28.04.2020 -

Wie wir bereits berichtet haben, hat der Bundestag zur Abmilderung der wirtschaftlichen Krise im Gesundheitswesen das sog. „COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz“ beschlossen. Schon in diesem Beitrag und dem vorangegangenen zum Entwurf des Gesetzes hatten wir darauf aufmerksam gemacht, dass die finanziellen Hilfen zunächst erst den extrabudgetären Bereich der vertragsärztlichen Tätigkeit betreffen. Der Bereich der vertragsärztlichen Tätigkeit innerhalb des Budgets der morbititätsbedingten Gesamtvergütung (kurz: MGV) soll hingegen zwischen den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen zeitnah geregelt werden.

Nun hat die Bundesagentur für Arbeit, zuständig auch für Fragen des grundsätzlichen Umgangs mit Anträgen auf Kurzarbeitergeld (kurz: KUG), mit einer sog. „Fachlichen Weisung“ (Az. 75095 / 7506) auf die verabschiedeten finanziellen Hilfen für vertragsärztliche Praxen reagiert, wie bspw. die Kassenärztliche Bundesvereinigung berichtet. Leider erfolgte die Reaktion aber zum Nachteil der vertragsärztlichen Praxen und ohne Rücksicht auf den Zweck der Regelungen der neuen §§ 87a Abs. 3b sowie 87b Abs. 2 SGB V.

So hält die Bundesagentur für Arbeit in der neuen fachlichen Weisung fest, dass die vorgenannten Entschädigungsleistungen der Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß den neuen §§ 87a Abs. 3b sowie 87b Abs. 2 SGB V keinen Raum für die Gewährung von KUG belassen würden. Hierbei stützt sich die Bundesagentur für Arbeit auf den bereits in vorangegangenen Weisungen dargestellten Gedankengang, dass Arbeitgebern im Falle des Bestehens einer „Betriebsunterbrechungsversicherung“, die auch den Lohn der ArbeitnehmerInnen ersetzt, kein KUG zusteht (vgl. hierzu etwa die entsprechend ältere fachliche Weisung zum KUG vom 20.12.2018, S. 10).


Laut einer fachlichen Weisung sieht die Bundesagentur für Arbeit aktuell keinen Raum für Kurzarbeitergeld in Vertragsarztpraxen. (Copyright: Jürgen Fälchle/adobe.stock)

Leistungen des SGB V an Praxen sind keine Betriebsunterbrechungsversicherung

Einerseits beschränkte sich die fachliche Weisung bislang (wohl zu Recht) auf Fälle, in denen es um die Frage des Entgeltausfalles ging. Fehlte es an einem Entgeltausfall, so ist der Anspruch auf KUG nach § 95 Nr. 1 SGB III ausgeschlossen. Haben die ArbeitnehmerInnen hiernach also Anspruch auf Fortzahlung des Entgeltes soll kein KUG gewährt werden. In sich ist diese rechtliche Konsequenz wohl kaum zu beanstanden, da der jeweilige Arbeitgeber mittels Betriebsunterbrechungsversicherung sein allgemeines Betriebsrisiko ausreichend abgesichert hat (typischerweise werden hier Ereignisse wie etwa erheblichste Betriebsstörungen infolge unvorhersehbaren Maschinenschadens, Unterbrechung der Energieversorgung, Überschwemmung, Brand usw. genannt). Um einen derartigen Fall einer Betriebsstörung handelt es sich aber infolge der SARS-CoV19-Pandemie gerade nicht. Zudem war auch in den vorgenannten Fällen eine Gewährung von KUG dennoch möglich, wenn und soweit der Entgeltanspruch der ArbeitnehmerInnen aus anderen Gründen entfiel. Klassischer Fall hiervon ist die Betriebsvereinbarung in Unternehmen mit Betriebsrat oder eben die Vereinbarung mit den einzelnen ArbeitnehmerInnen über die Anordnung von Kurzarbeit.

Kurz: Die gesetzlichen finanziellen Hilfen „in Folge einer Pandemie, Epidemie, Endemie, Naturkatastrophe oder eines anderen Großschadensereignisses“ (vgl. §§ 87a abs. 3a bzw. 87b Abs. 2 SGB V) sind nicht als „Betriebsunterbrechungsversicherung“ des Gesetzgebers zu betrachten.

