzeige des Arbeitnehmers darf sich deshalb mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf sein Verhalten oder das seiner Repräsentanten darstellen. Dabei können als Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion sowohl die Berechtigung der Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen.

Hinweis für die Praxis:

Eine Strafanzeige ist insbesondere dann unverhältnismäßig, wenn sich die Vorwürfe als völlig haltlos erweisen. In solchen Fällen besteht auch für den Antragsteller objektiv kein Anlass die staatliche Strafverfolgung zu initiieren. Eine Strafanzeige kann dann zu einer höheren Beeinträchtigung des Ansehens des Arbeitgebers und seines Unternehmens oder seiner Repräsentanten führen.

Fazit:

Die Arbeitnehmerin hatte hier keine hinreichenden Anhaltspunkte für die von ihr erhobenen Vorwürfe. Sie konnte diese auch nicht räumlich, zeitlich oder inhaltlich konkretisieren. Die Vorwürfe waren letztlich, wie das Gericht klargestellt hat, in keiner Weise nachvollziehbar. Vielmehr blieben die Vorwürfe unklar und nebulös. Die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung waren daher erfüllt. Der Arbeitgeber musste auch keine vorherige Abmahnung aussprechen.

Autor:

Prof. Dr. Nicolai Besgen

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