09.04.2025 -
Betriebsänderung: Hat der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch gegen die Durchführung bzw. den Ausspruch der Kündigungen gegen den Unternehmer?
Besteht ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats gegen den Unternehmer? – Diese Rechtsfrage stellt sich, wenn der Unternehmer im Rahmen einer Betriebsänderung noch vor Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Betriebsrat Kündigungen ausspricht (credits: adobestock).

Bei Betriebsänderungen nach § 111 BetrVG muss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandeln. In der Praxis kommt es immer wieder zu Fallkonstellationen in denen der Interessenausgleich noch nicht abschließend behandelt wurde bzw. gescheitert ist und der Arbeitgeber dennoch bereits Kündigungen ausspricht. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch gegen die Durchführung bzw. den Ausspruch der Kündigungen gegen den Unternehmer hat. Die Rechtslage ist umstritten. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat in einem aktuellen Beschluss einen solchen Unterlassungsanspruch abgelehnt (LAG Nürnberg v. 11.4.2024, 4 TaBVGa 1/24). Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg ist zuzustimmen; sie soll hier erläutert werden.

Der Fall:

Der Arbeitgeber entwickelt und stellt leistungsstarke Batterien her. Er beschäftigt an seinem Standort in A-Stadt mehr als 750 Arbeitnehmer. Es besteht ein aus dreizehn Mitgliedern gebildeter Betriebsrat.

Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat Ende des Jahres 2023 darüber informiert, sich von insgesamt ca. 160 Beschäftigten betriebsbedingt trennen zu wollen. Die Mitarbeiter wurden im Rahmen einer Betriebsversammlung informiert.

In der Folge fanden zum Beginn des Jahres 2024 mehrere Gespräche mit dem Betriebsrat statt. Der Arbeitgeber unterbreitete einen Vorschlag für einen Sozialplan und ein Freiwilligenprogramm, der neben Regelungen zu Abfindungen auch die Errichtung einer Transfergesellschaft beinhaltete.

Vor Abschluss der weiteren Verhandlungen erhielt der Betriebsrat am 21.2.2024 die Anhörung zu insgesamt 24 betriebsbedingten Kündigungen.

Mit am 22.2.2024 eingegangenem Antrag hat der Betriebsrat im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht, er sei bislang unzureichend über die geplante Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG unterrichtet worden ist. Ein Interessenausgleichsentwurf sei bislang nicht vorgelegt worden. Der Arbeitgeber habe ihn aber zu unterrichten und mit ihm über einen Interessengleich zu beraten und zu verhandeln, bevor die Betriebsänderung umgesetzt werde. Die Kündigungen seien damit eine Teilvorwegnahme der Betriebsänderung. Im Wege der einstweiligen Verfügung beantragte daher der Betriebsrat, dem Arbeitgeber aufzugeben, es zu unterlassen, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, ohne dass zuvor die Interessenausgleichsverhandlungen, ggf. vor der Einigungsstelle, beendet worden sind.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag auf Unterlassung stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen.

I. Rechtslage umstritten

Die Frage, ob dem Betriebsrat bei nicht oder nichtabgeschlossenen Interessenausgleichsverhandlungen ein Unterlassungsanspruch zusteht, den er im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen kann, ist vor den deutschen Landesarbeitsgerichten umstritten. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liegt dazu nicht vor. Dies ist auch nicht möglich, denn einstweilige Verfügungen können prozessual nur bis zum Landesarbeitsgericht beantragt bzw. erlassen werden. Eine Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht ist gesetzlich nicht vorgesehen. Aus diesem Grund liegt keine einheitliche Rechtsprechung in Deutschland vor.

Hinweis für die Praxis:

Soweit ersichtlich lehnt die überwiegende Anzahl der Landesarbeitsgerichte einen Unterlassungsanspruch ab. Wir können der Praxis aber nur dringend empfehlen, in Fällen, in denen Kündigungen bereits vor Beendigung der Interessenausgleichsverhandlungen ausgesprochen werden sollen, sich mit der örtlichen Rechtsprechung vertraut zu machen. Zudem besteht immer eine gewisse Unsicherheit, dass eine schon länger zurückliegende Rechtsprechung durch einen Richterwechsel abgeändert wird. Restrisiken verbleiben daher in solchen Fällen.

II. Kein Unterlassungsanspruch Betriebsänderung

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat für seinen Bezirk einen Unterlassungsanspruch erneut abgelehnt. Die Mitbestimmungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG betreffen die wirtschaftliche Entscheidungskompetenz des Arbeitgebers. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates in wirtschaftlichen Angelegenheiten sind als Informations- und Beratungsrechte ausgestaltet. Der Arbeitgeber darf nach Durchführung dieser Beteiligungspflichten die geplanten Maßnahmen in jedem Fall durchführen. Schon das schließt nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg einen Unterlassungsanspruch aus.

Zudem sieht das Gesetz angemessene Sanktionen durch den Nachteilsausgleichsanspruch in § 113 BetrVG und die Ahndung als Ordnungswidrigkeit nach § 121 BetrVG vor. Damit sind angemessene Sanktionen gegeben. Darüberhinausgehende Unterlassungsansprüche sind allein dem Gesetzgeber vorbehalten.

Fazit:

Im Gerichtsbezirk Nürnberg besteht kein Unterlassungsanspruch gegen die Durchführung von Betriebsänderungen bzw. den Ausspruch von Kündigungen, soweit ein Interessenausgleichsverfahren noch nicht durchgeführt wurde. Wir weisen aber darauf hin, dass es sich dennoch um einen Verstoß gegen die Beteiligungsrechte des Betriebsrates handelt, der nach §§ 113, 121 BetrVG sanktioniert ist. Der vorzeitige Ausspruch von Kündigungen ist daher genau zu überlegen und wirtschaftlich zu berechnen.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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