Angestellte Ärzte im öffentlichen Dienst trifft eine Loyalitätsverpflichtung (credit:adobestock)
Auch für Chefärztinnen und Chefärzte ist der öffentliche Dienst ein wichtiger Arbeitgeber. Im öffentlichen Dienst beschäftigte Ärzte treffen besondere Loyalitätspflichten. Zu welchen Abwägungsfragen dies führt, zeigt ein aktuelles Urteil des LAG Baden-Württemberg
Der Fall
Die Klägerin war beim beklagten Land Baden-Württemberg als Polizeiärztin beschäftigt, kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme fand der TV-L auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Zu ihren Aufgaben gehörte es unter anderem, medizinische Einstellungs- und Auswahluntersuchungen bei Polizeianwärtern durchzuführen.
Im November 2021 schaltete die Polizeiärztin eine Anzeige in einem kostenlosen Anzeigeblatt unter „Kleinanzeigen“. In dieser Anzeige verglich die Polizeiärztin die Neufassung des IfSG mit dem Ermächtigungsgesetz (wortwörtlich „Infektionsschutzgesetz = Ermächtigungsgesetz“). Weiter hieß es dort unter anderem: „Zwangsimpfung – Wegnehmen der Kinder – Schutzlos in der eigenen Wohnung – Geschlossene Grenzen – Arbeitsverbot – Gefängnis. Wir, die Bürger von Deutschland, sollen alle unsere Rechte verlieren. Wir müssen Widerstand leisten.“ Nach einem Personalgespräch und erfolgter Anhörung des Personalrats sprach das beklagte Land eine ordentliche fristgemäße Kündigung gegen die Polizeiärztin aus, wogegen sich diese mit einer Kündigungsschutzklage wehrte.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage ab. Die Polizeiärztin habe gegen ihre Treuepflicht verstoßen. Für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des öffentlichen Dienstes bestehe eine besondere politische Loyalitätspflicht, die sich hier aus § 3 Abs. 1 S. 2 TV-L ergebe. Demnach müsse auch das außerdienstliche Verhalten der Arbeitnehmer von einem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung geprägt sein. Zwar sei diese Treuepflicht nicht so stark ausgeprägt wie bei Beamten. Es sei aber ein solches Maß an politischer Loyalität geschuldet, wie für die funktionsgerechte Verrichtung der Tätigkeit unverzichtbar sei. Arbeitnehmer mit hoheitlichen Aufgaben müssten sich aktiv zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen und sich mit dieser identifizieren. Bei Arbeitnehmern ohne hoheitliche Aufgaben reiches hingegen aus, wenn sie freilich demokratische Grundordnung nicht aktiv bekämpft, beschimpft oder verächtlich gemacht werde, so das LAG. Auf der anderen Seite müsse die Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer berücksichtigt werden.
Zu Gunsten der Polizeiärztin ging das LAG davon aus, dass ihre Tätigkeit nicht in einem solchen Umfang hoheitlich geprägt sei, dass eine gesteigerte politische Treuepflicht angenommen werden könne. Zwar handele es sich bei den Untersuchungen von Anwärtern auf ihre Polizeidiensttauglichkeit um eine hoheitliche Aufgabe. Ob die Ärztin hingegen überwiegend hoheitliche Aufgaben wahrgenommen habe, sei aber unklar. Darauf komme es im Ergebnis nicht an, da schon ein Verstoß gegen die einfache politische Treuepflicht vorliege.
Die Polizeiärztin habe das 3. Bevölkerungsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24.03.1933 gleichgesetzt. Hierbei handelt es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil. Die Einlassung der Polizeiärztin, wonach sie den Begriff „Ermächtigungsgesetz“ formaljuristisch im Sinne einer „Ermächtigung“ benutzt habe, ohne dabei den historischen Hintergrund zu berücksichtigen, wertete das LAG als reine Schutzbehauptung. Dies folge aus der Gleichsetzung von Infektionsschutzgesetz und Ermächtigungsgesetz sowie aus den nachfolgend verwendeten Begrifflichkeiten, die sämtlich eine staatliche Willkür und Gewaltherrschaft unterstellten. Eine bloß technische Verwendung des Begriffs „Ermächtigungsgesetz“ hätte auch nicht die von der Polizeiärztin beabsichtigte plakative Wirkung gehabt, so das LAG. Im allgemeinen Sprachgebrauch werde der Begriff „Ermächtigungsgesetz“ auch nicht formaljuristisch verstanden, sondern stets mit der Selbstentmachtung des Reichstags in der Weimarer Republik und dem Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Verbindung gebracht. Die Ärztin habe damit nicht nur die Kompetenzübertragung des Bundestags an die Exekutive gerügt, sondern gezielt die Gesetzgebungsorgane mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vergleichbare Repressionen unterstellt. Damit habe sie die freilich demokratische Grundordnung verächtlich gemacht. Der Vorwurf an die Gesetzgebungsorgane, sämtliche Grundrechte preisgegeben zu haben, sei der schärfste mögliche Vorwurf an demokratische Institutionen.
Das Arbeitsverhältnis sei durch das Verhalten der Polizeiärztin konkret gestört worden. Dies folge einerseits aus der generellen Verächtlichmachung demokratischer Institutionen. Gerade Polizeikräfte seien – auch wenn die Ärztin die Polizei als solche nicht genannt habe – durch die Aussagen („Zwangsimpfung – Wegnehmen der Kinder – Schutzlos in der eigenen Wohnung – Geschlossene Grenzen – Arbeitsverbot – Gefängnis“) in einen negativen Zusammenhang gestellt worden und unweigerlich als Hilfsinstrument staatlicher Willkür diskreditiert worden. Damit habe die Polizeiärztin jedes Vertrauenskapital verspielt. Das Vertrauensverhältnis zu ihren Vorgesetzten innerhalb der Polizei sei unwiederbringlich zerstört.
Die Polizeiärztin habe ihre Rücksichtnahmepflichten aus dem Arbeitsverhältnis auch schuldhaft verletzt. Ein Irrtum über die Bedeutung des Begriffs „Ermächtigungsgesetz“ sei nach Bildungsstand und Persönlichkeit der Polizeiärztin auszuschließen. Zu berücksichtigen sei, dass die Äußerung nicht spontan in einer „hitzigen Situation“ gefallen sei, sondern von der Ärztin in einer Zeitungsanzeige publiziert worden sei.
Eine Abmahnung sei vor Ausspruch der Kündigung nicht erforderlich gewesen. Das Land Baden-Württemberg müsse eine Gleichsetzung der Gesetzgebungsorgane mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht hinnehmen und können bereits einen einmaligen Vorfall dieser Art zum Anlass einer Kündigung nehmen. Dementsprechend sei es im Rahmen der Interessenabwägung dem Land Baden-Württemberg nicht zumutbar, die Polizeiärztin weiter zu beschäftigen.
Fazit
Angestellte Ärzte im öffentlichen Dienst trifft eine Loyalitätsverpflichtung, sodass sie sich nicht aktiv gegen die verfassungsmäßige Ordnung stellen dürfen. Zwar sind diese weniger weitgehend, wenn keine hoheitlichen Aufgaben wahrgenommen werden. Grundsätzlich gilt aber: So wie ein Arbeitnehmer in einem Unternehmen dieses nicht nach außen verächtlich machen darf, gilt dies auch entsprechend für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Die Grenze zwischen zulässiger politischer Meinungsäußerung und Verächtlichmachung des Staates muss im Einzelfall gezogen werden. Hier sah das LAG mit sorgfältiger und überzeugender Begründung diese Grenze als überschritten an.
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