02.07.2018 -

Ärztliche Kooperationen sind weiterhin auf dem Vormarsch. Nach Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung waren noch nie so viele Ärztinnen und Ärzte gemeinschaftlich tätig wie heute, am stärksten gewachsen sind die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ).

Die Motive für eine ärztliche Zusammenarbeit sind vielfältig. Fachliche Gründe sind dabei ebenso entscheidend wie Aspekte der Arbeits- und Kostenteilung. Auch der vielzitierte Wunsch nach besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt eine Rolle. Arbeitsteilung schafft Freiräume und Flexibilität, die der Inhaber einer Einzelpraxis so nicht besitzt.

Als lockerste Art einer beruflichen Partnerschaft erfreut sich auch die Praxisgemeinschaft hoher Beliebtheit. Im Gegensatz zur BAG oder zum MVZ sind hier aber wenig Zahlen veröffentlicht. Die Praxisgemeinschaft bewegt sich also gewissermaßen weitestgehend „unter dem Radar“.


Wird eine Praxisgemeinschaft de facto wie eine Gemeinschaftspraxis geführt, riskieren die Partner eine ganze Reihe von rechtlichen Konsequenzen. Denn die Kooperation darf sich bei dieser Form der Zusammenarbeit nur auf die materiellen Praxis-Ressourcen beschränken. 

Bei der Praxisgemeinschaft werden „nur“ die Ressourcen der ärztlichen Tätigkeit zum
Gegenstand einer Kooperation, also insbesondere Räume, Apparate und ggf. auch Personal. Die eigentliche ärztliche Berufsausübung bleibt hingegen getrennt. Insbesondere rechnet jeder Arzt gegenüber seinen Patienten und der KV selbst ab und erwirtschaftet damit einen eigenen Gewinn. Die Praxisgemeinschaft ist damit eine sog. „Organisationsgemeinschaft“, keine „Berufsausübungsgemeinschaft“.

Entgegen ihrer Beliebtheit birgt die Praxisgemeinschaft – oder das, was sich hinter dieser Bezeichnung vielfach faktisch verbirgt – eine Reihe von Risiken. Dies gilt insbesondere für die sog. „Schein-Praxisgemeinschaft“, also die Praxisgemeinschaft, die entgegen ihrer Bezeichnung wie eine Gemeinschaftspraxis geführt wird. Oft werden solche Risiken nicht ernst genommen, was immer wieder zu bösem Erwachen führt. Teilweise fehlt es auch schlicht an ausreichender Kenntnis der rechtlichen Voraussetzungen.

Einige typische Fehler und Fallstricke beim Zusammenschluss als Praxisgemeinschaft sollen nachfolgend skizziert werden:

„Unter uns“ – die Vertragsgestaltung

Der Vertrag für eine Praxisgemeinschaft muss zwingend die Eigenständigkeit der
zusammengeschlossenen Praxen berücksichtigen. Etwas hemdsärmelig, aber einprägsam formuliert, lässt sich die Praxisgemeinschaft als „Ärzte-WG“ bezeichnen: Man wohnt zusammen, redet sich aber im Wesentlichen wechselseitig nicht hinein. Diese Vorgabe hat ernsthafte Konsequenzen. Hier – nicht abschließend – einige wichtige Punkte:

