In drei Urteilen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 22. September 2022 seine Rechtsprechung zum Verfall von Urlaub verschärft (EuGH, Urteile in den Rechtssachen C-120/21; C-518/20; C-727/20).
Ausgangspunkt dieser Verschärfung ist nach wie vor die EuGH-Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2018 (Rechtssache C-619/16). Damals wurde entschieden, dass Arbeitgeber eine Mitwirkungsobliegenheit beim Urlaub trifft und diese dafür sorgen müssen, dass Mitarbeitende ihren konkreten Urlaubsanspruch kennen, über die Möglichkeit eines Verfalls informiert sind und tatsächlich in der Lage sind, ihren Jahresurlaub auch zu nehmen. Kommen Arbeitgeber dieser Obliegenheit nicht nach, verfällt Urlaub nicht.
Mit den neuen EuGH-Urteilen steht nun fest, dass ohne eine solche Belehrung Urlaubsansprüche auch nicht verjähren. Damit hat der EuGH Hoffnungen auf eine zeitliche Begrenzung von angesammeltem Urlaubsansprüchen bei unterlassender Belehrung eine klare Absage erteilt.
Darüber hinaus wurde in den Urteilen noch einmal die Bedeutung der Mitwirkungsobliegenheit gestärkt und auch der Fall von Langzeiterkrankungen aufgegriffen. Hier galt bislang, dass Urlaub, der wegen einer Erkrankung nicht mehr genommen werden konnte, spätestens nach 15 Monaten verfällt. Der EuGH stellte nun klar: der Urlaub aus dem Jahr, in dem ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin vor einer Erkrankung noch gearbeitet hat, verfällt nicht nach 15 Monaten, wenn in dem Jahr des Eintritts der Erkrankung keine Belehrung erfolgt ist.
Die dargestellte Rechtsprechung führt dazu, dass in einem laufenden Arbeitsverhältnis ein Verfall von Urlaubsansprüchen fast keine Rolle mehr spielt. Denn wenn die Arbeitgeberseite den Belehrungspflichten vollumfänglich nachkommt, werden die Mitarbeitenden den Urlaub in aller Regel auch nehmen. Ohne die Belehrung scheidet ein Verfall aber aus.
Arbeitgeber, die schon mit Blick auf die sonst erforderlichen Rückstellungen ein unbegrenztes Ansammeln von Resturlaub verhindern wollen, müssen also daran mitwirken, dass ihre Mitarbeitenden ihren Urlaub auch nehmen. Sie können spätestens jetzt nicht mehr darauf hoffen, dass auch bei unterbliebener Mitwirkung maximal Resturlaub aus 3 Jahren angesammelt wird.
Problematisch sind weiterhin vor allem Fälle aus der Vergangenheit. Denn vor 2018 waren sich Arbeitgeber über die sie treffenden Hinweispflichten gar nicht im Klaren. Hier gilt jedoch kein Vertrauensschutz. Arbeitgeber sollten sich dieser Thematik daher annehmen.
Die wichtigsten Praxistipps für Arbeitgeber lauten:
1. Überblick über Resturlaub
Verschaffen Sie sich einen Überblick über mögliche Urlaubsansprüche aus der Vergangenheit! Hierzu gehört:
- Prüfen Sie, ob bei Ihnen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen in der Vergangenheit weniger Urlaub genommen haben als ihnen zustand.
- Klären Sie auch, ob geringfügig Beschäftigten (den sog. Minijobbern) Urlaub in dem ihnen zustehenden Umfang gewährt wurde. Entgegen einem verbreiteten Irrtum haben Minijobber dieselben Urlaubsansprüche wie alle anderen Mitarbeitenden.
2. Risikoabwägung bei Resturlaubsansprüchen
Gehen Sie die Problematik an, wenn sich bei der Prüfung ergibt, dass Mitarbeitende in der Vergangenheit weniger Urlaub genommen haben als ihnen zustand. Hierzu muss eine Risikoabwägung erfolgen, um die weiteren Schritte zu klären. Um wie viele Mitarbeitende geht es? Wie viele Urlaubstage könnten noch offen sein? Lässt sich jedenfalls in Einzelfällen eine Lösung finden, die für die Zukunft unerwartete Ansprüche ausschließt?
3. Einführung einer Routine für die Hinweispflicht
Alle Jahre wieder: Etablieren Sie – soweit noch nicht geschehen – spätestens jetzt einen Ablauf, um den Mitwirkungsobliegenheiten regelmäßig nachzukommen. Allgemeine Hinweise im Arbeitsvertrag oder in Merkblättern genügen hierfür nicht. Im Zweifel empfiehlt sich ein Hinweis an alle Mitarbeitenden zu Beginn des Jahres und im letzten Quartal.
4. Kürzung von Urlaub aus Elternzeiten
Prüfen Sie unbedingt, ob bei allen Mitarbeitenden, die sich entweder aktuell in Elternzeit befinden oder die in der Vergangenheit in Elternzeit waren, eine Kürzung des Urlaubs für die Dauer der Elternzeit erklärt wurde. Eine solche Kürzung kann auch nachgeholt werden, solange das Arbeitsverhältnis noch besteht. Sie erfolgt aber nicht automatisch, sondern muss erklärt werden.
5. Anpassung Ihrer Vertragsmuster
Sehen Sie Ihre Arbeitsvertragsmuster daraufhin durch, ob die darin enthaltenen Urlaubsklauseln für vertraglichen Mehrurlaub eigenständige Regelungen enthalten.
Autorin: Carolin Kraus
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