Abberufung von Martin Kind – eine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung?

BGH-Urteil: Abberufung von Martin Kind bei Hannover 96 durch Satzungsbruch ist anfechtbar, aber nicht automatisch nichtig.
BGH-Urteil: Abberufung eines Geschäftsführers durch Satzungsbruch ist anfechtbar, aber nicht automatisch nichtig (credit: adobestock)

Der Hannoversche Sportverein von 1896 e.V. (e.V.) liefert regelmäßig Material zum Gesellschaftsrecht. In einer aktuellen Entscheidung hatte der BGH (Urteil vom 16. Juli 2024 – II ZR 71/23) über die Abberufung von Martin Kind als Geschäftsführer der Hannover 96 Management GmbH (GmbH) durch den e.V. als alleinigen GmbH-Gesellschafter zu entscheiden. Das Karlsruher Gericht urteilte, dass ein Gesellschafterbeschluss in der GmbH, der unter bewusster Missachtung der Kompetenzverteilung in der GmbH-Satzung durch den Gesellschafter (hier den e.V.) zustande gekommen war, lediglich anfechtbar, aber nicht unter dem Gesichtspunkt einer zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung nichtig sei.

Worum geht es?

Der e.V. hat seinen Lizenzspielbetrieb auf die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA (KGaA) ausgegliedert. In deren vom e.V. zu 100% beherrschter (Komplementär-) GmbH war Martin Kind Geschäftsführer. Kommanditaktionärin der KGaA ist die Sales & Service GmbH & Co. KG (KG), als deren Geschäftsführer Martin Kind weiterhin tätig ist. Die GmbH verfügt über einen vierköpfigen Aufsichtsrat, der je zur Hälfte von Vertretern des e.V. und der KG besetzt ist. Nach der Satzung der GmbH ist der Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers zuständig. Zwischen dem e.V., der KGaA und der KG wurde zudem der sog. Hannover-96-Vertrag geschlossen. Dieser legt fest, dass der e.V. die Satzung der GmbH nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der KG ändern, ergänzen oder ersetzen darf. Im Ergebnis kann der Geschäftsführer daher nicht durch den e.V. als deren Alleingesellschafter, sondern allein durch den GmbH-Aufsichtsrat mit Mehrheitsvotum abberufen werden. So war es jedoch nicht gekommen. In einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung fassten Vertreter des e.V. (des Gesellschafters) einen notariell beurkundeten Beschluss über die Abberufung vom Martin Kind als Geschäftsführer der GmbH mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund „im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses“. Mit seiner Klage begehrte Martin Kind die Feststellung der Nichtigkeit dieses Beschlusses.

Entscheidung des BGH

Das Karlsruher Gericht prüfte verschiedene Nichtigkeitsgründe. In Betracht kommen zunächst die Nichtigkeitsgründe entsprechend des § 241 Nr. 3 und Nr. 4 AktG. Zuletzt diskutierten die Richter noch eine Nichtigkeit unter dem Gesichtspunkt einer zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung.

Nichtigkeit entsprechend § 241 Nr. 3 AktG

Entsprechend § 241 Nr. 3 AktG ist ein Gesellschafterbeschluss nichtig, wenn er mit dem Wesen der GmbH nicht zu vereinbaren ist. In Abgrenzung zu einer Verletzung des Gesetzes oder der Satzung, derentwegen ein Beschluss der Gesellschafterversammlung lediglich angefochten werden kann (§ 243 Abs. 1 AktG), kann nur eine Verletzung der tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts eine Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH begründen. Das Gericht stellte fest, dass Gesellschafterbeschlüsse, die nur gegen die in der Satzung festgelegte Kompetenzverteilung verstoße, mit dem Wesen des GmbH-Rechts vereinbar seien. Die Abberufungskompetenz liege gem. §§ 45 Abs. 2, 46 Nr. 5 GmbHG grundsätzlich bei der Gesellschafterversammlung und nicht beim fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH. Die Missachtung des Zustimmungsvorbehalts aus dem Hannover-96-Vertrags führe nicht zur Nichtigkeit, weil die Beachtung von derartigen Stimmbindungsverträgen nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts gehöre. Der Streit um die Rechtsfolgen eines solchen Verstoßes sei unter den Vertragsbeteiligten und nicht mit der Gesellschaft auszutragen.

