01.06.2006 -

Über betriebliche Bündnisse für Arbeit wird häufig, zumeist kontrovers und nicht selten ideologisch eingefärbt diskutiert. Gemeint sind Absprachen, die Unternehmen in Zeiten wirtschaftlicher Krise mit ihrem Betriebsrat und/oder mit den Mitarbeitern treffen, um untertariflichen Lohn oder übertarifliche Arbeitszeit gegen einen befristeten Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen einzutauschen. Die Bündnisse für Arbeit sind gegen starre Regelungen in Flächentarifverträgen gerichtet, von denen sie zum Nachteil der Arbeitnehmer, aber mit dem Ziel der Beschäftigungssicherung abweichen. Sie werden bisweilen auch als firmenbezogene Verbandstarifverträge oder Firmentarifverträge vereinbart. Die Verbände, insbesondere die Gewerkschaften, betrachten solche tariflichen Regelungen als „kontrollierte Dezentralisierung“. Ohne Beteiligung der Tarifparteien soll es sich hingegen um „wilde Dezentralisierung“ handeln.

Betriebliche Bündnisse für Arbeit werden auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen, weil die wirtschaftliche Großwetterlage dazu zwingt, sich von Flächentarifverträgen unternehmens- oder betriebsbezogen lösen zu können. Dies haben auch die Gewerkschaften durchaus erkannt. Sie nehmen für sich in Anspruch, selbst erheblich zu der notwendigen Flexibilisierung der Flächentarifverträge beizutragen und betriebliche Lösungen zu fördern. Die von ihnen zugestandenen Möglichkeiten, mit Öffnungsklauseln von tariflichen Vorgaben abzuweichen, reichen jedoch gerade für ein Unternehmen in der Krise häufig nicht aus, um wirksame und rechtzeitige Abhilfe zu schaffen.

Bündnisse für Arbeit auf der betrieblichen Ebene werden weitgehend durch die gesetzlich verankerte Tarifautonomie verhindert, der über den grundrechtlichen Schutz der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes Verfassungsrang zukommt. Die Sperre wird durch die Rechtsprechung noch verstärkt; sie lässt für ein höheres Maß an Flexibilität, die gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten geboten ist, zu wenig Raum. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Selbst Unternehmen, die nicht dem Arbeitgeberverband angehören, sind in ihrer Handlungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Betriebsverfassungsrechtliche Beschränkungen nehmen ihnen weitgehend die Möglichkeit, im Hinblick auf Arbeitsentgelte und andere Arbeitsbedingungen mit ihrem Betriebsrat ein rechtswirksames betriebliches Bündnis für Arbeit einzugehen.

Die gesetzlichen Grundlagen für diese Beschränkungen finden sich im Tarifvertragsgesetz (TVG) und im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Nach § 4 Abs. 3 TVG sind von Tarifnormen abweichende Abmachungen nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet oder für den Arbeitnehmer günstiger sind. § 77 Abs. 3 BetrVG schließt Betriebsvereinbarungen über Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden können, generell aus. Dies gilt nur dann nicht, wenn der jeweilige Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Tarifvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Zusätzlich findet sich der Tarifvorbehalt, allerdings bezogen und beschränkt auf soziale Angelegenheiten, im Einleitungssatz zu § 87 Abs. 1 BetrVG. Danach kann der Betriebsrat über soziale Angelegenheiten (nur) mitbestimmen, wenn keine tarifliche Regelung besteht.

1. Gesetzliche Regelungen

a) § 4 Abs. 3 TVG

Der durch § 4 Abs. 3 TVG normierte Tarifvorrang gilt im Verhältnis der Tarifnorm zu „abweichenden Abmachungen“, also insbesondere zu Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen. Abweichungen zu Gunsten des Arbeitnehmers sind zwar nicht ausgeschlossen. Die Sperrwirkung des Tarifvertrags steht betrieblichen Bündnissen für Arbeit dennoch entgegen und beeinträchtigt ihren Anwendungsbereich, weil das Bundesarbeitsgericht den notwendigen Günstigkeitsvergleich nach strengen Maßstäben ausrichtet.

An sich liegt es nahe, eine Absprache, mit der der Arbeitnehmer die Sicherung seines Arbeitsplatzes durch einen Kündigungsverzicht des Arbeitgebers gegen die Zusage einer zusätzlich zu leistenden Arbeitszeit erlangt, als für ihn vorteilhaft anzusehen und deshalb auch im Geltungsbereich eines Tarifvertrages anzuerkennen. Nicht so das Bundesarbeitsgericht, das lediglich einen Sachgruppenvergleich billigt und deshalb nur Lohn mit Lohn und Arbeitszeit mit Arbeitszeit vergleicht (BAG v. 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 -, NZA 99, 987). Für das Arbeitsplatzargument und die Sicherung der Beschäftigung bleibt in diesem Rahmen kein Raum. Die Einhaltung des Tarifvertrages wird höher bewertet als der Erhalt von Arbeitsplätzen, auch wenn die Beteiligten im Unternehmen (Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsrat) gemeinsam davon überzeugt sind, dass Arbeitsplätze an einem bestimmten Standort nur zu tarifabweichenden Bedingungen erhalten werden können, und sich dafür aussprechen. So hatten in dem von dem BAG entschiedenen Fall 94,6 % der Belegschaft dem Bündnis zugestimmt.

Die Rechtsprechung hat Zustimmung, aber auch heftige Kritik erfahren. Im Geltungsbereich des Tarifvertrages entzieht sie betrieblichen Bündnissen für Arbeit ihre Grundlage, weil – so das Bundesarbeitsgericht – aufgrund der Tarifautonomie die alleinige Beurteilungskompetenz den Tarifparteien zusteht. Die Rechtsprechung schließt es zwar nicht aus, die Arbeitsplatzsicherheit in den Günstigkeitsvergleich einzubeziehen, meint aber, dass darüber der Gesetzgeber zu entscheiden habe.

