Erneut gibt die Finanzrechtsprechung (Finanzgericht Münster, 6 K 2489/22 E) einen aktuellen Anlass, sich mit dem gar nicht so seltenen entgeltlichen Verzicht auf ein Nießbrauchrecht an einem Grundstück als Alternative zum unentgeltlichen Verzicht zu befassen.
I. Vorbemerkung: Gründe für die entgeltliche Aufhebung eines Nießbrauchrechts
1. Ausgleich für den Berechtigten:
- Der Nießbrauchberechtigte verliert durch die Aufhebung sein in der Regel lebenslanges Nutzungsrecht als Einkunftsquelle, die einen erheblichen wirtschaftlichen Wert haben kann (z. B. Wohnrecht, Erträge aus der Nutzung einer Immobilie). Eine Entschädigungszahlung stellt sicher, dass der Berechtigte finanziell abgesichert wird.
- „Schnelles Geld ist gutes Geld“.
2. Wertsteigerung der Immobilie:
- Für den Eigentümer der Immobilie kann die Aufhebung des Nießbrauchs von Vorteil sein, da eine lastenfreie Immobilie in der Regel einen höheren Marktwert hat. Dies ist besonders relevant, wenn der Eigentümer die Immobilie verkaufen oder beleihen möchte.
- Wird die Immobilie lastenfrei verkauft, kann der Mehrerlös durch die Aufhebung des Nießbrauchs die Kosten der Entschädigung übersteigen.
3. Flexibilität für den Eigentümer:
- Ohne das Nießbrauchrecht ist der Eigentümer wieder uneingeschränkt in der Nutzung und Verfügungsgewalt über die Immobilie. Dies kann wichtig sein, wenn der Eigentümer die Immobilie selbst nutzen oder einer anderen Person zur Verfügung stellen möchte.
4. Kosteneffizienz im Vergleich zu alternativen Lösungen:
- Ein entgeltlicher Verzicht kann günstiger sein als eine langfristige Kompensation oder eine Einigung durch andere Maßnahmen (z. B. monatliche Zahlungen).
- Eine einmalige Abfindung ist häufig günstiger und einfacher zu kalkulieren als langfristige Zahlungen (z. B. Ersatzleistungen wie Mieten oder Renten).
- Der wirtschaftliche Wert des Nießbrauchs hängt regelmäßig von der Restlebensdauer des Berechtigten ab (Statistik, Gesundheitszustand, Lebensalter). Bei einer klaren Kalkulation kann die Entschädigung günstiger ausfallen als eine langfristige Verpflichtung.
Ein einvernehmlicher Verzicht gegen eine Entschädigung kann gerichtliche Auseinandersetzungen und damit verbundene Kosten vermeiden.
5. Steuerliche Aspekte:
- Die Zahlung eines Entgelts an den Nießbrauchberechtigten kann steuerliche Vorteile bringen. In manchen Fällen können solche Zahlungen als steuerlich nutzbare Anschaffungskosten der Immobilie behandelt werden.
- Im Einzelfall Kostenreduzierung möglich, z. B. geringere Schenkungssteuer oder klare Bewertung der Zahlung als Betriebsausgabe.
- Alternative zum unentgeltlichen Verzicht auf das Nießbrauchrecht, der aus steuerrechtlicher Sicht eine grundsätzlich steuerbare Schenkung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG des Nießbrauchers an den Eigentümer ist.
Dann aber stellt sich die Frage: Wie ist der entgeltliche Verzicht für den Verzichtenden steuerlich zu beurteilen?
II. Das Urteil des FG Münster
Am 12. Dezember 2023 entschied das Finanzgericht Münster, dass der entgeltliche Verzicht auf ein Nießbrauchrecht an einem Grundstück keine steuerbare Veräußerung im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG darstellt. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig (Revision eingelegt, Az. BFH IX R 4/24).
1. Sachverhalt
Die Klägerin hatte 2008 durch ein Vermächtnis ihres verstorbenen Ehemannes ein Nießbrauchrecht an einem fremdvermieteten Grundstück erhalten („Zuwendungsnießbrauch“). Eigentümer des Grundstücks war eine Erbengemeinschaft, bestehend aus den gemeinsamen Kindern der Klägerin und des Erblassers. Das Nießbrauchrecht war zunächst Betriebsvermögen der Klägerin und wurde 2018 in Übereinstimmung mit dem Finanzamt zu einem Wert von 0,00 € in das Privatvermögen der Klägerin überführt. Im Jahr 2019 verzichtete sie gegen Zahlung einer Entschädigung auf ihr Nießbrauchrecht. Das Finanzamt bewertete diesen Vorgang als privates Veräußerungsgeschäft nach § 23 EStG, da das das Wirtschaftsgut „Nießbrauchrecht“ innerhalb des nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 EStG maßgeblichen Zeitraums von zehn Jahren durch die Entnahme aus dem Betriebsvermögen angeschafft und durch die Ablösung veräußert worden sei.
