Lieferketten-Compliance, Menschenrechte und Umweltschutz: weitere Verschärfungen für Unternehmen drohen!

Gut gemeint und schlecht gemacht? Die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie sorgte in den vergangenen Wochen europaweit für Schlagzeilen. Hintergrund ist, dass das EU-Parlament seine Stellungnahme zum umstrittenen Vorschlag der EU-Kommission für eine EU-Lieferkettenrichtlinie nun abgegeben hat.

EU-Lieferkettengesetz: Compliance, Menschenrechte, Umweltschutz: Die  EU-Lieferkettenrichtlinie sorgt europaweit für Schlagzeilen.
Gut gemeint und schlecht gemacht? Die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie sorgte in den vergangenen Wochen europaweit für Schlagzeilen. (credit: adobestock)

Was kann der Stellungnahme entnommen werden und worauf müssen sich Unternehmen künftig einstellen?

Nachdem die EU-Kommission im Februar 2022 einen Entwurf für eine sog. EU-Lieferkettenrichtlinie vorlegte (COM (2022) 71 final, 23. Februar 2022), nahm bereits der EU-Ministerrat im November 2022 seinen Standpunkt zu dem Kommissionsentwurf ein (15024/1/22 REV 1). Damit der Ministerrat und das EU-Parlament in Verhandlungen einsteigen können, bedurfte es nunmehr der Stellungnahme des EU-Parlaments, die am 1. Juni 2023 erfolgte.

Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission aus dem Jahr 2022 dient der Etablierung umfangreicher Sorgfaltspflichten europäischer Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette (ausführlich zum Kommissionsentwurf unser Homepagebeitrag „Die Europäische Union (EU) zieht nach – Kommissionsvorschlag für ein europäisches Lieferkettenschutzgesetz!“). Neben der Pflicht zur Verhinderung negativer Auswirkungen auf Menschenrechte, die bereits im deutschen Lieferkettengesetz (LkSG) – in Kraft getreten Anfang 2023 – verankert ist, sollen Unternehmen künftig auch negative Umweltfolgen abwenden.

Der Entwurf fügt sich in eine Reihe von Gesetzgebungsvorhaben der EU ein, die der Erreichung der ambitionierten Klimaziele und der Verwirklichung menschenrechtlicher Standards durch europäische Unternehmen dienen. Das Ziel, bis 2050 Europa in einen klimaneutralen Kontinent mit einer treibhausgasneutralen Wirtschaft zu transformieren, sei – so die EU-Kommission – nur durch ein umfangreiches Pflichtenprogramm europäischer Unternehmen zu verwirklichen.

Der Entwurf des sog. „EU-Lieferkettengesetzes“ soll nach der Vorstellung des EU-Parlamentes daher nochmals deutlich verschärft werden.

Im Folgenden werden die Änderungsvorschläge des EU-Parlaments kurz dargestellt:

Welche Schwellen sollen nun für die Größe der Unternehmen gelten?

Die Schwelle der erforderlichen Größe eines Unternehmens, um von der EU-Richtlinie erfasst zu werden, soll deutlich gesenkt werden: Europäische Unternehmen mit mehr als 250 Angestellten und 40 Millionen Euro Jahresnettoumsatz sollen per se vom Anwendungsbereich der auf der Lieferkettenrichtlinie beruhenden nationalen Umsetzungsgesetze erfasst sein. Dabei soll – anders als noch im Kommissionsentwurf aus 2022 – die Branche, in dem das in Europa ansässige Unternehmen tätig ist, keine Rolle spielen. Muttergesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von über 150 Millionen Euro sollen auch erfasst werden.

Interessant ist, dass die Richtlinie auch außereuropäische Unternehmen betrifft, die in Europa tätig sind. Nichteuropäische Unternehmen sind solche, die nach den Rechtsvorschriften eines Drittstaates gegründet wurden. Sie werden erfasst, soweit sie mindestens einen weltweiten Jahresnettoumsatz von über 150 Millionen Euro aufweisen und wenigstens 40 Millionen Euro im europäischen Binnenmarkt erzielen.

In die Berechnung der Beschäftigtenzahl sind Arbeitnehmer im klassischen Sinne als auch Mitarbeiter in atypischen Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit, Teilzeitarbeit oder eine vom Unternehmen abhängige selbstständige Tätigkeit einzubeziehen. Dabei sind Mitarbeiter von Zweigniederlassungen und Tochterunternehmen ebenfalls zu berücksichtigen, wenn das Mutterunternehmen über diese Kontrolle ausübt.

