Der Bundesgerichtshof (BGH) hat gestern mit einem Grundsatzurteil eine seit langem umstrittene Rechtsfrage geklärt: Es bestehe aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln als analoge Dokumente wie Tagebücher und persönliche Briefe.


Erben haben einen Anspruch auf die digitalen Inhalte von Verstorbenen – auch wenn sie sich auf externen Servern befinden. So urteilte der Bundesgerichtshof am 12. Juli 2018 in einem Grundsatzurteil. 

Der Fall:

Die Klägerin ist als Mutter Miterbin ihrer im Alter von 15 Jahren verstorbenen Tochter, die sich über den Zugriff auf den Facebook-Chatverlauf Antworten rund um die Todesursache erhofft. Das Mädchen war 2012 unter bisher ungeklärten Umständen von einer U-Bahn erfasst worden und verstorben. Die Klägerin versuchte nach dem Tod ihrer Tochter, sich in deren Benutzerkonto bei Facebook einzuloggen. Dies war ihr jedoch nicht möglich, weil Facebook es nach dem Hinweis eines Nutzers bereits in den sogenannten Gedenkzustand versetzt hatte. Damit ist ein Zugang auch mit den Benutzerdaten nicht mehr möglich, obwohl die Inhalte des Kontos weiter gespeichert bleiben.

Die Klägerin beanspruchte mit ihrer Klage, Facebook solle den Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto gewähren, insbesondere zu den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten.

Die Entscheidung:

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat nun entschieden, dass der Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk wie Facebook grundsätzlich im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB auf die Erben des ursprünglichen Kontoberechtigten übergeht. Diese haben damit einen Anspruch gegen den Netzwerkbetreiber auf Zugang zu dem Konto einschließlich der darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalte.

In der Rechtswissenschaft war lange umstritten, ob digitale Inhalte wie Benutzerkonten bei einem sozialen Netzwerk überhaupt nach den aus der „analogen“ Welt bekannten Grundsätzen vererbt werden. Zwar war die Mehrzahl der Juristen sich darin einig, dass es bei rechtlicher Betrachtung eigentlich keinen Grund gibt, digitale Inhalte anders zu behandeln als das „analoge“ Vermögen. Es gab aber auch gewichtige Stimmen, welche die Vererblichkeit der digitalen Inhalte anzweifelten, zumal wenn sich diese auf einem fremden Server befinden.

Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass sich aus dem Wesen des Vertrags mit einem Anbieter solcher digitalen Dienste keine Anhaltspunkte für eine Unvererblichkeit ergeben. Insbesondere sei so ein Vertrag nicht höchstpersönlicher Natur. Man könne nicht davon ausgehen, dass die höchstpersönliche und damit möglicherweise unvererbliche Natur im Nutzungsvertrag stillschweigend vorausgesetzt werde. Zwar könne der Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber eines sozialen Netzwerks in der Erwartung erfolgen, dass die Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerks grundsätzlich vertraulich bleiben und dritten Personen gegenüber nicht offengelegt werden. Die vertragliche Verpflichtung eines Unternehmens wie Facebook zur Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten sei jedoch von vornherein kontobezogen. Sie hat nicht zum Inhalt, diese an eine bestimmte Person zu übermitteln, sondern an das angegebene Benutzerkonto. Der Absender einer Nachricht kann dementsprechend zwar darauf vertrauen, dass die Beklagte sie nur für das von ihm ausgewählte Benutzerkonto zur Verfügung stellt. Es bestehe aber kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass nur der Kontoinhaber und nicht Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis erlangen. Zu Lebzeiten muss mit einem Missbrauch des Zugangs durch Dritte oder mit der Zugangsgewährung seitens des Kontoberechtigten gerechnet werden und bei dessen Tod mit der Vererbung des Vertragsverhältnisses.

Auch das Fernmeldegeheimnis, an dem das Kammergericht den Zugriff der Mutter noch hatte scheitern lassen, stehe dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen, so der Bundesgerichtshof. Der Erbe sei, da er vollständig in die Position des Erblassers einrückt, jedenfalls nicht „anderer“ im Sinne von § 88 Abs. 3 TKG.

Fazit:

Bislang ist lediglich die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs zu der Gerichtsentscheidung veröffentlicht; die Entscheidung selbst liegt noch nicht vor. Es bleibt abzuwarten, wie intensiv und differenziert sich der III. Senat mit den rechtlichen Fragen des digitalen Nachlasses beschäftigt hat. Dies ist für die Praxis von so großer Bedeutung, da derzeit noch nicht eingeschätzt werden kann, ob und inwiefern die das soziale Netzwerk Facebook betreffende Entscheidung auf andere digitale Inhalte übertragbar ist. Positiv ist allerdings in jedem Fall, dass der Bundesgerichtshof zumindest für den Einzelfall Facebook zum aus rechtlicher Sicht einzig richtigen Ergebnis gefunden hat.

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