Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat über die vergangenen Jahrzehnte das sogenannte Institut der Druckkündigung entwickelt. Liegen die Voraussetzungen vor, kann ein Mitarbeiter wirksam gekündigt werden. Die Auswertung der Rechtsprechung zeigt aber, dass dies nur in äußerst seltenen (theoretischen) Fällen möglich ist. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hatte in einem aktuellen Fall nun die Möglichkeit, sich mit den Voraussetzungen der Druckkündigung zu befassen (LAG Nürnberg v. 12.12.2023, 7 Sa 61/23). Wir möchten die Entscheidung zum Anlass nehmen, auf die schwierigen Voraussetzungen der Druckkündigung hinzuweisen.
Der Fall (verkürzt):
Die betroffene Arbeitnehmerin ist bereits seit 1. Januar 1998 als Chemielaborantin bei dem beklagten Labor in Vollzeit beschäftigt. Sie ist behindert und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Die Beklagte stellt Druckfarben und Pigmente her und unterhält drei Standorte. Es besteht ein 5-köpfiger Betriebsrat.
Nach der Rückkehr aus ihrem Erziehungsurlaub im Jahre 2005 wurde die Klägerin wiederholt in andere Gruppen versetzt wegen Unstimmigkeiten in der jeweiligen Gruppe.
So wechselte eine Mitarbeiterin in ein anderes Labor und auch der Leiter des Labors gab die Leitung ab. Der Arbeitgeber sah in diesen Aktivitäten ein Zusammenhang mit dem Sozialverhalten der Klägerin und erteilte ihr auch eine Ermahnung mit der Aufforderung, ihr Verhalten zu bessern. Im Jahre 2018 führte die Beklagte an allen Standorten eine psychische Gefährdungsbeurteilung durch. Die Mitarbeiterin war nach einer Erkrankung im Jahre 2019 zu einem BEM-Gespräch eingeladen, was bei ihr zu einer Panikattacke und einer weiteren Arbeitsunfähigkeit führte. Ende des Jahres 2019 kam es im Labor zu einem Zusammenbruch der Klägerin und einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis 31. Oktober 2021. Es lag eine massive Burn-out-Symptomatik in Verbindung mit dissoziativen Störungen vor. In einem sozialgerichtlichen Verfahren der Klägerin gegen die Deutsche Rentenversicherung stellte das eingeholte nervenärztliche Gutachten fest, dass eine erfolgreiche Reintegration unter bestimmten Bedingungen möglich sei.
Kurz vor Ende der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin wurde im Labor bekannt, dass die Klägerin zurückkommen würde. Daraufhin wandten sich verschiedene Mitarbeiter an den Geschäftsführer und wiesen darauf hin, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen der Klägerin und den anderen Mitarbeitern nicht mehr bestünde. Der Geschäftsführer führte daraufhin Gespräche mit den Mitarbeitern des Labors. Er wandte sich auch mit E-Mail an die Mitarbeiter aus dem Labor und auch den angrenzenden Arbeitsbereichen. Dort wies er zunächst darauf hin, dass die Klägerin auch Mitarbeiterin des Unternehmens sei und „das Unternehmen die Rechte aller Mitarbeiter wahren müsse“.
Der Geschäftsführer wies ferner darauf hin, dass er deshalb „vor der Prüfung weiterer rechtlicher Schritte verpflichtet“ sei, auch die Interessen der „Klägerin im Blick zu haben und in dieser Angelegenheit vermittelnd tätig zu werden.“ Dann bat er vor diesem Hintergrund um Beantwortung folgender Fragen:
„1. Können Sie sich überhaupt in irgendeiner Form eine weitere Zusammenarbeit mit Frau A. vorstellen?
2. Falls nein, welche Konsequenzen befürchten Sie für sich persönlich und für andere Mitarbeiter bei einer Rückkehr von Frau A. an ihren Arbeitsplatz?
3. Welche Konsequenzen ziehen Sie für sich in Betracht, sofern Frau A. an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt?
4. Halten Sie eine Mediation/gemeinsames Gespräch mit Frau A. für erfolgversprechend um eventuelle befürchtete Konsequenzen abzuwenden und wären Sie bereit, daran teilzunehmen?“
Die überwiegende Anzahl der Mitarbeiter beantworteten die Fragen. Die Mitarbeiter schilderten die Probleme mit der Klägerin, baten um Versetzungen, schlossen auch Eigenkündigungen nicht aus und befürchteten gravierende Auswirkungen auf das Labor bis hin zur Schließung der gesamten Abteilung.
