22.08.2024

Abkehrwille des Arbeitnehmers: Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

Lässt sich der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Kündigung krankschreiben,  wird der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung häufig als erschüttert angesehen.
Grundsätzlich wird der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit einer Kündigung als erschüttert angesehen (credits: adobestock).

Wir haben bereits verschiedentlich über Entgeltansprüche von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung berichtet. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu seine bisherige Rechtsprechung gerade erst bestätigt und fortgeführt (BAG v. 13.12.2023 – 5 AZR 137/23). Vor allem die Instanzrechtsprechung hat sich dabei mit immer wieder neuen Fallkonstellationen zu befassen. Einen solch besonderen Fall hatte jetzt das Landesarbeitsgericht Köln zu entscheiden (LAG Köln v. 19.10.2023 – 6 Sa 276/23). Es ging in diesem speziellen Fall um einen zuvor schon geäußerten Abkehrwillen des Arbeitnehmers mit anschließender Arbeitsunfähigkeit nach Ausspruch der Kündigung. Die Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass jeder Einzelfall anders zu beurteilen ist.

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer war seit dem 15.3.2021 bei dem beklagten Unternehmen, das sich mit Leistungen im Bauwesen befasst, als Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 2.325,62 €.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich mit Schreiben vom 17.8.2022, wobei die Kündigung erst am 19.8.2022 zugegangen ist.

Am Abend des 16.8.2022 hatte der Kläger alle zum Fahrzeug und zur Baustelle gehörenden Unterlagen in den Briefkasten des Firmengebäudes eingeworfen. Am folgenden 17.8.2022 meldete er sich krank und am darauffolgenden Tag, dem 18.8.2023, also dem Tag vor dem Zugang des Kündigungsschreibens, legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit bis zum 31.8.2022 vor.

Der Kläger wehrt sich gegen die Kündigungen. Auch stehe ihm die Vergütung jedenfalls für die Zeit bis zum 19.8.2022 (dem Tag des Zugangs der fristlosen Kündigung) zu. Er sei bereits am 16.8.2022 aus Krankheitsgründen arbeitsunfähig gewesen und habe vorgehabt, am nächsten Tag zum Arzt zu gehen. Er habe alle zum Fahrzeug und zur Baustelle gehörenden Materialien in den Briefkasten des Firmengebäudes eingelegt. Dies sei allein mit der Absicht geschehen, den Zugriff auf all diese Sachen für den nächsten Tag zu gewährleisten, wenn er – wie absehbar – am nächsten Tag krankgeschrieben werde.

Der Arbeitgeber hat hingegen vorgetragen, der Kläger habe nachweisbar geäußert, er sei „sofort weg“, wenn er ein gutes Angebot bekomme. Er wolle nicht mehr im Betrieb arbeiten. Wegen der Arbeitsniederlegung am 16.8.2022 sei daher die fristlose Kündigung erklärt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigung für unwirksam erklärt und der Zahlungsklage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Abkehrwille rechtfertigt Kündigung nicht

Der Kläger fehlte hier nicht unentschuldigt. Vielmehr hatte er sich krankgemeldet und im Nachgang auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Es wäre daher Sache des Arbeitgebers gewesen, Tatsachen darzulegen, die die von dem Kläger behauptete Arbeitsunfähigkeit in Frage stellen könnten. Gründe für eine (fristlose) Kündigung liegen darin nicht.

Hinweis für die Praxis:

Die bloße Ankündigung, künftig nicht mehr bei einem Arbeitgeber arbeiten zu wollen (sogenannter Abkehrwille), reicht für eine Kündigung noch nicht aus. Unentschuldigtes Fehlen kann eine, auch fristlose, Kündigung zwar rechtfertigen. Das wäre hier aber nur der Fall gewesen, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht anerkannt werden kann. Dazu sogleich.

II. Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein, wenn ein Arbeitnehmer gekündigt wird und er sich gleichzeitig krankschreiben lässt.

Die Voraussetzungen lagen hier aber nicht vor. Das LAG hat sich zunächst mit der Frage befasst, ob die Rückgabe der Arbeitsunterlagen schon am 16.8.2022 den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern vermag. Das hat es abgelehnt. Die Darlegung des Klägers, er habe sich unwohl gefühlt, er habe befürchtet, dass er am nächsten Tag krankheitsbedingt an der Arbeitsaufnahme gehindert sein werde und er habe deshalb die Unterlagen zurückgelassen, ist nach Auffassung des LAG plausibel, es entspricht sogar dem Verhalten eines umsichtigen Arbeitnehmers und eignet sich daher gerade nicht als Indiz für die Annahme eines unentschuldigten Fehlens.

Die mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bescheinigte Arbeitsunfähigkeit betrifft auch nicht „passgenau“ die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Die hierzu ergangene Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts kommt schon deshalb für den vorliegenden Fall nicht zur Anwendung, weil die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von dem Arzt schon vor der Kündigung und nicht erst nach Zugang der Kündigung ausgestellt worden war.

Fazit:

Arbeitnehmer, die sich im Zusammenhang mit einer Kündigung krankschreiben lassen, ggf. auch mehrfach, müssen nach der zitierten neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts damit rechnen, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert angesehen wird. Die Arbeitnehmer müssen dann konkret darlegen und beweisen, dass sie tatsächlich erkrankt waren, z.B. durch Benennung der eingenommenen Medikamente, einer etwaigen physiotherapeutischen Behandlung oder auch durch Entbindung des behandelnden Arztes von der Schweigepflicht. Dennoch führt nicht jeder Fall einer gleichzeitigen Arbeitsunfähigkeit auch zu dieser Erschütterung des Beweiswertes. Die vorliegende Fallkonstellation macht dies deutlich. Arbeitgeber sind daher gut beraten, sich mit den Einzelheiten des jeweiligen Falles genau zu befassen, um Rechtsnachteile zu vermeiden.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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