Nach dem klaren Ausgang der britischen Unterhauswahl am 12.12.2019 dürfte der Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) aus der Europäischen Union (EU) zu den Konditionen des von Boris Johnson neu verhandelten Austrittsabkommens (Stand: 17.10.2019) mit Ablauf des 31.01.2020 vollzogen werden.

Die Auswirkungen des Brexit auf grenzüberschreitende Verträge lassen sich kurz wie folgt zusammenfassen:

I. Kollisionsrecht

In allen EU-Staaten außer Dänemark ist derzeit als Internationales Privatrecht („IPR“ oder „Kollisionsrecht“ = die Bestimmungen, die darüber entscheiden, das Recht welches Staates auf einen grenzüberschreitenden Vertrag anwendbar ist) für vertragliche Schuldverhältnisse die Rom I-Verordnung (Rom I-VO) anwendbar. Sie wird mit dem Brexit im Verhältnis des UK zu den übrigen Anwendungsstaaten keine Geltung mehr haben. Der Brexit macht Großbritannien zum Drittstaat wie jeder andere Staat außerhalb Europas. Das bisherige Kollisionsrecht bleibt aber auf am Austrittstag bereits bestehende Verträge auch in Großbritannien anwendbar. Das UK setzt nach dem Brexit grundsätzlich die Rom I-VO und den sie betreffenden acquis einseitig in nationales Recht um. Die maßgebliche Regelung bedarf allerdings der förmlichen Inkraftsetzung bei Austritt und kann innerhalb von zwei Jahren ab Austritt durch einfache Ministerverordnung noch weitgehend geändert werden.

In der Praxis muss man deshalb bis auf Weiteres jeden grenzüberschreitenden Sachverhalt einer vollen kollisionsrechtlichen Prüfung unterziehen. Das gilt besonders für in Verträgen enthaltene Rechtswahlklauseln.


Der Brexit, der aller Wahrscheinlichkeit nach zum 31. Januar 2020 vollzogen sein wird, macht Großbritannien zum Drittstaat wie jeder andere Staat außerhalb Europas. Das bisherige Kollisionsrecht bleibt aber auf bestehende Verträge auch in Großbritannien anwendbar. (Copyright: melinanagy/adobe.stock) 

II. Gerichtliche Zuständigkeit

Mit dem Austritt des UK aus der EU entfällt die Geltung der Brüssel Ia-Verordnung (Brüssel Ia-VO oder EuGVVO“ = in allen EU-Staaten, auch Dänemark, einheitliche Regeln über gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen) in Großbritannien. Die Gerichte ermitteln ihre eigene Zuständigkeit nach dem Recht an ihrem eigenen Gerichtsort („lex fori“): die UK-Gerichte aus Sicht britischen Rechts, die EuGVVO-Staaten aus deren Sicht.

Die künftige Grundlage für grenzüberschreitende Gerichtszuständigkeit im Verhältnis des UK zu den übrigen EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark nach Wirksamwerden des Brexit ist weitgehend ungeklärt. Eine Übernahme der Bestimmungen der EuGVVO in nationales britisches Recht wie im Falle der Rom I-VO wäre jedenfalls schon deshalb wirkungslos, weil diese jeweils Gegenseitigkeit voraussetzen. Zwar ist das UK dem Haager Gerichtsstandsübereinkommen (HGÜ) als individueller Vertragsstaat (und nicht, wie bisher, als Bestandteil der EU) beigetreten. Im Übrigen bleibt aber mangels multilateraler Bindungen vorerst nur der Rückgriff auf die nationalen Zivilprozessregeln, wie sie aus britischer Sicht gegenüber Drittstaaten gelten. Gleichermaßen finden aus Sicht der verbleibenden EU-Mitgliedstaaten bis auf Weiteres gegenüber Großbritannien die Drittstaatenregelungen der EuGVVO Anwendung. Bilaterale Rechtsinstrumente zur Regelung der Gerichtszuständigkeit zwischen Deutschland und dem UK stehen nicht zur Verfügung. Die Diskussion, ob das UK möglicherweise trotz des Austritts aus der EU Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) geblieben ist, hat bislang kaum Aufnahme gefunden; wäre es so, dann gälte im Verhältnis der übrigen EU-Staaten zum UK das Lugano II-Übereinkommen, das namentlich Fragen gerichtlicher Zuständigkeit sehr ähnlich regelt wie die Brüssel Ia-VO.

III. Bestehende Verträge

1. Kollisionsrecht
Der Grundsatz, dass man sich an einmal geschlossene Verträge zu halten hat (pacta sunt servanda) gilt sowohl in Deutschland als auch im Vereinigten Königreich. Da der Brexit Wirkung lediglich ab dem Austrittstag entfaltet, bleibt auf bestehende Verträge das bisherige Kollisionsrecht anwendbar. Erhalten bleiben insbesondere die Vorschriften der Rom I-VO über Rechtswahl und Anknüpfungen mangels Rechtswahl sowie für bestimmte Vertragstypen, z.B. Verbraucherverträge.

2. Gerichtliche Zuständigkeit
Eine vor dem Austritt des UK nach der EuGVVO begründete internationale Zuständigkeit wird von dem Wegfall der Verordnung nicht berührt. Fraglich bleibt, ob britische Gerichte sich nach dem Austritt an diesen Grundsatz noch gebunden sehen werden.

3. Vertragsanpassung wegen Folgen des Brexit?
Die Frage nach einseitigen Anpassungsoptionen im Hinblick auf nachteilige Brexit-Folgen wie Währungsschwankungen, Zölle oder Handelsbeschränkungen ist in der Regel zu verneinen. Im Ergebnis erfassen weder die üblichen Force majeure (Höhere Gewalt)-, Hardship- oder Material Adverse Change-Klauseln in Verträgen die typischen Brexit-Folgen, die keine Erfüllungshindernisse, sondern lediglich Leistungserschwernisse darstellen. Die im UN-Kaufrecht vorgesehene Haftungsbefreiung für deutsch-britische Warenkaufverträge bietet ebenfalls keine Brexit-taugliche Anpassungslösung. Schließlich scheiden in der Regel auch Anpassungsansprüche nach § 313 BGB wegen schwerwiegender Veränderung der Umstände bzw. im englischen Recht nach der sog. Doctrine of Frustration aus.

WEITERE INFOS ZUM BREXIT:

Regelungen der nationalen Brexit-Gesetzgebung in UK sowie die Kernpunkte des Austrittsabkommens zwischen dem UK und der EU

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