Nichtigkeit entsprechend § 241 Nr. 4 AktG

Nach Ansicht des BGH kommt auch die Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit des Abberufungsbeschlusses entsprechend § 241 Nr. 4 AktG nicht in Betracht. Die Nichtigkeitsfolge wäre nur einschlägig, wenn der Beschluss durch seinen Inhalt – also „für sich allein betrachtet“ – gegen die guten Sitten verstieße. Um einen Verstoß annehmen zu können, reiche es im Allgemeinen nicht aus, dass der Handelnde eine vertragliche Pflicht oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr müsse eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben könne. Die Annahme von Sittenwidrigkeit durch das bewussten Unterlaufen der satzungsmäßigen Kompetenzverteilung und des Hannover-96-Vertrages würde den Begriff der Sittenwidrigkeit überdehnen.

Nichtigkeit unter dem Gesichtspunkt einer zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung

Weichen Beschlüsse von der Satzung ab, sind diese nicht per se unwirksam. Maßstab ist, ob mit dem Beschluss eine Änderung der Satzung beabsichtigt ist. In diesem Fall müssen die formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung, notarielle Beurkundung sowie Eintragung im Handelsregister, eingehalten werden. Soll dagegen nur einmalig von der Satzung abgewichen werden, bedarf es nicht der formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung. Die Rechtsprechung unterscheidet daher zwischen punktuellen Satzungsdurchbrechungen und zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechungen. Punktuelle Satzungsdurchbrechungen sind grundsätzlich ohne Einhaltung der formellen Voraussetzungen der Satzungsänderung wirksam. Zustandsbegründende Satzungsdurchbrechungen zielen auf eine dauernde Änderung der Satzung ab. In einem solchen Fall müssen die Vorgaben der Satzungsänderung eingehalten werden, notarielle Beurkundung des Beschlusses sowie Eintragung im Handelsregister. In dem konkreten Fall hat der BGH entschieden, dass die Abberufung eines Geschäftsführers durch die nach der Satzung dafür nicht zuständige Gesellschafterversammlung keinen von der Satzung auf Dauer abweichenden rechtlichen Zustand begründe. Die Verletzung der Satzung betreffe lediglich das Zustandekommen des Beschlusses und erledige sich spätestens mit seiner Bekanntgabe an den Geschäftsführer. Die Einhaltung der Förmlichkeiten einer Satzungsänderung sei auch nicht unter Berücksichtigung des mit der Registerpublizität bezweckten Schutzes des Rechtsverkehrs geboten.

Fazit

Außenstehende Dritte (wie Martin Kind) haben nicht die Befugnis zur Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen. Die Berechtigung zur Erhebung einer Anfechtungsklage gegen einen Abberufungsbeschluss steht nur den Gesellschaftern zu. Außenstehende Dritte können sich nur mittels der Feststellungsklage auf die Nichtigkeit eines Beschlusses berufen. Nichtigkeitsgründe liegen indes selten vor. Im konkreten Fall von Hannover 96 muss sich der paritätisch aus Vertretern des e.V. und der KG besetzte GmbH-Aufsichtsrat auf einen neuen Geschäftsführer einigen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit Hannover 96 in Zukunft weiteres Material für das Gesellschaftsrecht liefert.

Der Autor dieses Beitrags steht Ihnen in Fragen zur Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen gerne zur Verfügung und hilft Ihre Interessen geltend zu machen.

Autor: Dr. Andreas Menkel

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