Geschäftsleiterhaftung trotz Schadensentstehung nach Amtsbeendigung – der BGH verschärft Haftung bei Insolvenzverschleppung!
Urteil des BGH vom 23. Juli 2024 – II ZR 206/22
Eine Insolvenzverschleppung geht regelmäßig mit erheblichen wirtschaftlichen Schäden für die betroffenen Gläubiger einher. Spiegelbildlich drohen den verantwortlichen Geschäftsleitern empfindliche strafrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen. Wie der BGH nun klargestellt hat, geht die Verantwortlichkeit für Gläubigerschäden aus der Insolvenzverschleppung unter Umständen auch über die Amtszeit des pflichtvergessen handelnden Geschäftsleiters hinaus.
![Der BGH hat nun klargestellt, dass die Verantwortlichkeit für Gläubigerschäden aus der Insolvenzverschleppung unter Umständen auch über die Amtszeit des pflichtvergessen handelnden Geschäftsleiters hinaus geht.](https://www.meyer-koering.de/wp-content/uploads/2024/12/AdobeStock_751324282-1024x643.jpeg)
Der Sachverhalt:
Gegenstand der Entscheidung waren Geschäfte der P&R-Gruppe, die vorgab Direktinvestitionen in Schiffscontainer zu vermarkten. Tatsächlich geriet das Geschäftsmodell schon früh in Schieflage und wurde zu einem Schneeballsystem, das schließlich zusammenbrach. So flossen die Gelder der neuen Anleger nicht wie vertraglich geschuldet in den Erwerb neuer Container, sondern in die Tilgung der Forderungen der Alt-Anleger. Die Gesellschaften der P&R-Gruppe waren infolgedessen bereits 2011 insolvenzreif. Ein Insolvenzantrag wurde durch die Geschäftsleitung jedoch erst im Jahr 2018 gestellt.
In der Zwischenzeit schloss die Klägerin in den Jahren 2013 bis 2016 vier Anlageverträge mit der P&R Gruppe ab. Nunmehr begehrt sie Schadensersatz von der Rechtsnachfolgerin eines langjährigen Geschäftsführers der P&R-Gruppe aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO, weil dieser es pflichtwidrig unterlassen habe, einen Insolvenzantrag zu stellen. Das OLG München als Vorinstanz sprach der Klägerin für drei der vier Anlageverträge einen entsprechenden Schadensersatzanspruch zu. Hinsichtlich des letzten Anlagevertrags verneinte es einen solchen Haftungsanspruch, mit dem Hinweis darauf, dass der Geschäftsführer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seine Tätigkeit bei der Gesellschaft bereits beendet hatte.
Die Entscheidung des BGH:
Der BGH folgt den rechtlichen Ausführungen des OLG München zu einem Schadensersatzanspruch wegen des vierten Anlagevertrags nicht. Zur Begründung verweisen die Karlsruher Richter auf allgemeine Grundsätze des Schadensrechts und kommen insbesondere mit Blick auf den Schutzzweck der Norm zum Ergebnis, dass der Klägerin ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO zustehen muss.
Den Kausalzusammenhang zwischen der Verletzung der Insolvenzantragspflicht und dem Vermögensschaden der Klägerin sieht der Senat durch das bloße Vorliegen weiterer Ursachen, speziell das Fehlverhalten späterer Geschäftsführer nicht unterbrochen. Zwar entfielen mit der Beendigung der Organstellung grundsätzlich die Organpflichten und damit auch die Insolvenzantragspflicht. Das Ausscheiden beseitige jedoch nicht rückwirkend bereits begangene Antragspflichtverletzungen und
die Verantwortung des ausgeschiedenen Organmitglieds für darauf zurückzuführende Verschleppungsschäden. Maßgeblich sei unter dem Gesichtspunkt der Zurechenbarkeit, ob zum Zeitpunkt der Aufnahme der vertraglichen Beziehungen zwischen der Klägerin und der (insolvenzreifen) Gesellschaft die durch das Fehlverhalten des ehemaligen Organmitglieds geschaffene Gefahrenlage noch bestand und so für den Verschleppungsschaden (mit)ursächlich wurde. Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs sei nur dann gegeben, wenn zwischen dem Ausscheiden des Geschäftsführers und dem Abschluss des vierten Anlagevertrags eine Erholung der Gesellschaft eingetreten wäre und sich die ursprüngliche Pflichtverletzung daher nicht mehr hätte auswirken können. Die begründete Gefahrenlage wäre dann bei Abschluss der späteren Verträge bereits wieder beendet.
Im vorliegenden Fall trat eine solche Erholung jedoch nicht ein, sodass die durch die Verletzung der Insolvenzantragspflicht geschaffene Gefahrenlage fortbestand. Vielmehr verursache die Unterlassung eines Insolvenzantrags im Allgemeinen die Fortführung der insolvenzreifen Gesellschaft durch nachfolgende Organmitglieder und damit weitere Vertragsschlüsse. Der Schutzzweck der Norm (§ 15a InsO) umfasse aber gerade das Fernhalten von insolvenzreifen Gesellschaften aus dem unternehmerischen Geschäftsverkehr zum Schutze der Gläubiger. Dies rechtfertige es, den Gläubigern einen Schadensersatzanspruch gegen die Organmitglieder zuzubilligen.
Praktische Folgen der Entscheidung:
Die Entscheidung des II. Zivilsenats (BGH Urteil vom 23.7.2024 – II ZR 206/22) hebt die Haftungsrisiken für Geschäftsführer mit Blick auf Neugläubigerschäden auf eine neue Stufe. Sie können zukünftig insbesondere nicht mehr durch eine Niederlegung des Amtes begrenzt werden. Schafft es der Geschäftsführer nicht, die einmal durch Verletzung der Insolvenzantragspflicht geschaffene Gefahrenlage durch eine Gesundung der Gesellschaft zu beseitigen, haftet er für sämtliche später entstehende Neugläubigerschäden, ohne dass er deren Entstehung noch in der Hand hätte. Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch bloßen Ablauf einer bestimmten Zeit klingt in dem Urteil auch nicht an. Damit kann sich die Haftung für den betroffenen Geschäftsführer auch nach seinem Ausscheiden noch über Jahre hinweg erhöhen.
Unter welchen Voraussetzungen, abgesehen von einer Erholung der Gesellschaft, die Haftung für Neugläubigerschäden nach Amtsbeendigung unterbrochen wird, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Zu denken wäre etwa bei einer nur fahrlässigen Insolvenzverschleppung in einer konkreten Restrukturierungssituation an eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch eine spätere vorsätzliche Insolvenzverschleppung durch den neuen Geschäftsführer trotz erkannter Aussichtslosigkeit der Unternehmensrettung. Solche Fälle dürften in der Praxis jedoch eine seltene Ausnahme bilden.
Für Geschäftsführer ist es nun ratsamer denn je, die Gefahr des Vorwurfs einer Insolvenzverschleppung nicht zu unterschätzen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Hierzu ist eine regelmäßige Prüfung der Bilanzen und Kennzahlen unvermeidbar. Bestehen Anzeichen für eine drohende Überschuldung, sollte nicht gezögert werden, kompetenten Rechtsrat einzuholen, um Haftungsrisiken rechtssicher zu vermeiden.
Bei Fragen rund um die Haftung von Geschäftsleitungsorganen können Sie sich gerne an den Autor dieses Beitrages wenden.
Autor: Dr. Karl Brock
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