Immer wieder kommt es in der betrieblichen Praxis zu Streit darüber, ob Arbeitnehmer während der Arbeitszeit die Sprechstunde eines Arztes aufsuchen dürfen. Besteht in diesem Fall ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung oder ist der Arbeitnehmer verpflichtet, einen Termin außerhalb seiner Arbeitszeit zu vereinbaren bzw. Freizeitausgleich oder Urlaub in Anspruch zu nehmen? Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat diese Frage nun differenziert beantwortet (LAG Niedersachsen v. 8.2.2018, 7 Sa 256/17).
Arbeitnehmer sind dazu verpflichtet, eine Arbeitsversäumnis aufgrund eines Arztbesuchs möglichst zu vermeiden. (Copyright: Alexander Raths/stock.adobe)
Der Fall:
Der klagende Arbeitnehmer ist bei dem beklagten Arbeitgeber seit 1993 als Klima- und Lüftungsmonteur beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach den einschlägigen Tarifverträgen des Groß- und Außenhandelsverbandes Niedersachsen.
Der Kläger nahm am 26. April 2016 in der Zeit von 10.15 Uhr bis 11.45 Uhr einen Arzttermin bei einem Facharzt für Orthopädie wahr. Vor und nach diesem Termin stellte er einen Antrag auf Freizeitausgleich. Der behandelnde Orthopäde bescheinigte, dass der letzte Sprechstundentermin Montag bis Donnerstag um 15.00 Uhr und freitags um 12.00 Uhr ist. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass damit der Kläger keinen Arzttermin außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit erhalten konnte.
Der Arbeitgeber hat für die Dauer des Arztbesuches das Arbeitszeitkonto zum Nachteil des Arbeitnehmers belastet. Mit seiner Klage begehrt der Kläger eine Gutschrift auf seinem Arbeitszeitkonto von 1,5 Stunden für die Dauer des Arztbesuches.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht dem Anspruch stattgegeben.
I. Arztbesuch und Arbeitsversäumnis
Ein Fall unverschuldeter Arbeitsversäumnis kann auch bei einem Arztbesuch vorliegen, wenn der Arbeitnehmer von einem Arzt zu einer Untersuchung oder Behandlung einbestellt wird und der Arzt auf terminliche Wünsche des Arbeitnehmers keine Rücksicht nehmen will oder kann. Es liegt dann eine Konfliktsituation für den Arbeitnehmer vor, der einerseits zur Arbeitsleistung verpflichtet ist und andererseits keine Möglichkeit hat, einen Termin bei dem Arzt seiner Wahl zu bekommen.
II. Erforderlichkeit prüfen
Eine Abwesenheit ist aber nicht in jedem Fall unumgänglich notwendig. So ist ein Arztbesuch nicht schon dann notwendig, wenn der behandelnde Arzt einen Arbeitnehmer während der Arbeitszeit zur Behandlung oder Untersuchung in seine Praxis bestellt. Der Arbeitnehmer muss vielmehr versuchen, die Arbeitsversäumnis möglichst zu vermeiden. Hält der Arzt außerhalb der Arbeitszeit Sprechstunden ab und sprechen keine medizinischen Gründe für einen sofortigen Arztbesuch, muss der Arbeitnehmer die Möglichkeit der Sprechstunde außerhalb der Arbeitszeit wahrnehmen. Erst wenn der Arzt sich auf diesen Wunsch des Patienten nicht einlässt, kommt es zu einer Pflichtenkollision.
Hinweis für die Praxis:
Darlegungs- und beweisverpflichtet ist der Arbeitnehmer. Dieser muss die Pflichtenkollision benennen und eine entsprechende Bestätigung des Arztes vorlegen.
Fazit:
Im vorliegenden Fall hat der behandelnde Arzt die erforderlichen Erklärungen abgegeben. Der Arbeitnehmer fehlte daher entschuldigt und hatte Anspruch auf die entsprechende Zeitgutschrift. Zu beachten ist, dass in einschlägigen Tarifverträgen abweichende Regelungen möglich sind. Der Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung folgt aus § 616 BGB. Diese Regelung ist aber dispositiv und kann sowohl in kollektiven Vereinbarungen als auch einzelvertraglich abgeändert werden. Eine solche abändernde Regelung war hier aber tariflich nicht vorgesehen.
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