Wir haben über die neuen Hinweispflichten von Arbeitgebern im Zusammenhang mit dem Jahresurlaub bereits mehrfach und eingehend berichtet. Bislang mussten sich die Gerichte noch nicht mit der Frage beschäftigen, inwieweit diese Hinweispflichten auch dann gelten, wenn Mitarbeiter durchgehend arbeitsunfähig sind. Bekanntlich existiert bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit ein spezielles Fristenregime und Urlaub verfällt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts erst nach 15 Monaten. In ersten Stellungnahmen zu den neuen Hinweispflichten war man sich darin einig, dass diese 15-Monats-Frist auch weiterhin Anwendung findet, selbst dann, wenn der Arbeitgeber einen dauererkrankten Mitarbeiter nicht auf die Pflicht, seinen Jahresurlaub zu nehmen, im Sinne der neuen Rechtsprechung hingewiesen hat. Das Arbeitsgericht Berlin hat dies nun in einem aktuellen Urteil anders entschieden (ArbG Berlin v. 13.6.2019, 42 Ca 3229/19). Die Entscheidung ist von grundlegender und sehr weitreichender Bedeutung. Dieses von der bislang herrschenden Meinung abweichende Urteil macht im Übrigen deutlich, dass die Rechtsprechung zum neuen Urlaubsrecht weiterhin nicht zur Ruhe kommt.
Erkrankte Mitarbeiter können nicht so belehrt werden, wie die gesunde Belegschaft (Copyright: Daniela H./adobe.stock).
Der Fall
Die Parteien des Rechtsstreits streiten über die Abgeltung von 18 nicht gewährten Urlaubstagen für das Jahr 2016.
Die klagende Arbeitnehmerin war vom 23. Mai 2016 durchgehend bis zu Ihrem Ausscheiden im Jahre 2018 dauerhaft erkrankt. Im Rahmen der Schlussabwicklung zahlte der Arbeitgeber den Jahresurlaub für das Jahr 2017 und anteilig für das Jahr 2018 an die Klägerin aus. Für das Jahr 2016 und die für dieses Jahr unstreitig nicht gewährten 18 Urlaubstage berief er sich hingegen auf die Rechtsprechung des BAG und die Anwendung der 15-Monats-Regel.
Die Arbeitnehmerin hingegen machte geltend, sie sei im Jahre 2016 nicht über das Recht und die Pflicht, ihren Jahresurlaub zu nehmen, im Sinne der neuen Rechtsprechung belehrt worden. Die Hinweise seien nicht erteilt worden. Die Pflicht zu den entsprechenden Hinweisen bestehe auch bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit.
Der Arbeitgeber hat sich hingegen darauf berufen, der Urlaubsabgeltungsanspruch für das Jahr 2016 sei am 31. März 2018 verfallen. Nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfalle dieser unter Berücksichtigung der EuGH und BAG-Rechtsprechung im Falle durchgehender Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf von 15 Monaten. Daran habe sich auch durch die jüngste Rechtsprechung zu den erforderlichen Hinweispflichten nichts geändert. Es könne insbesondere keine Pflicht bestehen, den Arbeitnehmer zum Urlaub zu ermahnen oder sogar zu drängen, wenn eine Arbeitsunfähigkeit bestehe. Die Hinweispflicht könne daher erst nach der Beendigung der Arbeitsunfähigkeit eintreten, da erst dann die rechtliche Unmöglichkeit zur Urlaubsgewährung entfallen sei.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht hat den Arbeitgeber zur Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.352,54 € brutto für 18 nicht gewährte Urlaubstage im Jahre 2016 verurteilt.
I. Neue Hinweispflichten
Über die neuen Hinweispflichten haben wir bereits eingehend berichtet. Die Arbeitgeber sind nunmehr verpflichtet, jährlich ihre Arbeitnehmer darüber zu belehren, dass der Jahresurlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen ist und andernfalls zum Jahresende bzw. im Rahmen der vereinbarten Fristen verfällt. Erfolgen diese Hinweise nicht, bleibt der Urlaub weiterhin in vollem Umfange bestehen bzw. genommener Urlaub verfällt nicht zum Jahresende bzw. im Rahmen der vereinbarten Fristen.
