27.07.2022 -


Das Arbeitsverhältnis kann durch Trunkenheit am Steuer gefährdet sein (credit:adobestock)

Trunkenheitsfahrten können zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen. Allerdings zeigt sich in vielen Fällen, dass dieser auch in der Rechtsprechung anerkannte Satz meist in konkreten arbeitsgerichtlichen Verfahren deutlich anders beurteilt wird. In vielen Fällen sind ausgesprochene Kündigungen, trotz einer erheblichen Trunkenheitsfahrt und dem Entzug der Fahrerlaubnis, unwirksam. Eine neue Entscheidung des Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigt dies ( LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.09.2021 – 1 Sa 299/20). Wir möchten die Entscheidung hier besprechen und die Gründe für die Praxis erläutern.

Der Fall:

Der Arbeitgeber betreibt ein Chemieunternehmen mit 269 Mitarbeitern. Bei den Kunden des Arbeitgebers handelt es sich um Zulieferer der Automobilindustrie. Sie werden mit Kunststoffgranulat beliefert. Die Kunden stellen hieraus Zahnräder her, die in Automobilen verbaut werden.

Die Aufgaben des bereits seit 1999 beschäftigten Klägers besteht im Wesentlichen darin, die Kunden vor Ort zu besuchen und zu beraten, welches der Produkte der Beklagten für den Bedarf der Kunden geeignet ist. Er wird als Key-Account-Manager beschäftigt. Das Jahresbruttogehalt beträgt 140.000,00 €.

Es besteht ein Stellen- und Anforderungsprofil. Danach muss der Stelleninhaber u.a. über „Flexibilität/hohe Reisebereitschaft (gültiger Führerschein unbedingt erforderlich)“ verfügen.

In den weiteren vertraglichen Vereinbarungen heißt es zur Einnahme von Alkohol und Drogen:

„Mitarbeiter dürfen niemals fahren, wenn sich Alkohol in ihrem Blut befindet. Selbst kleinste Alkoholmengen beeinträchtigen das Urteilsvermögen und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mitarbeiter in einen Unfall verwickelt wird. Das Unternehmen hat eine Nulltoleranzhaltung gegenüber dem Fahren unter Einfluss illegaler Drogen. Jeden Mitarbeiter, der beim Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss angetroffen wird, erwartet ein sofortiges Disziplinarverfahren.“

Im „Country Appendix“ heißt es unter 10.3:

„Fahrerlaubnis

… Die Benutzung des Fahrzeuges ist untersagt, wenn der Mitarbeiter nach pflichtgemäßer Prüfung aller Umstände nicht mit Sicherheit ausschließen kann, dass seine Fahrtüchtigkeit durch die Einnahme von Medikamenten, Alkohol oder Drogen eingeschränkt ist …“

Am Sonntag, den 13. Oktober 2019 verursachte der Kläger nachmittags mit seinem Dienstwagen einen Verkehrsunfall. Er fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit unter Alkoholeinfluss und kam von der Fahrbahn ab. Das Fahrzeug wurde von einem Baum gestoppt und war dann nicht mehr fahrbereit. Es entstand ein Schaden von 18.000,00 €.

Die Polizei nahm den Unfall auf, beschlagnahmte den Führerschein des Arbeitnehmers und nahm eine Blutprobe. Das Ergebnis der Atemalkoholprobe lag bei 1,8 Promille.

Der Arbeitnehmer telefonierte dann einige Tage später mit seinem Vorgesetzten und schlug vor, für die Zeit des Führerscheinentzugs auf eigene Kosten einen Fahrer anzustellen, der ihn zu Kunden bringen solle. Diese Möglichkeit bekräftigte er erneut einige Tage später per Mail.

Das Amtsgericht Ludwigshafen erließ am 27. Dezember 2019 einen Strafbefehl, entzog die Fahrerlaubnis des Arbeitnehmers und verhängte eine Speerfrist von zwölf Monaten. Der Kläger begab sich in der Folge in psychologische Behandlung. Nach dem mehrere Testungen auf Alkohol negativ verliefen, beantragte er Ende Dezember 2020 die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Diesem Antrag entsprach die Straßenverkehrsbehörde mit Schreiben vom 27. April 2021.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis wenige Tage nach dem Unfall am 18. Oktober 2019 fristlos, hilfsweise ordentlich.

Das Arbeitsgericht hat die Unwirksamkeit der Kündigung erstinstanzlich festgestellt und den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung verurteilt.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahrens hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts vollumfänglich bestätigt.

