Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat zu einer Neubetrachtung der „Mobbing-Rechtsprechung“ geführt. Bekanntlich existiert kein eigenes Mobbinggesetz. Mobbing konnte und musste nach allgemeinen Grundsätzen beurteilt werden. Das AGG sieht nun aber den besonderen Fall der Belästigung vor. In einer Grundsatzentscheidung hat das Bundesarbeitsgericht nun den Begriff der Belästigung nach dem AGG entsprechend auf Mobbinghandlungen ausgedehnt (BAG, Urteil v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223). Die wichtige Entscheidung möchten wir nachfolgend vorstellen.
Der Sachverhalt der Entscheidung:
Der klagende Arbeitnehmer ist seit 1987 in dem von dem beklagten Arbeitgeber betriebenen Krankenhaus als Arzt in der neurochirurgischen Abteilung beschäftigt. Seit 1990 ist er Oberarzt und seit 1992 erster Oberarzt der neurochirurgischen Abteilung. Der Chefarzt schied Anfang 2001 aus. Die Bewerbung des Oberarztes um die Chefarztstelle blieb erfolglos. Vielmehr wurde zum 1. Oktober 2001 ein externer Bewerber eingestellt (im Folgenden Chefarzt).
Seit November 2003 war der Oberarzt wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig. Ein Wiedereingliederungsversuch im Mai 2004 wurde erfolglos abgebrochen. Seit Oktober 2004 ist er fortlaufend arbeitsunfähig erkrankt.
Der Oberarzt fühlt sich seit Mai 2002 von dem Chefarzt „gemobbt“. Zahlreiche Gespräche und diverse Konfliktlösungsverfahren unter Leitung eines externen Vermittlers blieben erfolglos bzw. wurden ergebnislos abgebrochen. Aus der Vielzahl der Mobbingvorwürfe sollen beispielhaft hier nur folgende erwähnt werden:
– Geplante und bereits gebuchte Urlaube mussten wegen des später geplanten Urlaubs des Chefarztes immer wieder abgebrochen und/oder verändert werden.
– Die fachlichen Kompetenzen des Oberarztes wurden durch den Chefarzt vor Dritten immer wieder in Frage gestellt.
– Oberarzt wurde bei Operation von dem Chefarzt angeschrieen: „Ich bin hier Operateur und Sie sind mein Handlanger. Sie haben zu tun, was ich Ihnen sage“.
Der Oberarzt führt seine Erkrankung auf das „Mobbingverhalten“ des Chefarztes zurück. Er hat deshalb seinen Arbeitgeber, das Krankenhaus, verklagt und vorrangig beantragt, das mit dem Chefarzt bestehende Anstellungsverhältnis zu beenden, hilfsweise ihm einen seiner Leistungsfähigkeit und Stellung entsprechenden Arbeitsplatz zuzuweisen, an dem eine berufliche Weisungsgebundenheit gegenüber dem Chefarzt nicht besteht. Ferner hat er beantragt, den Arbeitgeber zur Zahlung eines Schmerzensgeldes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu verurteilen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung des Budnesarbeitsgerichts:
Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und das Urteil zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
I. AGG auf Mobbing übertragbar!
Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst klargestellt, dass „Mobbing“ kein Rechtsbegriff und damit auch keine Anspruchsgrundlage für Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber oder gegen Vorgesetzte ist. Allerdings hat das AGG seit seinem In-Kraft-Treten zum 18. August 2006 den Begriff der „Belästigung“ eingeführt. Danach ist eine Belästigung eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Diskriminierungsgrund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
Das Bundesarbeitsgericht betont, dass mit dieser Definition des Begriffs „Belästigung“ der Gesetzgeber letztlich auch den Begriff des „Mobbing“ umschrieben hat. Das AGG greife aber unmittelbar nur dann ein, wenn eines der speziellen Diskriminierungsmerkmale erfüllt sei (Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität).
Für alle sonstigen Fälle könne aber der in § 3 AGG beschriebene Begriff des „Mobbing“, gleich aus welchen Gründen und gleich, ob Diskriminierungsmerkmale vorliegen, übertragen werden.
Hinweis für die Praxis:
Das Bundesarbeitsgericht hat nun höchstrichterlich klargestellt, dass der in § 3 Abs. 3 AGG normierte Begriff der Belästigung auf „Mobbing“ zu übertragen ist. Mobbingfälle können deshalb künftig nach dieser Definition beurteilt werden. Es kommt dann nicht darauf an, ob zusätzlich ein Diskriminierungsmerkmal nach § 1 AGG vorliegt.
II. Gesamtschau einzelner Handlungen kann zu Mobbing führen
Grundsätzlich muss jeweils einzeln geprüft werden, ob die von dem Mobbing-Opfer angeführten Einzelfälle ein Recht verletzen bzw. eine Belästigung, wie zuvor dargestellt, darstellen. Aber: In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es Fälle gibt, in denen die einzelnen, vom Arbeitnehmer dargelegten Handlungen oder Verhaltensweisen seiner Arbeitskollegen oder seiner Vorgesetzten bzw. seines Arbeitgebers für sich allein betrachtet noch keine Rechtsverletzungen darstellen, die Gesamtschau der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen jedoch zu einer Vertrags- oder Rechtsgutverletzung führt, weil deren Zusammenfassung aufgrund der ihnen zugrunde liegenden Systematik und Zielrichtung zu einer Beeinträchtigung eines geschützten Rechts des Arbeitnehmers führt (Vgl. dazu auch BAG, Urteil v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154).