§ 4 Abs. 3 TVG gilt allerdings nur in dem Umfang, wie der jeweilige Tarifvertrag normativ wirkt, also lediglich im Verhältnis tarifgebundener Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Soweit tarifliche Regelungen allein aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme gelten, sind die Arbeitsvertragsparteien frei, abweichende Vereinbarungen auch zum Nachteil der Arbeitnehmer zu treffen. Insoweit steht § 4 Abs. 3 TVG betrieblichen Bündnissen für Arbeit nicht entgegen.

b) § 77 Abs. 3 BetrVG

Auch § 77 Abs. 3 BetrVG trägt dem Vorrang der Tarifautonomie Rechnung und verstärkt die Sperrwirkung erheblich. Das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG findet im Verhältnis zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung keine Anwendung. Darüber hinaus kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist.

Die Sperrwirkung für Betriebsvereinbarungen betrifft Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, soweit sie durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Diese Voraussetzung ist erfüllt, soweit der Betrieb dem fachlichen und räumlichen Geltungsbereich angehört, für den die Tarifregelung gilt. Des Weiteren genügt für die tarifliche Sperrwirkung, dass es sich um eine tarifübliche Regelung, also um eine solche handelt, die in der Vergangenheit bestanden hat und mit der auch künftig zu rechnen ist.

Im fachlichen und räumlichen Geltungsbereich eines Flächentarifvertrages sind betriebliche Bündnisse für Arbeit, die als Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden, unzulässig und unwirksam, soweit der jeweilige Tarifvertrag keine Öffnungsklausel (auch) für Betriebsvereinbarungen enthält. Dies gilt selbst dann, wenn sich die Regelungen ausschließlich zu Gunsten der Arbeitnehmer auswirken.

c) § 87 Abs. 1 BetrVG

Dem Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 BetrVG kommt im Hinblick auf betriebliche Bündnisse für Arbeit keine erhebliche Bedeutung zu. Sein Anwendungsbereich bleibt auf soziale Angelegenheiten beschränkt, zu denen Arbeitsentgelte (Höhe der Vergütung) und Dauer der Arbeitszeit nicht gehören.

Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten: Im Geltungsbereich der §§ 4 Abs. 3 TVG, 77 Abs. 3 BetrVG bleibt für betriebliche Bündnisse für Arbeit kein Raum. Sie kommen im Wesentlichen nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist und die Vereinbarung mit den einzelnen Arbeitnehmern, nicht mit dem Betriebsrat abgeschlossen wird.

2. Betriebliche Bündnisse für Arbeit unter Gewerkschaftsbeteiligung

Betriebliche Bündnisse für Arbeit sind durch zwei Kriterien gekennzeichnet: den Unternehmens- oder Betriebsbezug zum einen und die Abweichung von sonst geltenden tariflichen Regelungen zum anderen. Sie richten sich zwar, wie eingangs erwähnt, gegen die starren Regelungen von Flächentarifverträgen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie stets ohne Gewerkschaftsbeteiligung auskommen müssen. Im Gegenteil: Gerade wegen der Tarifautonomie bieten sich betriebliche Regelungen mit der Gewerkschaft oder unter ihrer Beteiligung an.

Dieser Weg ist durch die Regelungen des Tarifvertragsgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes vorgegeben, die abweichende Vereinbarungen ausdrücklich zulassen, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind. Derartige Öffnungsklauseln werden in der tariflichen Praxis immer häufiger vereinbart; sie gewinnen zunehmend an Bedeutung. Nur in Ausnahmefällen allerdings sind die Gewerkschaften bereit, die Entscheidung den Betriebsparteien zu überlassen. Freiwillige Betriebsvereinbarungen stehen im Rahmen aktueller Öffnungsklauseln meist unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch die Tarifparteien.

Damit werden betriebsnahe Lösungen zur Beschäftigungssicherung erheblich erschwert. Dieser Weg genügt häufig nicht, um auf wirtschaftliche Krisen des Unternehmens angemessen reagieren und betrieblichen Notlagen rechtzeitig begegnen zu können. Immerhin aber ist zu konzedieren, dass die Gewerkschaften in Teilen bereit sind, Regelungen in Flächentarifverträgen zu flexibilisieren.

3. Reform des Tarifrechts

Betriebliche Bündnisse für Arbeit sind nicht nur geeignete, sondern auch notwendige Instrumente zur Beschäftigungssicherung. Dort, wo es darum geht, Arbeitsplätze zu erhalten, muss es möglich sein, auf der betrieblichen Ebene von tarifvertraglichen Vorgaben abzuweichen, wenn die Mitarbeiter als die unmittelbar Betroffenen mit einer qualifizierten Mehrheit (z.B. von 75 %) und, soweit vorhanden, der Betriebsrat einverstanden sind. Soweit ein Großteil der Belegschaft und der Betriebsrat zustimmen, kann von einem tatsächlich vorhandenen Sanierungsbedarf ausgegangen werden. In diesem Falle müssen die unmittelbar Betroffenen darüber entscheiden können, ob sie untertariflichen Lohn oder übertarifliche Arbeitszeit rechtswirksam gegen einen befristeten Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen eintauschen wollen.

Eine Reform des Tarifrechts in diesem Sinne erscheint dringend geboten. Zumindest aber muss die gesetzliche Möglichkeit geschaffen werden, das tarifrechtliche Günstigkeitsprinzip zu erweitern und in den Vergleich nach § 4 Abs. 3 TVG den von dem Arbeitgeber angebotenen befristeten Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen oder andere Bestandsschutzzusagen einzubeziehen.

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