Im Anschluss führte der Geschäftsführer das Verfahren zur Zustimmung vor dem Inklusionsamt zum Ausspruch einer ordentlichen Änderungskündigung durch. Das Inklusionsamt stimmte zu, der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß beteiligt und die Änderungskündigung dann ausgesprochen.
Der Klägerin wurde angeboten, ihre Tätigkeiten künftig an einem 90 km entfernten anderen Standort des Unternehmens zu erbringen. Die Klägerin lehnte dies ab, nahm aber das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an und erhob Kündigungsschutzklage.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.
I. Voraussetzungen einer Druckkündigung
Das Bundesarbeitsgericht verlangt in ständiger Rechtsprechung vom Arbeitgeber vor Ausspruch einer Druckkündigung, sich schützend vor den Arbeitnehmer zu stellen. Der Arbeitgeber muss alles Zumutbare versuchen, um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen. Konkret verlangt dies vom Arbeitgeber ein aktives Handeln, das darauf gerichtet ist, den Druck abzuwehren. Dafür reicht es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht aus, dass er überhaupt Gespräche mit den die Drohung aussprechenden Arbeitnehmern führt und ggf. gemeinsame Beratungen zwischen diesen und dem betroffenen Arbeitnehmer moderiert. Er muss vielmehr argumentativ deutlich gegenüber den Mitarbeitern machen, dass aus seiner Sicht ein objektiver Anlass für eine Kündigung nicht besteht. Ob er mit diesem Standpunkt letztlich durchdringen kann, ist unbeachtlich. Liegen die Ursachen für das Kündigungsverlangen in Konflikten, die sich auf die Zusammenarbeit im Betrieb beziehen, kann der Arbeitgeber überdies gehalten sein, durch Ausübung seines Weisungsrechts auf die involvierten Arbeitnehmer einzuwirken.
Hinweis für die Praxis:
Für den Arbeitgeber bedeutet dies, dass er den betreffenden Mitarbeitern auch mitteilen muss, dass aus seiner Sicht gar kein Kündigungsgrund vorliegt und er insbesondere auch nicht selbst aktiv und vorwerfbar dazu beigetragen haben darf, die ablehnende Haltung der Arbeitnehmer zu schaffen oder zu verstärken.
II. Voraussetzungen liegen regelmäßig nicht vor
Im vorliegenden Fall hatte dann das Landesarbeitsgericht diese strengen Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen. Ein allgemeines Unwohlsein, die Weigerung mit einer Mitarbeiterin zusammenzuarbeiten, das Inaussichtstellen von möglichen Kündigungen reicht keinesfalls aus. Vielmehr ist das Unternehmen gehalten, mit allen Mitteln zunächst zu versuchen, den Druck (auch von der Klägerin) zu nehmen. So muss auch argumentativ gegenüber den drohenden Mitarbeitern verdeutlicht werden, dass ein Kündigungsgrund nicht vorliegt. All dies war hier nicht geschehen.
III. Fazit und Checkliste
Für eine wirksame und echte Druckkündigung müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt werden:
- Feststellung des ernsthaften Drucks zur Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers
- Prüfung, ob dem Druck echte Kündigungsgründe zugrunde liegen
- Bei fehlenden Kündigungsgründen: Alles versuchen, um den Kündigungsdruck durch Erörterung mit den Druckausübenden oder durch andere Maßnahmen (z.B. Versetzung in einen anderen Arbeitsbereich) zu beseitigen
- Betriebsrat einschalten
- Bei Erfolglosigkeit der Maßnahmen und weiterbestehendem Druck: Prüfung der Nachteile bei Ablehnung der verlangten Maßnahmen
- Bei drohenden schwerwiegenden Nachteilen: Entscheidung über fristgerechte oder fristlose Kündigung. Zu beachten gilt, dass nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung, die sich im Prozess als nicht wirksam erweisen könnte, ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers ausscheidet. Ein vorsichtiger Umgang mit einer fristlosen Druckkündigung ist daher anzuraten.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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