06.10.2021 -


Wirksamkeitsanforderungen an ein Betriebliches Eingliederungsmanagement  (credit:adobestock/MQ-Illustrations))

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ist vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung stets durchzuführen. Es gilt im Einzelnen das in § 167 Abs. 2 SGB IX vorgegebene Verfahren. Zwar wird in der Rechtsprechung immer wieder darauf hingewiesen, dass die Durchführung eines BEM-Gesprächs keine formale Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung darstellt. Dennoch führt ein nicht durchgeführtes BEM-Verfahren in der Regel dazu, dass jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung die Kündigung für unwirksam erklärt wird. Arbeitgeber haben dabei vor allem darauf zu achten, dass die Einladung zu einem BEM-Gespräch allen Wirksamkeitsanforderungen entspricht. Mit dem Umfang dieser Anforderungen an den Inhalt eines Einladungsschreibens hat sich das Landesarbeitsgericht Nürnberg in einem aktuellen Urteil eingehend befasst (LAG Nürnberg v. 18.2.2020, 7 Sa 124/19). Wir möchten hier die Kernaussagen der Entscheidung wiedergeben und besprechen, wobei wir auf die im Übrigen sehr einzelfallbezogenen Ausführungen zur Wirksamkeit der krankheitsbedingten Kündigung an dieser Stelle verzichten.

Der Fall (verkürzt):

Dem bereits seit 1999 bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigten Mitarbeiter wurde ordentlich und krankheitsbedingt gekündigt. Die Fehlzeiten stiegen in den Jahren 2011 bis zum Jahr der Kündigung in 2017 stetig an. Von anfänglich 32 Arbeitstagen im Jahre 2011 verzeichnete der Arbeitgeber zuletzt 201 Krankheitstage jährlich.

Bei dem Arbeitgeber findet eine Konzernbetriebsvereinbarung zu „Einheitlichen Rahmenbedingungen im betrieblichen Eingliederungsmanagement“ Anwendung. Zur Einladung des Mitarbeiters zum BEM-Verfahren sieht die KBV u.a. vor:

„Dazu wird der betroffene Beschäftigte vom Unternehmen angeschrieben und zum BEM-Verfahren eingeladen (Anlage 2a). In der Einladung ist auf die Erforderlichkeit eines vorherigen Werkarztbesuches zur Erstellung eines positiven Leistungsprofils hinzuweisen und dieser nach Erforderlichkeit zu terminieren. Dabei soll der Beschäftigte möglichst durch Vorlage geeigneter Nachweise (z.B. Befunde, Arztbriefe) seiner behandelnden Ärzte gegenüber der Arbeitsmedizin zur Klärung seines Gesundheitszustandes beitragen.“

Der Mitarbeiter wurde dann zunächst zu einem Informationsgespräch über das BEM-Verfahren eingeladen. In dem Einladungsschreiben wurde er darauf hingewiesen, dass es sich noch nicht um ein BEM-Gespräch handelt, sondern um ein persönliches Informationsgespräch. Im Anschluss erfolgten mehrere Einladungsschreiben entsprechend dem Formularschreiben der Anlage 2a zur KBV zu BEM-Gesprächen. Alle vier Gespräche sagte die Mitarbeiterin wegen Arbeitsunfähigkeit ab. Zudem waren in den Schreiben als Teilnehmer die Schwerbehindertenvertretung, die Führungskraft, die Deutsche Rentenversicherung und der Integrationsfachdienst angekündigt.

Der Arbeitgeber nahm dann von weiteren Versuchen, ein BEM-Verfahren durchzuführen Abstand und beantragte die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung. Nach Beteiligung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung und erfolgter Zustimmung wurde die krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen.

Im Kündigungsschutzverfahren hat der Mitarbeiter u.a. die Auffassung vertreten, das BEM-Verfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. So sei insbesondere in den Einladungsschreiben einseitig der Teilnehmerkreis festgelegt worden. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass er das BEM-Verfahren nicht habe durchführen wollen. Er sei lediglich zu den genannten Terminen arbeitsunfähig gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigung für unwirksam erklärt, u.a. auch wegen einem fehlerhaften BEM-Verfahren.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Kündigung ebenfalls wegen fehlerhaftem BEM-Verfahren als unwirksam angesehen.

