Der Fall
Der Kläger, ein Zahnarzt, beschäftigte einen approbierten Zahnarzt als Angestellten und wehrte sich gegen die hierdurch nach Auffassung der Finanzverwaltung begründete Qualifikation seiner zahnärztlichen Tätigkeit als gewerblich.
Die Arbeitszeiten des Angestellten folgten den Öffnungszeiten der Praxis und damit denen des Klägers. Der Patient hatte die Wahl, ob er sich von dem Kläger oder von behandeln lassen wollte. Der Angestellte war befugt, die Patienten selbst zu untersuchen, Befunde zu erheben, Heil- und Kostenpläne zu erstellen, abzuzeichnen und entsprechend zu behandeln, und führte dies auch selbständig durch. Der Kläger kontrollierte die Befunderhebung und die Behandlung in einzelnen, schwierigeren Fällen.
Eine bei dem Kläger durchgeführte Betriebsprüfung kam zu der Auffassung, wegen der Beschäftigung eines weiteren, Behandlungen teilweise selbständig durchführenden Berufsträgers habe der Kläger keine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit nach § 18 EStG, sondern gewerbliche Einkünfte nach § 15 EStG erzielt.
Die hiergegen erhobene Klage hielt das FG mit beachtlicher Begründung, die auch für andere freiberufliche Berufsgruppen im Sinn des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG (Rechtsanwälte, Steuerberater, etc.) von Bedeutung sein dürften, für begründet.
Die Entscheidung:
Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist ein Angehöriger eines freien Berufs im Sinne der Sätze 1 und 2 (hier: Zahnarzt) auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient; Voraussetzung ist, dass er auf Grund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.
Das FG hält es im Gegensatz zur Finanzverwaltung für falsch, den Begriff “eigenverantwortlich” in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG allgemein über die dargestellte Beteiligung des Arztes an jedem einzelnen Auftrag zu definieren, wie es das Finanzamt unter Berufung auf vorangegangene Rechtsprechung zu anderen Berufsbildern (u.a. Laborärzten und Krankenpflegern) unternahm.
Wollte man die Anforderungen an die Beteiligung des Arztes an jedem einzelnen Auftrag wörtlich auf alle Ärzte übertragen, wie es das Finanzamt vertrat, so gäbe es kaum noch Ärzte mit Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit. Das entspräche weder den allgemeinen Vorstellungen noch den Wertungen des Gesetzgebers.
Beschäftigt ein Arzt auch nur einen Mitarbeiter, dessen Tätigkeit über reine Sekretariatsarbeiten oder Hausmeister- und ähnliche Hilfsdienste hinausgeht, sondern einen medizinischen Bezug besitzt, so erzielte er, wäre das Verständnis des Finanzamts richtig, bereits deswegen gewerbliche Einkünfte.
Wenn ein Arzt jeden einzelnen Untersuchungsauftrag zur Kenntnis nimmt, die Bearbeitung, die Auswahl und Anwendung der Untersuchungsmethode kontrolliert und die Plausibilität des Ergebnisses nachprüft, hat er sämtliche Arbeitsschritte der Untersuchung und Behandlung begleitet. Das bedeutet praktisch, dass er seinen Mitarbeiter kaum einen Handgriff selbständig tätigen lassen dürfte, sondern ihn beständig im Auge behalten und überwachen müsste. Abgesehen davon, dass unter solchen Bedingungen die Anstellung eines Mitarbeiters, mit der der Arzt sich eigentlich entlasten will, weitgehend zwecklos wäre, ist eine derartige Verfahrensweise auch gänzlich unüblich.