Fällt ein Unternehmen nicht unter die vorgenannten Mindestschwellenwerte, kann es dennoch mittelbar an Lieferketten-Sorgfaltspflichten gebunden sein, wenn es Teil einer Wertschöpfungskette eines verpflichteten Unternehmens ist und vertraglich zur Einhaltung der Lieferkettenstandards verpflichtet wird (sog. Vertragskaskade). Insoweit ist absehbar, dass mittelbar auch kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) Lieferkettenpflichten einzuhalten haben. In der Praxis zeigt sich dies schon an den Lieferkettensondervereinbarungen von Großunternehmen mit ihren unmittelbaren und/oder mittelbaren Zulieferern im Sinne des LkSG.

Was müssen Unternehmen beachten?

Die Unternehmen treffen Sorgfaltspflichten im eigenen Betrieb, im Betrieb von Tochterunternehmen, die sie kontrollieren, und in ihren direkten und indirekten Geschäftsbeziehungen. Menschen- und umweltrechtliche Belange in der Wertschöpfungskette sind zu ermitteln. Es sind ferner Präventions- sowie Beseitigungsmaßnahmen zu ergreifen. Auch besteht eine Dokumentationspflicht hinsichtlich der ergriffenen Maßnahmen.

Der Richtlinienentwurf verpflichtet Unternehmen künftig zur umfassenden Beobachtung von tatsächlichen und potentiellen Auswirkungen auf das Klima, die Umwelt und Menschenrechte (risk-based approach). Werden Risiken erkannt, sind sie weitestgehend zu vermeiden. Außerdem sind die ergriffenen Maßnahmen zu überwachen und in einem jährlichen Bericht zu dokumentieren. Es ist also die Einrichtung eines geeigneten Compliance-Management-Systems (CMS) unerlässlich, das auch Monitoring-Mechanismen umfasst. Die Etablierung von Lieferketten-Compliance-Maßnahmen betrifft dabei nicht nur große, sondern auch mittelständische und kleine Unternehmen, sofern sie Glied einer Lieferkette-/Wertschöpfungskette sind.

Besonders brisant ist der Änderungsvorschlag des EU-Parlaments dahingehend, dass sich die Sorgfaltspflichten nicht mehr bloß auf etablierte Geschäftsbeziehungen erstrecken. Etablierte Geschäftsbeziehungen sind solche, die von Dauer sind und hinreichende Bedeutung für die Wertschöpfungskette des verpflichteten Unternehmens entfalten. Durch die Abkehr von diesem noch im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Erfordernis soll jede direkte und indirekte Geschäftsbeziehung in die Lieferketten-Compliance einbezogen werden. Das wird eine signifikante Erweiterung der Lieferkettenpflichten für Unternehmen im Gepäck haben.

Die Wertschöpfungskette erfasst sowohl nach der Vorstellung der Kommission als auch der Vorstellung des EU-Parlaments nicht nur die Zulieferer („Upstream-Aktivitäten“), sondern auch den Vertrieb, den Verkauf sowie die Entsorgung („Downstream-Aktivitäten“). In den Änderungsvorschlägen des EU-Parlaments wird nunmehr klargestellt, dass die Abfallentsorgung durch den Endverbraucher aber ausgenommen werden soll. Das scheint nur eine logische Konsequenz zu sein, wenn man nicht die operativen Unternehmen vor völlig unlösbaren Aufgaben stellen möchte.

Welche Sanktionen drohen nun?

Das EU-Parlament konkretisiert die Vorgaben für etwaige Sanktionen gegen die Unternehmen, die gegen Vorgaben aus dem „EU-Lieferkettengesetz“ verstoßen. Die öffentliche namentliche Nennung von „Lieferkettensündern“ kann nach dem in der Praxis bewährten Prinzip des „Naming & Shaming“ Abschreckungswirkung haben. Bekannt ist dieser Mechanismus unter anderem bei Verstößen gegen Transparenzregistermeldungen. Daneben droht künftig die Rücknahme der Waren eines Unternehmens vom Markt. Soweit Geldbußen von den nationalen Aufsichtsbehörden verhängt werden, sollen diese mindestens fünf Prozent des Jahresnettoumsatzes umfassen.

Beibehalten werden soll die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Etablierung einer zivilrechtlichen Haftung der Unternehmen, soweit es im Zuge der Missachtung der Sorgfaltspflichten zu einem konkreten Schaden kommt. Gleiches gilt für die Errichtung eines Beschwerdeverfahrens für Betroffene und NGOs.

Um Sanktionen zu vermeiden, ist den Unternehmen die umfangreiche Dokumentation der ergriffenen Maßnahmen – wie Controlling, Abhilfe usw. – zu empfehlen. Damit kann eine Haftung für Schäden, die durch Geschäftspartner verursacht wurden, vermieden oder zumindest eingeschränkt werden.

