30.10.2018 -

Die Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) richtet sich nach § 84 Abs. 2 SGB IX (neue Fassung seit 1. Januar 2018 § 167 Abs. 2 SGB IX). Wir haben zum BEM bereits an verschiedener Stelle berichtet. In der Regel geht es um die Auswirkungen eines unterlassenen BEM im Rahmen einer krankheitsbedingten Kündigung. Nunmehr hat sich das Bundesarbeitsgericht aber erstmals mit der Frage der Auswirkungen eines unterlassenen BEM auf die Wirksamkeit einer Versetzung befasst (BAG v. 18.10.2017, 10 AZR 47/17). Einen Zusammenhang und Rechtsnachteile für den Arbeitgeber hat der zuständige 10. Senat zugunsten der Arbeitgeber abgelehnt.


Das BAG hat sich mit der Frage der Auswirkungen eines unterlassenen BEM auf die Wirksamkeit einer Versetzung befasst und einen Zusammenhang sowie Rechtsnachteile für den Arbeitgeber abgelehnt.

Der Fall:

Die Arbeitsvertragsparteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf weitere Beschäftigung ausschließlich in der Nachtschicht.

Der klagende Arbeitnehmer ist bereits seit 1991 bei dem beklagten Unternehmen als Maschinenbediener beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag wird er in Normalschicht beschäftigt. Es ist ein weites Direktionsrecht vereinbart. Seit dem Jahre 2005 ist er ausschließlich in der Nachtschicht tätig, zuvor in Wechselschicht.

Der Kläger war in der Zeit vom 2. Dezember 2014 bis zum 26. Februar 2015 aufgrund einer Therapiemaßnahme, mit der einer Suchterkrankung begegnet werden sollte, arbeitsunfähig. Nach seiner Rückkehr fand ein sogenanntes Krankenrückkehrgespräch mit ihm statt. Dieses erfüllte unstreitig nicht die Voraussetzungen eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements im Sinne von § 84 Abs. 2 SGB IX.

Der Arbeitgeber ordnete in diesem Gespräch an, dass der Kläger seine Arbeit ab dem 7. April 2015 in Wechselschicht erbringen solle. Als Begründung gab er u.a. an, aufgrund hoher Krankheitszeiten sei der Kläger in der Wechselschicht leichter ersetzbar als in der Nachtschicht.

Der Kläger hat demgegenüber die Auffassung vertreten, die Versetzung von der Nachtschicht in die Wechselschicht sei unwirksam, er habe einen Anspruch darauf, in der Nachtschicht beschäftigt zu werden. Der Arbeitgeber könne sich zur Begründung ohnehin nicht auf gesundheitliche Aspekte berufen, da er es unterlassen habe, ein BEM durchzuführen. Zudem führe die Arbeit in Wechselschicht aufgrund des Wegfalls von Zuschlägen für die Nachtarbeit zu finanziellen Nachteilen in Höhe von etwa 1.000,00 € brutto monatlich.

Das Arbeitsgericht hat die Beschäftigungsklage als Maschinenbediener in der Nachtschicht abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr hingegen stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

I. Verpflichtung zur Durchführung eines BEM

Zunächst hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass der Arbeitgeber zur Durchführung eines BEM nach § 84 Abs. 2 SGB verpflichtet war. Für diese Pflicht zur Durchführung eines BEM kommt es allein darauf an, dass ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres entsprechende Krankheitszeiten aufweist, unabhängig davon, ob diese Krankheitszeiten in einer oder mehreren Perioden der Arbeitsunfähigkeit erreicht wurden. Es kommt auch nicht darauf an, ob es sich um eine langandauernde Erkrankung oder um häufige Kurzerkrankungen mit verschiedenen Ursachen handelt. Subjektive Erwägungen des Arbeitgebers, die auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zielen oder der Entschluss zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses sind hingegen nach der Norm nicht Voraussetzung für diese Verpflichtung des Arbeitgebers.

Mit dem BEM soll gerade die dauerhafte und gesunde Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Maßnahmen dienen damit letztlich der Vermeidung einer Kündigung und der Verhinderung von Arbeitslosigkeit.

II. Unterlassenes BEM hindert Weisung nicht

Die Unterlassung eines BEM führt aber nicht dazu, dass eine Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber, die auch auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen, bereits deswegen formell oder materiell unwirksam wäre. Der Arbeitgeber ist auch nicht gehindert, sich im Rahmen einer Weisung auf Gründe für die Maßnahme zu berufen, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand oder der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers stehen.

Das BEM gibt keine Rechtsfolge vor. Es ist daher keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für arbeitgeberseitige Maßnahmen. Im Rahmen einer krankheitsbedingten Kündigung kann es zwar zu einer Umkehr der Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess führen. Eine Vorrangstellung des § 84 Abs. 2 SGB IX gegenüber dem Weisungsrecht nach § 106 Satz 1 GewO lässt sich der Norm aber nicht entnehmen. Zudem unterscheiden sich das BEM und die Ausübung des Weisungsrechts deutlich nach Voraussetzungen und Wirkungen. Die Verbindlichkeit einer arbeitgeberseitigen Weisung richtet sich nach § 106 GewO, § 315 BGB. Eine Bindung an die Ergebnisse des BEM besteht nicht. Arbeitgeber sind deshalb nicht gehindert, das Direktionsrecht auszuüben und Weisungen zu erteilen, selbst wenn ein BEM offensichtlich nicht durchgeführt wird.

Hinweis für die Praxis:

Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung zur Durchführung eines BEM und zu den Auswirkungen eines unterlassenen BEM weiter präzisiert. Auch wenn das BEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für Weisungen darstellt, sind Arbeitgeber gut beraten, in kritischen Fällen ein BEM anzubieten und durchzuführen. Im Rahmen eines BEM können Konflikte besprochen und gelöst werden. Dies kann Rechtsstreite, wie hier bis zum Bundesarbeitsgericht, vermeiden.

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