BGH, Urteil vom 22. Oktober 2024 – II ZR 64/23
Der BGH hat mit Urteil vom 22. Oktober 2024 (Az. II ZR 64/23) die umstrittene Frage der Bindung eines Gesellschafters an seine Stimmabgabe bei der Beschlussfassung in einer Personengesellschaft nach deren Zugang bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens geklärt.

Der Sachverhalt:
Der dem Urteil des BGH zugrundeliegende Sachverhalt betraf eine Publikumskommanditgesellschaft, an der die Klägerin als Treugeberin mittelbar beteiligt ist. Nach deren Gesellschaftsvertrag können Beschlüsse in Gesellschafterversammlungen, aber auch im Wege der schriftlichen Abstimmung (sog. Umlaufverfahren) gefasst werden. Die Gesellschafter mussten nach dem Gesellschaftsvertrag ihre Stimme innerhalb eines bestimmten Zeitraums abgeben.
Ein Gesellschafter stimmte zunächst mit „Ja“, widerrief seine Stimme kurz darauf aber und stimmte mit „Nein“. Laut Protokoll der Beschlussfassung wurden insgesamt 191.956 Stimmen abgegeben. Davon stimmten 143.978 mit „Ja“, was 75,01 % der abgegebenen Stimmen entspricht, und 47.978 mit „Nein“, was 24,99 % der abgegebenen Stimmen darstellt. Außerdem gab es 3923 Enthaltungen. Abschließend wurde in einem unterzeichneten Protokoll festgestellt, dass allen zur Abstimmung gestellten Beschlussgegenständen mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt worden sei. Die Klägerin hat gegen den gefassten Beschluss Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben, die das Landgericht abgewiesen hat. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Die Entscheidung:
Die zentrale Rechtsfrage, die der BGH zu entscheiden hatte, war, ob die nachträgliche Änderung der „Ja“-Stimme zu einer „Nein“-Stimme zulässig und möglich, d.h. eine einmal abgegebene Stimme für den Gesellschafter binden ist oder bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens widerrufen werden kann.
Der BGH hat in seiner Revisionsentscheidung entschieden, dass sich die Frage der Bindung an eine Stimmabgabe vor Abschluss des Abstimmungsverfahrens zunächst nach den im Gesellschaftsvertrag oder für den konkreten Abstimmungsvorgang getroffenen Vereinbarungen der Gesellschafter sowie einem eventuell (ausdrücklich oder schlüssig) geäußerten Bindungswillen richtet. Ergibt sich daraus keine Einschränkung der Bindung, kann ein
Gesellschafter seine Stimmabgabe nach deren Wirksamwerden durch Zugang bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens grundsätzlich nicht mehr frei widerrufen. Der BGH hat somit die Entscheidung des Eingangs- und Berufungsgerichtes bestätigt.
Zur Begründung führten die Karlsruher Richter systematisch aus:
„a) Das BerGer. ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Stimmabgabe eines Gesellschafters im Rahmen der Beschlussfassung einer Personengesellschaft eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, die als solche grundsätzlich den allgemeinen Regeln über Rechtsgeschäfte und damit § 130 I BGB unterliegt (…). Danach wird die Stimmerklärung im Zeitpunkt ihres Zugangs beim Adressaten wirksam, sofern diesem nicht zuvor oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht (§ 130 I 2 BGB, Anm. des Autors).“
Nach Auffassung der Karlsruher Richter ist nach dem Gesellschaftsvertrag die Gesellschaft die maßgebliche Adressatin für den Zugang der Stimmerklärung im Sinn von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB. Konkret kam es auf den Zugang der Stimmabgabe bei dem Versammlungsleiter an, der die Gesellschaft bei der Abstimmungsdurchführung nach dem Gesellschaftsvertrag vertrat. Diesem sei die Stimmabgabe i.S.d. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam zugegangen, insbesondere fehlte es an einem rechtzeitigen Widerruf i.S.v. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Gesellschafter war somit an einem freien Widerruf ihrer Stimmerklärung nach Zugang beim Versammlungsleiter gehindert und war an seine „Ja“-Stimmen gebunden.
Sprechen auch andere Gründe gegen eine freie Widerruflichkeit?
Der BGH erkennt aber an, dass sich die Bindungswirkung im Rahmen von Gesellschafterbeschlüssen nicht nur aus der sinngemäßen Anwendung des § 130 Abs. 1 BGB oder der §§ 145 ff. BGB ergeben könne. Der BGH folgt einer teleologischen Betrachtung. Aus Sicht des BGH wäre eine freie Widerruflichkeit der abgegebenen Stimmen mit dem Zweck des Abstimmungsverfahrens – einer nicht nur einfachen, raschen und zielgerichteten, sondern vor allem auch möglichst rechtssicheren kollektiven Willensbildung – nicht zu vereinbaren und widerspräche damit letztlich dem gemeinsamen Verbandsinteresse der Gesellschafter. Schon dies führe im Ergebnis zu einer Bindungswirkung ab Zugang der Stimmabgabe.
Nach Auffassung des BGH wird dem schutzwürdigen Interesse eines Gesellschafters, bei Bekanntwerden neuer Gesichtspunkte oder Eintreten neuer Umstände nicht mehr an seine Stimmerklärung gebunden zu sein, durch die Möglichkeit der Anfechtung der Stimmabgabe unter den Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB ausreichend Rechnung getragen. Zusätzlich bestehe die Möglichkeit, auf eine Änderung der Beschlussfassung hinzuwirken und die vertragliche Freiheit, die Möglichkeit eines Widerrufs bereits abgegebener Stimmen bis zum Abschluss des Abstimmungsverfahrens vertraglich zu regeln, so der BGH.
Praktische Bedeutung des BGH-Urteils:
Das BGH-Urteil betrifft eine für die gesellschaftsrechtliche Praxis maßgebliche Frage, weil in vielen Gesellschaftsverträgen die Möglichkeit einer schriftlichen Beschlussfassung oder ein sog. „Umlaufverfahren“ zu finden ist. Für weitere ähnlich gelagerte Fälle dürfte das Urteil und die damit geklärte Frage somit weichenstellend sein.
Die Karlsruher Richter haben sich nunmehr der herrschenden Meinung im Schrifttum angeschlossen, die eine freie Widerruflichkeit der abgegebenen Stimme bei Personengesellschaften grundsätzlich ablehnt. Ob ausnahmsweise ein Widerrufsrecht aus wichtigem Grund anzuerkennen ist, musste nach Ansicht des BGH im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. Es darf aber mit Spannung erwartet werden, wie der BGH einen Fall, in dem diese Frage entscheidend sein sollte, beantwortet.
Für die Praxis sollte es nun die Aufgabe sein, entsprechende Regelungen und Vorkehrungen im Gesellschaftsvertrag zu fixieren, um Streitfälle – wie den hier zugrundeliegenden Fall – zu vermeiden. Der BGH hat selbst formuliert, dass insoweit eine vertragliche Gestaltungsfreiheit gegeben ist.
Bei Fragen zu gesellschaftsrechtlichen Themen, insbesondere zu Gesellschafterversammlungen, zum Beschlussmängelrecht und zu Gesellschafterstreitigkeiten können Sie sich gerne an den Autor dieses Beitrages wenden.
Autor: Dr. Karl Brock
Auszeichnungen
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„MEYER-KÖRING ist besonders renommiert für die gesellschaftsrechtliche Beratung.“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2022)
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