SGB V vs. Betriebsunterbrechungsversicherung – nicht deckungsgleich

Andererseits ergibt sich aus den beschlossenen finanziellen Hilfen für vertragsärztliche Praxen nicht, dass damit der gleiche Zweck erreicht werden soll. So dient das KUG der Vermeidung von Arbeitslosigkeit, während die §§ 87a und 87b des SGB V zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung bestimmt sind.

Zwar besagt § 87b Abs. 2a SGB V des sog. „COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes“, dass die jeweils zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen sich mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen auf „geeignete Regelungen im Verteilungsmaßstab“ verständigen sollen. Ziel dieser Regelungen solle sein, dass dem vertragsärztlichen Leistungserbringer die Fortführung der Wahrnehmung des Versorgungsauftrages ermöglicht werde (vgl. nur Seite 35 zu Nummer 2 (§87b) in der Formulierungshilfe des Bundesgesundheitsministeriums zum COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz).

Ziel der finanziellen Hilfen ist also nicht, die vertragsärztlichen Praxen (ähnlich einer Betriebsunterbrechungsversicherung) vollständig zu finanzieren, sondern lediglich in der vertragsärztlichen Versorgung zu halten, wenn die Schwelle einer 10-prozentigen Minderung des Gesamthonorars in der jeweiligen Praxis überschritten wird. So soll insbesondere sichergestellt sein, dass die Verfügbarkeiten der notwendigen ambulanten Versorgungsleistungen gestützt werden sowie die weiterlaufenden Vorhaltekosten für die Versorgung von den Praxis-InhaberInnen getragen werden können. Fälle, in denen eine Minderung von weniger als 10 Prozent des Gesamthonorars eintreten, fallen gegenwärtig nicht unter die vorgenannten neuen Regelungen. Eine wirtschaftliche Notwendigkeit zur Anzeige von Arbeitsausfall sowie entsprechender Beantragung von KUG kann hingegen aber auch dann gegeben sein, wenn weniger als 10 Prozent des Anteils des Gesamthonorars aus der Behandlung gesetzlich Versicherter, aber dennoch ein hoher Arbeitsausfall aus der fehlenden Behandlung privat Versicherter entstanden ist.

Zwischenergebnis: fachliche Weisung nicht nachvollziehbar

Im Ergebnis ist die fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit also wegen seiner Generalisierung so nicht nachvollziehbar. Die Regelungskreise der finanziellen Hilfen für vertragsärztliche Praxen und der Gewährung von Kurzarbeitergeld fallen auseinander. Eine Überkompensation, wie anscheinend von der Bundesagentur für Arbeit befürchtet, ist gegenwärtig eher theoretischer Natur und zudem eher in den Bereich politischer Debatten des Bundestages als in eine fachliche Weisung einer Bundesbehörde zu verorten.

Mittel der Wahl sollte ohnehin nicht eine völlige Versagung seitens der Bundesagentur für Arbeit sein, sondern vielmehr eine vorläufige Gewährung der Mittel bspw. gemäß § 328 Abs. 1 SGB III. Hierdurch wäre auch vermieden, was ansonsten die ArbeitnehmerInnen in vertragsärztlichen Praxen ohnehin bereits fürchten, nämlich eine betriebsbedingte Kündigung. Gerade eine Entlassungswelle im Gesundheitswesen und gerade in der vertragsärztlichen ambulanten Versorgung kann nicht Sinn und Zweck sein und muss vermieden werden.

Fazit und Ausblick

Um eine vollständigen Unterbrechung der Praxistätigkeit zu vermeiden, sollte also von der Anzeige des Arbeitsausfalls sowie von Kurzarbeitergeldanträgen nicht abgesehen werden. So mag die Akzeptanz eines Nachrangs bei Aufrechterhaltung einer vorläufigen Gewährung in Erwägung gezogen werden. Sodann kann der Nachweis zu führen sein, dass trotz sonstiger Leistungen die Anordnung sowie die Kurzarbeit selbst unvermeidbar waren. Ob im Falle einer nichtgesetzlich erteilten Versagung ggf. einstweilige Rechtsschutzmaßnahmen zu ergreifen wären, ist Sache des Einzelfalls und Gegenstand entsprechender rechtlicher Prüfungen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich etwaiger KUG-Anträge vertragsärztlicher Praxen verhalten wird. Da nunmehr über einen Rettungsschirm für Zahnärzte diskutiert wird, muss aber damit gerechnet werden, dass auch hinsichtlich der Zahnärzte eine ähnliche fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit ergeht.

Wir halten Sie in jedem Falle weiter auf dem Laufenden! 

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Alexander Helle
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