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG verbietet dem Arzt nicht jede Beschäftigung von Angestellten. Das Gegenteil ist der Fall. Denn wenn die Vorschrift klarstellt, dass die Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte unschädlich sein soll, muss sie davon ausgehen, dass auch die dort beispielhaft aufgezählten Freiberufler, zu denen auch Ärzte und Zahnärzte gehören, Arbeitskräfte beschäftigen können und gleichwohl Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielen. Fachlich vorgebildete Arbeitskräfte einzustellen, ist aber nur dann sinnvoll, wenn diese Arbeitskräfte auch fachliche Arbeiten selbständig erledigen können. Das sind gerade diejenigen Arbeiten, die zum medizinischen Tätigkeitsspektrum des Arztes gehören und für die er die medizinische Verantwortung trägt. Wenn er diese Arbeiten so engmaschig kontrollierte, wie er es nach dem Verständnis des beklagten Finanzamts müsste, um weiterhin eigenverantwortlich tätig zu sein, verbrächte er einen erheblichen Teil seiner eigenen Arbeitszeit mit der Kontrolle dieser Arbeit, könnte sie statt dessen auch selbst erledigen und sich so die Anstellung (er)sparen. Das kann keine zutreffende Auslegung des Gesetzes sein.
Der Senat geht davon aus, dass die Anforderung an die Beteiligung des Arztes an jedem einzelnen Auftrag, die der BFH anlässlich eines Laboratoriumsarztes zur Definition des Begriffes der Eigenverantwortlichkeit entwickelt hat, nur vor dem Hintergrund derartiger atypischer ärztlicher Tätigkeiten zu verstehen ist und auch nur für solche Geltung beansprucht. Damit löst sich auch das Problem auf, wie Ärzte überhaupt noch Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit haben können. Das Berufsbild eines Zahnarztes ist ein gänzlich anderes als das des Betreibers eines Großlabors. Dieses Berufsbild ist maßgebend für die Beurteilung, ob der Freiberufler noch eigenverantwortlich tätig wird. Das Berufsbild ist Leitgedanke für alle weiteren Überlegungen.
Das bedeutet, dass die Anforderungen an die Eigenverantwortlichkeit unter dem beherrschenden Begriff “Berufsbild” stehen. Das Berufsbild ist deshalb eigentlich maßgebendes Kriterium für die Frage, ob der Steuerpflichtige selbständig oder gewerblich tätig ist. Das Merkmal “eigenverantwortlich” ist im Lichte dieses Berufsbildes zu interpretieren; die weiteren zur Definition von “eigenverantwortlich” herangezogenen Umschreibungen wie “Zurechnung jeden Auftrages” oder “Stempel der persönlichen Arbeit” sind ebenfalls im Lichte des Berufsbildes zu verstehen.
Dem Senat war bewusst, dass Begriffe wie “Berufsbild” klaren Abgrenzungen nur bedingt zugänglich sind, was die praktische Rechtsanwendung erschwert. Dieses Problem ist allen Definitionen eigen, die sich auf historisch gewachsene Begriffe und damit vor allem auf das wenig griffige allgemeine Erfahrungs- und auch Vorurteilsspektrum des Rechtsanwenders stützen. Es ist aber bei einer Vorschrift wie § 18 EStG und der Folgefrage der Gewerbesteuerpflicht, die ihrerseits ihre innere Rechtfertigung vor allem in historisch gewachsenen Vorstellungen findet, unvermeidbar.
Konkret bedeutete das folgendes:
„Das Berufsbild des selbständigen, niedergelassenen Arztes ist vor allem durch Größe und Organisation der Praxis bestimmt. Der Praxisinhaber muss Bezugsperson und Anlaufstelle des Patienten bleiben. Im Bewusstsein des Patienten muss eine bestimmte Praxis einem bestimmten Arzt oder bei einer Gemeinschaftspraxis mehreren Ärzten gleichermaßen zugeordnet sein. Es muss dem Patienten ohne nähere Überlegung bewusst und eingängig sein, dass der Praxisinhaber der eigentliche Ansprechpartner ist, dass dieser für die medizinische Betreuung grundsätzlich immer zur Verfügung steht, auch dann, wenn er den einen oder anderen – nachgeordneten – Helfer in der Praxis hat, der ihm die ein oder andere Arbeit abnimmt. Dann wird der Patient alle in der Praxis erbrachten Leistungen, auch dann, wenn ein Mitarbeiter die konkrete Arbeit geleistet hat, ohne weiteres dem Praxisinhaber zurechnen und diesen positiv wie negativ für diese Arbeit persönlich zur Verantwortung ziehen. Der Praxisinhaber auf der anderen Seite, der das weiß, trägt deshalb schon im Eigeninteresse dafür Sorge, dass alle medizinischen Leistungen in seiner Praxis, sofern inhaltlich überhaupt Spielräume bestehen, nach seinen eigenen medizinischen und berufsethischen Grundsätzen durchgeführt werden.