2. Rechtliche Grundlage: Private Veräußerungsgeschäfte bei „anderen Wirtschaftsgütern
Das sind Wirtschaftsgüter jedweder Art im Privatvermögen, die nicht Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte oder bestimmte Gebäude und Außenanlagen sind. Steuerpflichtig sind Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt. Wurden diese Wirtschaftsgüter als Einkunftsquelle zumindest in einem Kalenderjahr genutzt, verlängert sich der Zeitraum gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 EStG auf zehn Jahre. Als Anschaffung gilt auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen des Steuerpflichtigen durch Entnahme oder Betriebsaufgabe (§ 23 Abs. 1 Satz 2 EStG).
3. Kernaussagen des Urteils
a. Das Nießbrauchrecht ist ein „anderes Wirtschaftsgut“ i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.
b. Nießbrauchrechte sind einlagefähig und damit auch entnahmefähig. Das Nießbrauchrecht wurde von der Klägerin 2018 entnommen, was als Anschaffung gilt.
c. Bei „anderen“ Wirtschaftsgütern die längere Spekulationsfrist von zehn Jahren maßgebend sein kann und zwar dann, wenn aus der Nutzung des Wirtschaftsguts als Einkunftsquelle zumindest in einem Kalenderjahr Einkünfte erzielt werden (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 EStG).
d. Das Nießbrauchrecht wurde durch den entgeltlichen Verzicht im Jahr 2019 allerdings nicht i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG veräußert.
- Der entgeltliche Verzicht auf das Nießbrauchrecht stellt keinen Rechtsträgerwechsel dar, wie es für eine Veräußerung erforderlich wäre.
- Das Nießbrauchrecht erlischt mit dem Verzicht, und die dinglichen Nutzungsrechte fallen an den Grundstückseigentümer zurück. Damit handelt es sich bei dem entgeltlichen Verzicht auf den Nießbrauch um einen Vorgang, bei dem ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird und damit um einen veräußerungsähnlichen Vorgang.
- Veräußerungsähnliche Vorgänge werden von § 23 EStG nicht erfasst
III. Ausblick
Das Urteil des FG Münster überzeugt. Dennoch bleibt abzuwarten, wie der IX. Senat des BFH als Revisionsinstanz entscheiden wird.
Die jüngst zum Verzicht auf einen Nießbrauch an einem Kapitalgesellschaftsanteil am 20.09.2024 ergangenen Entscheidung desselben Senats zugunsten des Steuerpflichtigen (siehe hierzu auf unserer Homepage) ist auf den vorliegenden Fall grundsätzlich übertragbar. Sowohl der Nießbrauch an dem Grundstück im vorliegenden Fall als auch an dem Kapitalgesellschaftsanteil im BFH-Fall vermittelten kein wirtschaftliches Eigentum der Nießbraucherin, das Gegenstand einer Übertragung sein könnte.
Nach Ansicht des BFH ist der Nießbraucher an einem Grundstück nicht wirtschaftlicher Eigentümer, insbesondere dann nicht, wenn er das Grundstück nicht vergleichbar einem Eigentümer aufgrund eines vorbehaltenen Nießbrauchs nutzt, sondern aufgrund eines Zuwendungsnießbrauchs. Ein Zuwendungsnießbrauch ist dem Vorbehaltsnießbrauch nicht gleichzustellen (BFH, Urteil vom 22. Januar 1985 – IX R 4/79 –, Rn. 9, m.w.N., vgl. auch BFH, Urteil vom 24.06.2004 – III R 50/01).
Zudem dürfte es an einem für die Anwendbarkeit des § 23 EStG notwendigen Rechtsträgerwechsel fehlen (vgl. auch FG Köln, Urteil vom 29. Februar 2024 – 7 K 95/23, Revision eingelegt (Az. des BFH: IX R 14/24)).
Der entgeltliche Verzicht auf ein Nießbrauchrecht an einem Grundstück bleibt danach für den Nießbraucher eine überlegenswerte Option.
Autor: RA & StB Andreas Jahn
Auszeichnungen
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht.“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017-2024)
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