  • So haben Regelungen, die sich mit einer Gewinnverteilung beschäftigen, in einem Praxisgemeinschaftsvertrag grundsätzlich nichts zu suchen. Denn die Praxisgemeinschaft macht ja nur die Kosten des Praxisbetriebes, nicht aber die Gewinne der rechtlich eigenständigen Praxen zum Gegenstand der Kooperation. Wird doch eine Gewinnverteilung vorgenommen, spricht man bei der Praxisgemeinschaft vom sog. „Gewinnpooling“. Dies wird von der Rechtsprechung höchst kritisch gesehen und häufig als Indiz für eine heimlich betriebene Gemeinschaftspraxis herangezogen.
  • Aufgrund der Eigenständigkeit der Praxen muss bereits der Praxisgemeinschaftsvertrag die getrennte Führung der Patientenkarteien vorsehen (siehe auch unten).
  • Wechselseitige Vertretungen, jedenfalls im KV-Bereich, sind nur unter den Voraussetzungen des § 32 Ärzte-ZV zulässig (Krankheit, Urlaub, Fortbildung, Mutterschaft, Wehrübung). Eine freie wechselseitige Vertretung bei „sonstiger Abwesenheit“, also faktisch ein arbeitsteiliges Vorgehen, wird zwar häufig praktiziert, ist aber sehr riskant.
  • Sog. nachvertragliche Wettbewerbsverbote gehören grundsätzlich ebenfalls nicht in einen Vertrag über eine Praxisgemeinschaft: Solche Wettbewerbsverbote schützen einen gemeinsamen ideellen Wert. Diesen hat aber eine Praxisgemeinschaft als „Ärzte-WG“ nicht, denn jedes Mitglied verfügt über einen eigenen Patientenstamm, den es nach Ende der Zusammenarbeit grundsätzlich frei verwerten können muss.
  • Konsequenterweise müssen sich die Abfindungsregelungen für den Fall, dass ein Partner aus der Praxis ausscheidet, auch nur auf das beziehen, was die Partner wirklich gemeinsam als Werte halten. Dies sind typischerweise materielle Werte (gemeinsam angeschafftes Inventar). Raum für die Abfindung ideeller Werte besteht aufgrund der Eigenständigkeit der Praxen aber im Regelfall gerade nicht.
  • Auch Sprech- und Urlaubszeiten müssen jedenfalls im Grundsatz ohne das Einverständnis des jeweils anderen Partners regelbar sein. Denn die Partner einer Praxisgemeinschaft schulden sich gegenseitig in erster Linie die Tragung anfallender Kosten, nicht aber ärztliche Tätigkeit. Dies beschränkt auch das Recht, dem anderen Partner bezüglich seiner Sprech- oder Urlaubszeiten enge Vorgaben machen zu können. Etwas anderes mag nur gelten, wenn aus Kapazitätsgründen ein abgestimmtes Vorgehen geboten ist.

„Wir und die KV“ – vergütungsrechtliche Risiken

Häufig behandeln Mitglieder einer „Praxisgemeinschaft“ in einem Quartal identische Patienten. Dabei werden auch Leistungen abgerechnet, die bei Verbleib bei einem Behandler nicht abrechenbar gewesen wären. Die KVen haben hier im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung teilweise rigide Kürzungen festgesetzt und den Ärztinnen und Ärzten nur das Honorar belassen, das bei einer Abrechnung als Gemeinschaftspraxis verdient worden wäre. Die Sozialgerichte bis hin zum Bundessozialgericht haben diese Praxis bestätigt.

Ein hoher Anteil identischer Patienten ist dementsprechend Aufgreifkriterium im Rahmen der Plausibilitätsprüfung. Die „Schmerzgrenze“ liegt dabei, je nachdem, ob es fachgleiche oder fachübergreifende Praxisgemeinschaften sind, bei 20 bis maximal 30 Prozent. Jenseits dieser Grenzen wird Implausibilität vermutet. Diese Grenzen sind in der Rechtsprechung anerkannt. Bereits im Jahr 2013 stellte das SG Marburg fest:

„Behandeln die Partner einer Praxisgemeinschaft die Patienten zu einem hohen Anteil
gemeinschaftlich, bedienen sie sich der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft
missbräuchlich. Hiervon ist auszugehen, wenn der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten über elf Quartale hinweg zwischen 36 % und 50 % bzw. 34 % und 47 % beträgt.“

Aktueller betont auch das LSG Hessen (Urteil vom 30.11.2016, Az. L 4 KA 22/14):

„Eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft liegt vor, wenn Vertragsärzte ihre Zusammenarbeit im Innen- und Außenverhältnis so gestalten, wie dies für eine Gemeinschaftspraxis bzw. Berufsausübungsgemeinschaft typisch ist. Ein
Formenmissbrauch ist bereits bei einer Patientenidentität bei deutlich unter 50 % anzunehmen (BSG Beschluss vom 02. Juli 2014, B 6 KA 2/14 B)

Nach den Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu § 106a SGB 5 ist eine
Abrechnungsauffälligkeit bei versorgungsbereichsidentischen Praxen bereits dann zu
vermuten, wenn eine Patientenidentität von mehr als 20 % besteht.

