Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 13.12.2023 eine für Medizinische Versorgungszentren (MVZ) höchst relevante Entscheidung getroffen. Das Urteil befasst sich mit der Abgabe der Abrechnung des MVZ im Rahmen der sog. Sammelerklärung und der Frage, wer diese zu unterschreiben hat. Auch Thema der Entscheidung: Welche Vorgaben kann dazu der Honorarverteilungsmaßstab machen?
Worum ging es? Vollständige Honorarrückforderung für zwei Quartale
Das BSG hatte sich mit einer Honorarrückforderung zu befassen, die die Kassenärztliche Vereinigung (KV) gegen ein MVZ festgesetzt hatte. Sie hatte die Honorarbescheide des MVZ für zwei Quartale aufgehoben und das gesamte Honorar für diese beiden Quartale zurückgefordert.
MVZ und ärztliche Leitung
Betroffen war ein in der Rechtsform der GmbH betriebenes MVZ. Ein MVZ ist nach der gesetzlichen Regelung eine „ärztlich geleitete Einrichtung“. Diese ärztliche Leitung ist dem Zulassungsausschuss bzw. der KV jeweils nachzuweisen. Das hier betroffene MVZ hatte in den Jahren 2012 – 2014 relativ viele und häufig wechselnde ärztliche Leitungen angezeigt.
Was kann der Honorarverteilungsmaßstab (HVM) zur Unterschrift bei der Abrechnung regeln?
Der HVM der zuständigen KV sah wiederum vor, dass bei Abrechnungen eines MVZ die Unterschrift des ärztlichen Leiters erforderlich sei. In den streitigen beiden Quartalen hatte das MVZ zwar eine bestimmte Ärztin als ärztliche Leiterin benannt, diese allerdings teilte der KV später mit, sie sei vom MVZ eigenmächtig als ärztliche Leiterin benannt worden, was zu korrigieren sei. Außerdem habe sie die Abrechnungserklärungen des MVZ nicht unterschrieben.
Daraufhin hob die KV die betroffenen beiden Quartalsbescheide auf und forderte Honorare in Höhe von 153.611,64 EUR zurück.
Widerspruch, Klage und die Begründung des Landessozialgerichts
Der Widerspruch gegenüber der KV, die Klage zum Sozialgericht und die Berufung des MVZ beim Landessozialgericht (LSG) blieben erfolglos. Das LSG hatte zur Begründung ausgeführt, die KV habe eine sog. sachlich-rechnerische Richtigstellung vornehmen dürfen, da die Abrechnungen der Leistungen aufgrund der fehlenden Unterschrift des ärztlichen Leiters auf der Sammelerklärung formal fehlerhaft gewesen seien. Die Regelung im HVM, die diese Unterschrift fordere, sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Der ärztliche Leiter trage die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe im MVZ und die Gesamtverantwortung gegenüber der KV. Hierzu gehöre die volle Verantwortung für die Erstellung und Kontrolle der Abrechnung. Es liege daher nahe, ihm die Verantwortung für die Sammelerklärung zu übertragen. Dies gelte auch bei einer GmbH als Trägergesellschaft. Deren Geschäftsführer werde durch die Unterschriftsleistung des ärztlichen Leiters unter die Sammelerklärung nicht aus seiner gesetzlichen Vertretung nach § 35 Absatz 1 GmbHG verdrängt.
Wie argumentiert das BSG?
Die Entscheidung des LSG hat das BSG bestätigt. Die schriftliche Begründung des Urteils vom 13.12.2023 (Az. B 6 KA 15/22 R) liegt noch nicht vor, wohl aber ein Terminbericht. Die KV durfte, so das BSG, die Honorarbescheide des MVZ im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung mit
Wirkung für die Vergangenheit aufheben und das gewährte Honorar vollständig zurückfordern, da die eingereichten Sammelerklärungen zu den Abrechnungen nicht von einem ärztlichen Leiter des MVZ unterzeichnet waren. Die entsprechende Vorgabe im Honorarverteilungsmaßstab der KV sei von der Ermächtigungsgrundlage im SGB V gedeckt und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Bei der Regelung im HVM der KV handele es sich nicht um ein bloßes Formerfordernis. Die ordnungsgemäße Abrechnungs-Sammelerklärung lasse den Anspruch auf Vergütung der erbrachten Leistungen vielmehr erst entstehen. Angesichts der Verantwortung des ärztlichen Leiters für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe sowie seiner Gesamtverantwortung gegenüber der KV begegne es keinen Bedenken, wenn der HVM die Unterschrift des ärztlichen Leiters unter die Sammelerklärung verlange.
Grundsätzlich sei das MVZ als Träger der Zulassung für die Abgabe einer ordnungsgemäßen Sammelerklärung verantwortlich. Da es als Einrichtung aber nicht selbst handeln könne, ersetze die Unterzeichnung durch den ärztlichen Leiter die in einer Einzelpraxis von dem Vertragsarzt zu leistende Unterschrift.
Der ärztliche Leiter verfüge – anders als der nicht ärztliche Geschäftsführer eines MVZ – über die erforderliche medizinische Fachkompetenz, um beurteilen zu können, ob die von den einzelnen Ärzten angegebenen Behandlungsvorgänge Grundlage für eine korrekte Quartalsabrechnung sind. Auch sei durch die eigene ärztliche Tätigkeit des ärztlichen Leiters im MVZ gewährleistet, dass er hinreichend in dessen Strukturen und Arbeitsabläufe eingebunden sei und das Verhalten der Mitarbeiter aus eigener Anschauung beurteilen könne.