I. Entziehung der Fahrerlaubnis als Kündigungsgrund

Das Bundesarbeitsgericht nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass für Berufskraftfahrer die Entziehung der Fahrerlaubnis einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen kann. Dies gelte auch bei einer Trunkenheitsfahrt außerhalb der Arbeitszeit, also einer Privatfahrt. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BAG auch dann, wenn das Führen eines Kraftfahrzeuges zwar nicht die alleinige, jedoch eine wesentliche Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag darstellt, weil die Haupttätigkeit ohne Firmenfahrzeug nicht ausgeübt werden kann (BAG, Urteil vom 14.02.1991 – 2 AZR 525/90).

Allerdings hat das LAG hier den Arbeitnehmer nicht als Berufskraftfahrer angesehen. Die geschuldete Haupttätigkeit liege nicht in dem Führen eines Fahrzeugs, sondern in der Betreuung von Kunden. Es käme daher nur darauf an, ob er diese Haupttätigkeit ohne Firmenfahrzeug ausführen könne. Dies sei der Fall, denn ohne Weiteres könne der Kläger seine Hauptkunden auch über den öffentlichen Zugverkehr aufsuchen.

Hinweis für die Praxis:

Schon dieser Einschätzung ist zu widersprechen. Der Arbeitgeber hat ausweislich des Stellenprofils und auch der Haupttätigkeit eine hohe Reisebereitschaft vertraglich festgelegt und vereinbart. Die über ganz Deutschland verstreuten Kunden können nur sinnvoll mit einem Dienstwagen erreicht werden. Natürlich lässt sich jeder deutsche Ort auch über den ÖPNV aufsuchen, allerdings mit erheblichem Zeitverzug. Im Gerichtsverfahren hat offenbar der Arbeitgeber versäumt, diesen zeitlichen Verzug konkret darzulegen.

II. Alternative eigener Fahrer?

Der Arbeitnehmer hatte vorliegend angeboten, auf eigene Kosten einen Fahrer einzustellen, um auswärtige Termin wahrzunehmen. Dies LAG hat dies als milderes Mittel angesehen. Dem Arbeitgeber sei es zuzumuten, dieses Angebot anzunehmen. Zudem sei diese Handhabung nur vorrübergehender Natur bis zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Auch aus diesem Grunde scheitere die Kündigung.

Hinweis für die Praxis:

Dieser Einschätzung ist ebenfalls zu widersprechen. Vereinbart war ein gültiger Führerschein. Dieser war damit Vertragsgegenstand. Zudem war zum Zeitpunkt der Kündigung die Frage, wann mit einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis (und ob überhaupt) zu rechnen ist, nicht bekannt. Maßgeblich ist zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs aber das Prognoseprinzip.

III. Vorherige Abmahnung?

Schließlich hat das LAG die Kündigung auch an der fehlenden vorherigen Abmahnung scheitern lassen. Die vorrübergehende Erschwerung der Ausübung in Folge des Entzugs der Fahrerlaubnis hätte mit zumutbaren Überbrückungsmaßnahmen (eben die Einstellung eines Fahrers durch den Arbeitnehmer selbst) begegnet werden können. Auch die Gefahr einer Wiederholung sei gering, da der Arbeitnehmer sich unmittelbar nach dem Vorfall in psychologische Betreuung begeben habe. Schließlich wurde auch die Fahrerlaubnis wiedererteilt. Auch das seit 1999 bestehende störungsfreie Arbeitsverhältnis sei in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen gewesen, so das LAG.

Hinweis für die Praxis:

Auch dieser Einschätzung können wir uns nicht anschließen. Die Fahrerlaubnis wurde erst 16 Monate (!) nach dem Vorfall dauerhaft wieder erteilt. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung war die Prognose daher negativ, jedenfalls völlig offen. Ob es sich also um eine zumutbare Überbrückungsmaßnahme handelt, war damals nicht absehbar. Die vertraglich vereinbarten Pflichten konnte der Arbeitnehmer jedenfalls nur noch auf andere Art und Weise ausüben, nämlich durch den öffentlichen Nahverkehr oder aber durch die Einstellung eines eigenen Fahrers. Das aber hat mit der Frage einer notwendigen vorherigen Abmahnung nichts zu tun.

Fazit:

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz befindet sich allerdings, trotz unserer Kritik, auf der Linie der Instanzrechtsprechung. Immer wieder wird abstrakt darauf verwiesen, dass Trunkenheitsfahrten zur Kündigung berechtigen. Im konkreten Fall werden dann aber stets alle Kündigungen für unwirksam angesehen und wird auf mildere Mittel, vorherige Abmahnungen oder alternative Beschäftigungsmöglichkeiten verwiesen. Dies mag in Fällen, in denen eine private Trunkenheitsfahrt mit der vereinbarten Berufsausübung nichts oder nur wenig zu tun hat, zutreffen. Bei Arbeitnehmern, deren Hauptbeschäftigung aber nur durch hohe Reisetätigkeiten mit Dienstwagen erbracht werden können, stellt sich dies anders dar. In solchen Fällen muss die Rechtsprechung zu Berufskraftfahrern Anwendung finden.

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