Bei dem der Kassenärztlichen Vereinigung zur Honorarrückforderung eingeräumten
Schätzungsermessen kann auf die Abrechnungsregelungen für die Gemeinschaftspraxis zurückgegriffen werden.“

Im Ergebnis eines solchen Prozesses kann es aufgrund sachlich-rechnerischer Berichtigung zu erheblichen Honorarrückforderungen kommen. Ferner drohen disziplinar- oder gar strafrechtliche Risiken.

„Wir und die Patienten“ – Haftungsrisiken

War es in der Vergangenheit noch untersagt, beispielsweise auf dem Praxisschild, der Homepage oder dem Briefpapier überhaupt darauf hinzuweisen, dass man als Praxisgemeinschaft organisiert ist, wird dieses seit Jahren berufsrechtlich gestattet. Vor einem leichtfertigen Umgang mit dieser Freiheit muss dennoch gewarnt werden: Wird nicht hinreichend deutlich, dass es sich trotz der gemeinsamen Nutzung von Räumlichkeiten, Inventar etc. weiterhin um getrennte Praxen handelt, besteht ein Haftungsrisiko. Ergibt sich für Patienten objektiv das Bild einer Gemeinschaftspraxis, so kommt der Behandlungsvertrag tatsächlich mit dieser „Schein-Gemeinschaftspraxis“ zustande. Insbesondere für ärztliche Behandlungsfehler haften dann alle Ärzte im Außenverhältnis auch mit ihrem Privatvermögen unbeschränkt und unabhängig von einer Beteiligung am Behandlungsgeschehen. Die Eintrittspflicht der eigenen Berufshaftpflichtversicherung in einem solchen Fall kann zweifelhaft sein, da sie grundsätzlich nur die Verantwortlichkeit aufgrund eigenen Handelns erfasst.

Welche Anforderungen sind im „Außenauftritt“ einer Praxisgemeinschaft zu beachten? Dies ist juristisch noch nicht abschließend geklärt. Nach gemeinsamer Berufsausübung sieht es auf jeden Fall aus, wenn die Namen der beteiligten Ärztinnen und Ärzte kommentarlos untereinander oder nebeneinander gereiht sind. Ob der Begriff „Praxisgemeinschaft“ für das angesprochene Publikum hinreichend verständlich ist, also die getrennte Praxisführung ausreichend deutlich macht, wird von den Umständen des Einzelfalles abhängen. Aus Gründen der Vorsicht ist es also zu empfehlen, die Darstellung der Praxen gestalterisch und textlich so deutlich wie möglich voneinander abzusetzen.

Die Ermittlungsbehörden – strafrechtliche Risiken

„Praxisgemeinschaften“ führen oftmals einheitliche, also ungetrennte Patienten-Dokumentationen. Jeder der beteiligten Ärzte kann ohne Zugangshindernis auf die gesamten Patientendaten zugreifen. Dies kann – wenn der jeweilige Patient nicht eingewilligt hat – den Straftatbestand des Geheimnisverrats erfüllen. Verstärkt wird die Vermischung der Praxen durch einheitliche Telekommunikationsnummern. Die ordnungsgemäße Organisation einer Praxisgemeinschaft zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, dass ihre Mitglieder über Telefon, Fax und E-Mail gesondert und exklusiv zu erreichen sind und die Patienten-Dokumentationen getrennt und wechselseitig zugangsgeschützt geführt werden. Strafrechtliche Verurteilungen sind in dieser Hinsicht zwar bislang nicht bekannt, die gesetzliche Pflicht, die auch selbstverständliche Berufspflicht ist, bleibt.