Die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers aus dem GmbH-Gesetz werde durch das Unterschriftserfordernis im HVM nicht berührt. Dieses stelle schon keine gesellschaftsrechtliche Vertretungsregelung dar. Es liege auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Recht des MVZ auf Honorierung seiner Leistungen vor. Bei zeitweiser Verhinderung des ärztlichen Leiters könne etwa ein Vertreter bestellt oder die Sammelerklärung könne innerhalb der im HVM bestimmten Jahresfrist nachgereicht werden. Von diesen Möglichkeiten habe das MVZ keinen Gebrauch gemacht, sondern die Unterschrift allein durch ihren Geschäftsführer für ausreichend gehalten. Es bestehe auch kein Wertungswiderspruch zwischen dem Unterschriftserfordernis und den Regelungen zur Entziehung der Zulassung bei einem MVZ nach § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V. Denn diese Norm sehe für den Fall, dass dem Medizinischen Versorgungszentrum eine ärztliche Leitung fehlt, gerade keine “Schonfrist“ von sechs Monaten vor.
Schließlich habe die KV auch das gesamte Honorar der streitigen Quartale zurückfordern dürfen. Ohne eine vom ärztlichen Leiter unterschriebene Erklärung habe das MVZ bereits keinen Anspruch auf Honorar. Deshalb bestehe auch kein Raum für die Ausübung eines sog. „Schätzungsermessens“ durch die KV, womit dem MVZ eventuell Honorar verblieben wäre.
Wie geht es weiter und welche Risiken bestehen für MVZ?
Die Entscheidung kommt nicht ganz überraschend. Sie liegt auf der Linie zahlreicher Gerichtsentscheidungen, die die Position des ärztlichen Leiters (vermeintlich) „stärken“. Ganz wichtig für MVZs ist zunächst: Ihre Entscheidungsträger müssen die Regelungen im jeweiligen HVM ihrer KV und das ggf. weiter zu beachtendes Regelwerk, wie zum Beispiel die Abrechnungsordnung, kennen. Die Entscheidung, wer die Abrechnung unterschreibt, muss reflektiert getroffen werden. Sieht ein HVM vor, dass der ärztliche Leiter die Abrechnungssammelerklärung unterschreiben muss, ist dessen Unterschrift absolut obligatorisch. Sonst droht mit der Argumentation des BSG der vollständige Honorarverlust. Jedenfalls nach dem Terminbericht des BSG klingt es aber so, als könne die
Unterschrift des ärztlichen Leiters nur gefordert werden, wenn der HVM eine entsprechende Verpflichtung vorsieht.
MVZs sind unterschiedlich betroffen
Enthält der HVM eine entsprechende Regelung, sind MVZ davon ganz unterschiedlich betroffen. Ein vertragsärztliches MVZ, in dem die Gesellschafter selbst als Vertragsärzte tätig sind und ein Gesellschafter die Position des ärztlichen Leiters übernimmt, dürfte die Vorgabe vermutlich leicht einhalten können. Bei Gesellschaftern herrscht typischerweise Kontinuität und diese tragen per se bereits Unternehmerrisiko. Die Stellung als ärztlicher Leiter wird hier eher nicht abgelehnt werden. Der Umstand, als solcher auch noch für die Abrechnung verantwortlich zu sein, „schockt“ den Gesellschafter vermutlich nicht.
Ganz anders stellt sich die Situation aber für solche MVZ dar, die ihre ärztlichen Leistungen nur durch angestellte Ärzte erbringen. Hier muss ein angestellter Arzt die ärztliche Leitung und dann ggf. auch die Verantwortung für die Abrechnung übernehmen. Damit können für das MVZ zahlreiche Probleme verbunden sein. In Zeiten des Ärztemangels ist es überhaupt schon schwierig, Ärztinnen und Ärzte zu finden. Diese werden sich zunehmen überlegen, ob sie bereit sind, eine Tätigkeit als ärztliche Leitung zu übernehmen, wenn diese mit der vollen Verantwortung für die Abrechnung einhergeht. Die Konsequenzen für MVZ Betreiber dürften sein: Weiter steigende Personalkosten um die Tätigkeit als ärztlicher Leiter attraktiv zu machen. Stets bleibt darüber hinaus eine sehr hohe Abhängigkeit vom angestellten ärztlichen Leiter, der dann, obwohl nicht Inhaber oder Gesellschafter des MVZ, der einzige ist, der die Abrechnung unterzeichnen kann.
Wie ist die Entscheidung des BSG zu bewerten? Ein Störgefühl bleibt
Die Entscheidung des BSG ist konsequent, war zu erwarten und macht das Leben für MVZ doch nicht einfacher. Ob die Erwägungen des BSG wirklich zwingend sind, oder ob auch eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre, bleibt abzuwarten. Hier müssen erst die Urteilsgründe abgewartet werden. So oder so bleibt ein Störgefühl:
- Offenbar kann es nach Auffassung des BSG ausschließlich in den Händen der KV liegen, ob ein Geschäftsführer eines MVZ eine Abrechnung unterzeichnen kann oder ob dies zwingend vom ärztlichen Leiter vorgenommen werden muss. Die Konsequenzen können gravierend sein.
- Zudem hat das Urteil für reine Angestellten-MVZ die Konsequenz, dass dem Träger des MVZs als Unternehmensinhaber die Möglichkeit, ohne Mitwirkung eines ärztlichen Angestellten eine Abrechnung einzureichen, komplett entzogen sein kann.
Es scheint müßig, stets nach dem Gesetzgeber zu rufen, aber es wäre sehr wünschenswert, wenn der Gesetzgeber die zahlreichen Detailfragen zum Betrieb eines MVZs endlich selbst regeln würde.
Autor: Wolf Constantin Bartha
Auszeichnungen
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TOP-Wirtschaftskanzlei Deutschlands im Bereich Gesundheit & Pharmazie(FOCUS SPEZIAL 2024, 2023, 2022, 2021 - 2013)
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