Hinweis für die Praxis:
Wir können der Praxis hier nur nochmals dringend empfehlen, sich mit den neuen Hinweispflichten, soweit noch nicht geschehen, eingehend zu befassen und die entsprechenden Hinweise nachweisbar zu erteilen. Wir verweisen hierzu auf die ausführlichen Praxishinweise und bisherigen Beiträge in dieser Zeitschrift.
II. Hinweispflichten bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit
Die Hinweispflichten sind zunächst nur dann sinnvoll, wenn ein Mitarbeiter auch in der Lage ist, seinen Urlaub zu nehmen. Einen erkrankten Mitarbeiter kann man schon begrifflich nicht darauf hinweisen, dass er verpflichtet ist, seinen Urlaub zu nehmen. Krankheit und Urlaub schließen sich wechselseitig aus (vgl. dazu auch § 9 BUrlG).
Das Arbeitsgericht Berlin argumentiert aber anders. Inwieweit ein Mitarbeiter dauerhaft erkrankt, kann im Vorhinein (ex ante) nicht festgestellt werden. Die dauerhafte Erkrankung ergibt sich erst aus der Rückschau (ex post). Ein Arbeitgeber könne nicht absehen, ob ein Arbeitnehmer für den Rest des Jahres oder sogar noch länger erkrankt bleibe. Daraus folge, dass die Verpflichtung, auf den zunehmenden Jahresurlaub hinzuweisen, ex ante bestehe. Der Arbeitgeber muss über den Umfang des Urlaubsanspruchs aufklären und die Folgen skizzieren, die sich ergeben, wenn der Urlaub nicht genommen wird bzw. werden kann.
Nach Auffassung des Arbeitsgerichts beinhaltet dies auch nicht, dass dadurch ein Arbeitnehmer gedrängt werde, entgegen einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit Urlaub zu beantragen oder er sich gar genötigt fühlen würde, einen solchen zu nehmen.
Es reicht daher auch nicht aus, jeweils abzuwarten und sodann der Hinweisobliegenheit erst wieder ab dem ersten möglichen Tag nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit nachzukommen. Es kommt gar nicht darauf an, so das Arbeitsgericht, dass der Urlaubsanspruch während der bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht gewährt werden kann, sondern allein darauf, dass der Arbeitgeber auf die Folgen hinweisen muss. Ein solcher Hinweis kann auch ohne Weiteres innerhalb einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit erfolgen. Es handelt sich dann nicht um eine Ermahnung oder ein Drängen, sondern schlicht darum, dass der Arbeitnehmer eine entsprechende Kenntnis erhält.
In seinen Hinweisen könne der Arbeitgeber ggf. auch danach differenzieren, in welcher Konstellation Urlaub verfallen würde und in welcher nicht, beispielsweise mit Hinweis darauf, dass im Fall durchgehender Arbeitsunfähigkeit ein Urlaubsverfall erst nach 15 Monaten eintreten kann. Es gebe daher keinerlei Grund, die Hinweisobliegenheiten während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit zu suspendieren.
Hinweis für die Praxis:
Das Arbeitsgericht Berlin verlangt also, dass Arbeitgeber alle (!) Arbeitnehmer jährlich auf die Urlaubsobliegenheiten im Sinne der neuen Rechtsprechung hinweisen. Dies gilt dann auch für dauererkrankte Mitarbeiter bzw. solche, die sich aktuell in Arbeitsunfähigkeit befinden. Eine Differenzierung der Arbeitsfähigkeit darf nicht stattfinden.
Fazit
Diese Rechtsprechung stellt Arbeitgeber vor vielfältige Probleme. Erkrankte Mitarbeiter können nicht so belehrt werden, wie die gesunde Belegschaft. Einem erkrankten Mitarbeiter kann man z.B. nicht mitteilen, dass sein Jahresurlaub am Ende verfällt, wenn er ihn bis dahin nicht genommen hat. Es müsste dann eine differenziertere Belehrung erfolgen und im Einzelnen die für dauerkrankte Mitarbeiter geltende 15-Monats-Frist erklärt werden. All dies deckt sich nicht mit der bisher ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Es handelt sich bislang um ein Einzelurteil. Letzte Klarheit kann nur die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Frage bringen. Wir werden daher über die weitere Entwicklung der Rechtsprechung zu dieser wichtigen Problematik berichten.
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