III. Anspruch auf Kündigung des Vorgesetzten besteht grundsätzlich nicht
Der Arbeitgeber hat die Pflicht, seine Arbeitnehmer vor Belästigungen durch Vorgesetzte, Mitarbeiter oder Dritte, auf die er Einfluss hat, zu schützen und ihnen einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Insoweit hat der betroffene Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber Anspruch darauf, dass dieser die zur Beseitigung der Störung erforderlichen Maßnahmen ergreift. Aber: Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme. Vielmehr verbleibt dem Arbeitgeber ein Ermessensspielraum, durch welche Maßnahmen er die aufgetretenen Belästigungen des Arbeitnehmers beseitigen will.
Hinweis für die Praxis:
Der Arbeitnehmer hat allerdings Anspruch auf die Ausübung rechtsfehlerfreien Ermessens durch den Arbeitgeber. Kann nach objektiver Betrachtungsweise eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung des Arbeitgebers nur das Ergebnis haben, dass eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen ist, hat der Arbeitnehmer dann auch Anspruch auf deren Durchführung. Dies kann in speziellen Situationen auch (theoretisch) zu einem Anspruch auf Kündigung führen. Allerdings scheint dies praktisch kaum durchführbar. Vor verhaltensbedingten Kündigungen bedarf es des Ausspruchs einer Abmahnung. Diese wurde vorliegend nicht ausgesprochen, so dass eine Kündigung schon aus diesem Grunde unwirksam wäre und der gekündigte Chefarzt einen Anspruch auf Wiedereinstellung hätte.
IV. Kein Anspruch auf einen anderen Arbeitsplatz
Ein Anspruch des Oberarztes, ihm einen seiner Leistungsfähigkeit und Stellung entsprechenden Arbeitsplatz anzubieten, lehnte das Bundesarbeitsgericht ebenfalls ab. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Mit der Fürsorgepflicht wird der Arbeitgeber lediglich verpflichtet, den Arbeitnehmer vor Belästigungen durch seine Vorgesetzten zu schützen. Diese Verpflichtung findet ihre Grenzen jedoch darin, dass der Arbeitgeber keine Maßnahmen ergreifen muss, die ihm unmöglich oder unzumutbar sind.
Im vorliegenden Fall war der Kläger als Facharzt für Neurochirurgie auf dieses Fachgebiet beschränkt. Die Einrichtung einer eigenen neuen Abteilung, in welcher der Kläger die Funktion eines ersten Oberarztes einnehmen könnte und in der er als Facharzt für Neurochirurgie fach- und sachgerecht eingesetzt werden könnte, wäre für das beklagte Krankenhaus unzumutbar gewesen.
V. Mobbing begründet Schmerzensgeldanspruch gegen Arbeitgeber!
Das Bundesarbeitsgericht hat besonders herausgestellt, dass der Arbeitgeber zum Schutz der Gesundheit und der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers verpflichtet ist. Arbeitnehmer dürfen keinem gesundheitsgefährdenden Verhalten ausgesetzt werden. Im vorliegenden Fall war jedoch der Oberarzt, hierin waren sich Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht einig, einem als „Mobbing“ zu bezeichnenden Verhalten über Jahre hinweg ausgesetzt. Der Chefarzt war Vorgesetzter des Oberarztes. Der Arbeitgeber musste sich das Verschulden des Chefarztes daher wie eigenes Verschulden nach § 278 BGB zurechnen lassen.
Arbeitgeber haften dem betroffenen Arbeitnehmer gegenüber nach § 278 BGB für schuldhaft begangene Rechtsverletzungen, die von ihm als Erfüllungsgehilfen eingesetzte Mitarbeiter oder Vorgesetzte begehen, in vollem Umfange. Voraussetzung ist lediglich, dass die schuldhafte Handlung in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben steht, die der Arbeitgeber dem Erfüllungsgehilfen (hier dem Chefarzt) zugewiesen hat. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Erfüllungsgehilfe gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers konkretisiert bzw. wenn er ihm gegenüber Weisungsbefugnis hat. Der Chefarzt war jedoch gegenüber dem Oberarzt weisungsbefugt.
Verschulden war ebenfalls zu bejahen, denn nach zivilrechtlichen Grundsätzen muss sich das Verschulden des Schädigers nur auf die Pflicht-, Rechtsgut- oder Schutzgesetzverletzung beziehen, nicht jedoch auf den eingetretenen Schaden. Ein Fall der privilegierten Haftung, der sog. betrieblich veranlassten Arbeitnehmerhaftung, lag hier nicht vor.
Der Arbeitnehmer hatte daher wegen der von dem Chefarzt schuldhaft verursachten Gesundheitsschädigung einen Anspruch auf billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld). Über die Höhe der Geldentschädigung muss allerdings das Landesarbeitsgericht entscheiden. Aus diesem Grunde wurde der Rechtsstreit nochmals in die 2. Instanz zurückverwiesen.
Fazit:
Mobbingstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern können auch Ansprüche des betroffenen Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auslösen. Das vorliegende Urteil macht deutlich, dass Konfliktlösungsbemühungen nicht ausreichen. Der Arbeitgeber ist vielmehr verpflichtet, sich schützend vor den Arbeitnehmer zu stellen und das Mobbingverhalten aktiv zu unterbinden. Dies sollte auch konkret dokumentiert werden, um spätere Schadensersatzansprüche abwehren zu können. Die Entscheidung ist auch deshalb für die Praxis von Bedeutung, weil der Begriff der Belästigung aus § 3 Abs. 3 AGG nun auf das Mobbing entsprechend angewandt wird.
Auszeichnungen
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