Anders läge es, wenn sich die Bindung des Patienten an den betreffenden Arzt als Bezugsperson löste. Wenn die typische Vertrauensstellung des niedergelassenen Arztes von dem Praxisinhaber auf einen Angestellten übergeht, wenn in der Vorstellung des Patienten die Behandlung nicht mehr in der Praxis des Inhabers, sondern von einem anderen Arzt ausgeübt und vor allem medizinisch verantwortet wird, wird die medizinische Leistung in der Praxis nicht mehr dem Praxisinhaber, sondern dem anderen Arzt zugeschrieben. Das geschieht unweigerlich, wenn die Praxis zu groß wird und sich dadurch Patientenkreise um diese anderen Ärzte herum verselbständigen.
So lange allerdings aus Sicht der Patienten alles, was in der Praxis geschieht, in der Praxis des Praxisinhabers erledigt wird, so lange im Sprachgebrauch des Patienten das Aufsuchen des Praxisinhabers synonym für das Aufsuchen der betreffenden Praxis gebraucht wird, so lange sind im Vorstellungsbild des Patienten alle anderen Personen, die in der Praxis tätig sind, nur Helfer des Praxisinhabers und arbeiten nach dessen Geist und Stil. Das gilt auch dann, wenn ein anderer Arzt die Behandlung tatsächlich praktisch erledigt, aber aus dem Blickwinkel des Patienten gegenüber der führenden Position des Praxisinhabers im Status untergeordnet ist. Das wiederum tritt typischerweise zum einen bei erheblichen Altersdifferenzen, zum anderen bei nur vorübergehenden Beschäftigungsverhältnissen auf. In beiden Fällen treten gegenüber dem Patienten nicht mehrere Ärzte wie gleichberechtigte Partner in Erscheinung, sondern der die Praxis dominierende Inhaber und ein ihm zur Hand gehender Mitarbeiter. Das ist gänzlich unabhängig davon, inwieweit Standesrecht Weisungen erlauben kann und inwieweit in der praktischen Arbeit tatsächlich ein Weisungs- und Abhängigkeitsverhältnis besteht. Für das Berufsbild ist, wie der Wortbestandteil “Bild” anschaulich macht, vor allem das Erscheinungsbild der Betätigung nach außen maßgebend.
Wenn in dieser Weise die Praxis nach außen mit dem Praxisinhaber identifiziert wird, bleibt der Praxisinhaber nicht nur zivilrechtlich, sondern auch gesellschaftlich und moralisch in der persönlichen Verantwortung gegenüber dem Patienten. Das ist wesentliches Element des historisch gewachsenen Berufsbildes des selbständigen, niedergelassenen Arztes. Unter diesen Umständen rechnet der Patient jede Behandlung dem Praxisinhaber zu. Sie trägt auch den “Stempel der persönlichen Arbeit” des Praxisinhabers, weil sie nach allgemeiner Vorstellung in dessen Sinn erfolgt. Damit ist den beiden typischen Merkmalen der Eigenverantwortlichkeit Rechnung getragen.“
Mit dieser Maßgabe ist der Kläger trotz der Beschäftigung eines weiteren approbierten Zahnarztes Freiberufler geblieben.
(Quelle: FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.8.2006, 1 K 30035/02; SIS 07 04 94, SIS 07 04 94; siehe Anlage)
Auszeichnungen
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2022/2023)
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017-2021)
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