Ausblick und Fazit – sollten Unternehmen jetzt schon tätig werden?

Mit Blick auf die Änderungsvorschläge des EU-Parlaments zum Richtlinienentwurf der Kommission zu einem „EU-Lieferkettengesetz“ bleiben die Verhandlungen im Machtdreieck der EU – zwischen Ministerrat, Kommission und Parlament – abzuwarten. Man kann allerdings erkennen, dass es dem Willen des Parlaments entspricht, den Entwurf der EU-Kommission zu verschärfen. Vor dieser Verständniskulisse kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch zu weiteren Verschärfungen des „EU-Lieferkettengesetzes“ kommen wird.

Aufgrund des umfangreichen Pflichtenkatalogs nach dem geplanten „EU-Lieferkettengesetz“ droht Unternehmen ein hoher bürokratischer Mehraufwand. Für große Konzerne wäre die Einhaltung der vorgeschlagenen Sorgfaltspflichten im EU-Richtlinienvorschlag mit Sicherheit ein zu bewältigendes Pflichtenprogramm. Zu beachten ist allerdings, dass nach den Vorschlägen des EU-Parlaments schon Unternehmen mit nur 250 Beschäftigten erfasst werden, wobei dem Begriff des Beschäftigten ein sehr weites Verständnis zugrunde gelegt werden soll. Gerade Familienunternehme sowie kleinere und mittelgroße Unternehmen könnten vor dem Verwaltungsmehraufwand zurückschrecken und sich dazu genötigt sehen, Lieferketten zu verkürzen, indem sie sich aus bestimmten Drittstaaten zurückziehen.

Außerdem ist abzusehen, dass große, in den Anwendungsbereich der Lieferkettenrichtlinie fallende Unternehmen die Einhaltung der menschen- und umweltrechtlichen Standards von ihren Vertragspartnern entlang der gesamten Wertschöpfungskette fordern werden (sog. Trickle Down Effekt) – nicht zuletzt deshalb, weil die Großunternehmen hierzu durch das „EU-Lieferkettengesetz“ verpflichtet werden. Insoweit werden die Lieferketten-Pflichten aus der EU-Richtlinie mittelbar auch Unternehmen kleinerer oder mittelbarer Größe betreffen, die unterhalb der Anwendungsschwellen (z.B. 250 Angestellte und 40 Millionen Euro Jahresnettoumsatz) liegen.

Anzumerken ist ferner, dass die durchaus erstrebenswerten Ziele des Richtlinienentwurfes unter der Prämisse einer fehlerhaften Bestandsaufnahme zu stehen scheinen: Eine nachvollziehbare Darlegung des Umstands, dass europäische Unternehmen und ihre Tochtergesellschaften selbst oder in ihren Geschäftsbeziehungen strukturell menschenrechtliche Auswirkungen außer Acht lassen, bleibt die EU-Kommission als auch das EU-Parlament schuldig. Vor allem mittelgroße Unternehmen könnten vor einem unternehmerischen Engagement in bestimmten Drittstaaten Abstand nehmen. Ob der Rückzug europäischer Unternehmen, die im regionalen Vergleich des Gaststaates in der Regel hinsichtlich ihrer Arbeits- und Menschenrechtsstandards für die einheimische Bevölkerung attraktive Arbeitgeber darstellen, der Verbesserung der menschenrechtlichen Situation vor Ort dient, ist jedenfalls fragwürdig.

In den Verhandlungen des EU-Parlaments war nunmehr aus einigen Fraktionen überraschend deutlicher Gegenwind zu spüren. Warum bei den EU-Parlamentariern erst jetzt die Bedeutung der infrage stehenden Richtlinie für die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen im globalen Kontext Beachtung findet, verwundert aufgrund des weitreichenden und unter Umständen abschreckenden Pflichtenkatalogs sehr.

Nichtsdestotrotz ist den Unternehmen zu empfehlen, sich frühzeitig auf ein umfangreiches und weitgehendes „EU-Lieferkettengesetz“ einzustellen, um die Lieferkettenstandards im Bedarfsfall einhalten zu können. Nur so dürfte das Unternehmen drohenden Sanktionen und negativen Auswirkungen auf die finanzielle Situation des Unternehmens entgegenwirken können.

Bei Fragen zur Lieferketten-Compliance oder insgesamt zum Thema „Environmental, Social & Governance“ (ESG) können Sie sich gerne unmittelbar an den Autor dieses Beitrags wenden.

Autoren:

RA Dr. Karl Brock

Wissenschaftlicher Mitarbeiter Vinzenz Boddenberg

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • „Mit ihrer Weitsicht [beim Thema ESG] ist [MEYER-KÖRING] weiter als viele Wettbewerber.“
    (JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2022/23)

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