I. Durchführung eines BEM-Verfahrens

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist in § 167 Abs. 2 SGB IX gesetzlich vorgesehen. Die ordnungsgemäße Durchführung des BEM-Verfahrens ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Allerdings konkretisiert die Vorschrift den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Arbeitgeber muss also im Rahmen eines Kündigungsverfahrens darlegen, dass die Durchführung eines BEM-Verfahrens kein positives Ergebnis gebracht hätte und dass auch ein gemeinsames Suchen nach Maßnahmen zum Abbau von Fehlzeiten bzw. zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit keinen Erfolg gehabt hätte. Andernfalls muss sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

Insoweit hat also der Arbeitgeber eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Um darzutun, dass die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt und ihm keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störungen des Arbeitsverhältnisses als die Beendigung offenstanden, muss der Arbeitgeber die objektive Nutzlosigkeit des nicht erfolgten oder nicht ordnungsgemäß durchgeführten BEM-Verfahrens darlegen.

Hinweis für die Praxis:

Der Arbeitgeber hat im Prozess also umfassend und detailliert vorzutragen, warum ein BEM-Verfahren in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerliche Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken. Dies wird ihm in der Regel nur dann gelingen, wenn der Arbeitnehmer ein BEM-Verfahren abgelehnt hat.

II. Anforderungen an das Einladungsschreiben

Zu den Mindestanforderungen an ein BEM-Verfahren zählt ferner eine Aufklärung des Arbeitnehmers in der Einladung oder auch alternativ in einem Informationsgespräch dazu, dass der Arbeitnehmer über den denkbaren Teilnehmerkreis am BEM-Verfahren und über seine Möglichkeit, über diesen Teilnehmerkreis mitzubestimmen, informiert wird. Nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nehmen am BEM-Verfahren der Betriebsrat und bei schwerbehinderten Menschen die Schwerbehindertenvertretung nur teil, wenn der Arbeitnehmer dies wünscht. Darüber ist der Arbeitnehmer zu informieren und ihm die Entscheidung über deren Teilnahme freizustellen. Es ist allein Sache des Arbeitnehmers, ob er eine Begleitung durch seine betriebliche Interessenvertretung im BEM-Verfahren wünscht. Er kann auf diese Begleitung verzichten.

Gleiches gilt für die Beteiligung des Werks- oder Betriebsarztes. Auch hier muss es dem Arbeitnehmer möglich sein, auf die Hinzuziehung des Werks- oder Betriebsarztes ganz zu verzichten und selber die erforderliche arbeitsmedizinische Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit über einen Arzt seines Vertrauens im BEM-Verfahren beizubringen.

Diesen Grundsätzen genügte das Einladungsschreiben des Arbeitgebers nicht. Vielmehr wurde der Teilnehmerkreis bereits in dem Schreiben festgelegt. In dieser bestimmenden Form war eine solche Festlegung aber nur möglich, wenn der Mitarbeiter dazu bereits vorher sein Einverständnis erteilt hätte. Dies war nicht der Fall.

Hinweis für die Praxis:

Ein fehlerhaftes Einladungsschreiben steht einem nicht durchgeführten BEM-Verfahren gleich. Arbeitgeber sollten sich also nicht sicher fühlen, wenn sie ein BEM-Einladungsschreiben versandt haben. Erfüllt das Schreiben nicht die zahlreichen gesetzlichen Anforderungen, wird es als „Nicht-Einladungsschreiben“ angesehen.

Fazit:

Das BEM-Verfahren war also nicht ordnungsgemäß durchgeführt, da das Einladungsschreiben fehlerhaft war. Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob der Mitarbeiter gar nicht bereit war, an dem BEM-Verfahren konstruktiv mitzuwirken. Auch dies war vorliegend allerdings nicht der Fall, denn die Absage eines BEM-Gesprächs wegen Arbeitsunfähigkeit führt noch nicht automatisch dazu, dass ein Mitarbeiter keine Bereitschaft zeigt, am BEM-Verfahren teilzunehmen. So kann ein Mitarbeiter auch nur rechtswidrig der Auffassung sein, er könne vereinbarte Termine zum BEM-Gespräch nur deshalb absagen, weil er arbeitsunfähig erkrankt ist.

Arbeitgebern kann nur dringend empfohlen werden, sich mit den Anforderungen an ein Einladungsschreiben genauestens vertraut zu machen und sich hier regelmäßig über die sich laufend ändernde Rechtsprechung zu informieren. Die Einladungsschreiben sollten jährlich auf ihre Aktualität geprüft werden. Entsprechendes gilt für die Festlegung von Einladungsschreiben in Betriebsvereinbarungen. Daher sollte man sich in einer entsprechenden Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat vorbehalten, Anlagen laufend aktualisieren zu dürfen, ohne jedes Mal die Betriebsvereinbarung kündigen zu müssen.

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