Brisanter ist das strafrechtliche Risiko des Betrugsvorwurfs, wenn Praxisgemeinschaften wie Gemeinschaftspraxen geführt werden. Das Landgericht Kreuznach hat bereits im Jahr 2008 zwei Ärzte verurteilt, die zu mehr als 80 Prozent identische Patienten behandelten und so insbesondere das Volumen der abgerechneten Erstkontakte verdoppelten. Mit der KV hatte man sich auf die Rückzahlung eines erheblichen sechsstelligen Betrages verständigt. Das Landgericht Kreuznach verurteilte wegen gemeinschaftlichen, gewerbsmäßigen Bandenbetrugs zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten. Hier dürfte in Folge auch mit einem Zulassungsentziehungsverfahren zu rechnen sein.

Steuerliche Risiken

In steuerlicher Hinsicht ist in aller Kürze darauf hinzuweisen, dass gem. § 4 Nr. 14 d) UStG eine Umsatzsteuerfreiheit für die innerhalb einer Praxisgemeinschaft geleisteten Zahlungen nur dann gilt, wenn „die Gemeinschaft von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten“ fordert. Pauschale Kostenregelungen ohne Bezug der konkreten Inanspruchnahme der Praxisstruktur durch die jeweiligen Partner sind damit problematisch. Zur Gestaltung der Kostenverteilungsregelung sollte daher auch der Steuerberater konsultiert werden.

Risiken bei Trennung

Eine „Praxisgemeinschaft“ nach Art einer Gemeinschaftspraxis zu führen, begründet schließlich erhebliche Risiken für den Fall der Trennung der Partner. Regelmäßig kommt es hierbei zu Auseinandersetzungen, insbesondere über Verbleib bzw. Aufteilung der ungetrennt geführten Patienten-Dokumentation, die einen wesentlichen Teil des immateriellen Werts einer Praxis verkörpert. Immer wieder zeigt sich hierbei, dass EDV-gestützte Dokumentationen nicht oder nur mit erheblichem Aufwand zu trennen sind. Häufig kann diese Arbeit wegen der Konfliktsituation überhaupt nicht durchgeführt werden. Nicht selten hilft nur die Duplizierung des Datenbestands, was den Verstoß gegen die ärztliche Verschwiegenheitspflicht nochmals sinnfällig betont.

Ist der Vertrag zu sehr der Gemeinschaftspraxis angenähert, sind darüber hinaus weitere Konflikte vorprogrammiert. Die oben geschilderten Fallstricke bei der Vertragsgestaltung werden dann regelmäßig zum Streitthema.

Resümee:

Eine Praxisgemeinschaft planmäßig wie eine Gemeinschaftspraxis zu führen ist mit gravierenden Risiken verbunden. Von einer solchen Praxis muss dringend abgeraten werden. Auch der nachlässige Umgang mit dem Gebot der Praxen-Trennung in Außendarstellung, Außenkommunikation und Patienten-Dokumentation kann zu unangenehmen Überraschungen führen. Wird hingegen die Praxisgemeinschaft auf die rationelle und effektive Nutzung räumlicher, sächlicher und personeller Ressourcen beschränkt, stellt sie eine sinnvolle – oftmals auch alternativlose – Kooperationsform dar.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • Top-Kanzlei für Medizin­recht (Behand­ler­seite)
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Wirtschafts­kanzlei Deutsch­lands im Bereich Gesundheit & Pharmazie
    (FOCUS SPEZIAL 2024, 2023, 2022, 2021 - 2013)

  • Top-Anwalt (Wolf Constantin Bartha) für Medizinrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • „Eine der besten Wirtschaftskanzleien für Gesundheit und Pharmazie„
    (brand eins Ausgabe 23/2022, 20/2021, 16/2020)

Autor

Bild von  Wolf Constantin Bartha
Partner
Wolf Constantin Bartha
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