12.06.2018 -

Neue EU-Pläne bringen aktuell frischen Wind in die Debatte um das Whistleblowing und seine Folgen. Als „Whistleblowing“ (engl. „to blow the whistle“, sinngemäß für etwas aufdecken, jemanden verpfeifen) bezeichnet man das Informieren Dritter – beispielsweise Journalisten – über Missstände mit hoher gesellschaftlicher Relevanz. Zu Whistleblowern können auch Arbeitnehmer werden, viele große Enthüllungen der vergangenen Jahre beruhen auf solchen Hinweisen. Beispiele hierfür sind der Datenskandal um Cambridge Analytica, aber auch die Steuerdeals in Luxemburg („Luxleaks“), die Panama Papers oder die Dieselaffäre um deutsche Autobauer. Bislang fehlt es in Deutschland an einer gesetzlichen Regelung. Verschiedene Gesetzgebungsvorstöße sind bisher gescheitert. Neben strafrechtlichen Aspekten stellt sich auch die Frage, wann gegenüber einem Whistleblower arbeitsrechtliche Sanktionen drohen bzw. möglich sind.

Kürzlich hat Deutschland einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der das Whistleblowing regeln soll. Darüber hinaus hat auch die EU eine Richtlinie zu dem Thema entworfen. Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein Blick auf die aktuelle Rechtslage mitsamt den möglichen Neuerungen.


Was wiegt schwerer: Das Informieren der Öffentlichkeit über Missstände am Arbeitsplatz oder die Geheimhaltungspflicht des Arbeitnehmers? Neue Pläne der EU bringen frischen Wind in die Whistleblowing-Debatte. 

Die aktuelle Rechtslage

Da der Umgang mit Whistleblowing am Arbeitsplatz bislang gesetzlich noch nicht geregelt ist, obliegt es der Rechtsprechung, Vorgaben zum arbeitsrechtlichen Umgang zu entwickeln. Denn grundsätzlich verstößt der Arbeitnehmer mit dem Weitergeben von Daten oder dem Informieren über Missstände beim eigenen Arbeitgeber gegen seine Rücksichtnahme- und Geheimhaltungspflichten. Es besteht daher berechtigter Anlass zu Sanktionen. Auf der anderen Seite steht das Interesse des Arbeitnehmers, der durch Einschalten der Öffentlichkeit eine Korrektur von Missständen erreichen möchte.

Einer der bekanntesten Whistleblowing-Fälle dürfte die Altenpflegerin Heinisch sein, der nach einer Anzeige gegen ihren Arbeitgeber wegen Pflegemissständen gekündigt wurde. Nachdem die deutschen Arbeitsgerichte dies für zulässig hielten, zog Heinisch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und bekam dort eine Entschädigung zugesprochen (EGMR Urt. v. 21.07.2011, Az. 28274/08). Der EGMR ging davon aus, dass im Rahmen der Interessenabwägung auf Grund des öffentlichen Interesses an der Bekämpfung von Missständen im Altenpflegebereich das Recht der Beschäftigten auf Meinungsfreiheit nicht ausreichend beachtet worden sei.

Das Bundesarbeitsgericht hat diese Vorgaben berücksichtigt und anschließend festgelegt unter welchen Umständen Arbeitnehmer zu einer Mitteilung gegenüber Dritten berechtigt sind (vgl. etwa BAG, Urt. v. 27.09.2012, Az. 2 AZR 646/11): Zunächst gilt die einzelfallbezogene Berücksichtigung der Motivation des Arbeitnehmers als entscheidend. Danach können sich Arbeitnehmer an öffentliche Stellen wenden, wenn sie sich zuvor ernsthaft um eine innerbetriebliche Klärung bemüht haben und die Anzeige nicht leichtfertig erfolgt. Bei Straftaten mit schweren Folgen für Einzelne oder die Allgemeinheit kann auf eine innerbetriebliche Klärung verzichtet werden. Keinesfalls darf eine Anzeige mit dem Ziel abgegeben werden, den Arbeitgeber oder Kollegen zu diffamieren, Schaden zuzufügen oder zu erpressen.

Was sehen die Entwürfe einer gesetzlichen Regelung vor?

Zunächst hat der aktuell vorliegende deutsche Gesetzesentwurf nichts mit den EU-Plänen für eine Regelung zum Whistleblowing zu tun. Der Entwurf des Geheimnisschutzgesetzes dient vielmehr der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (EU-Richtlinie 2016/943), die bis zum 9. Juni 2018 umgesetzt werden sollte.

Der deutsche Entwurf zum Geheimnisschutzgesetz sieht allgemein und ohne explizite arbeitsrechtliche Regelungen Rechtfertigungsgründe für Whistleblower vor, die „in der Absicht handeln, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“. Diese Gesinnungsprüfung hat große Kritik hervorgerufen.

Wesentlich detaillierter in Bezug auf die arbeitsrechtlichen Auswirkungen des Whistleblowing ist der Ende April 2018 veröffentlichte Entwurf der EU-Richtlinie zu diesem Thema. Die Regelungen des Entwurfs beziehen sich auf alle Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern oder einem Jahresumsatz von mindestens zehn Millionen Euro. Darüber hinaus werden auch alle Landes-/Regionalverwaltungen und Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern erfasst. Die Firmen und Behörden sollen zum Aufbau eines internen Meldesystems verpflichtet werden. Hinweisgeber müssen intern die Möglichkeit haben, Rechtsverstöße zu melden. Hierzu müssen vertrauenswürdige Kommunikationswege geschaffen werden, die einen sicheren Umgang mit den sensiblen Informationen gewährleisten, beispielsweise in Form von Ombudsfrauen/-männern oder Hotlines. Drei Monate haben die Firmen Zeit, um auf Meldungen zu reagieren. Erst wenn auf diesem Wege keine oder keine fristgerechte Reaktion erfolgt, sollen sich Whistleblower in einem zweiten Schritt an staatliche Kontrollbehörden wenden können. Der Gang an die Öffentlichkeit, z.B. über Journalisten und Medien, soll nur als ultima ratio legitimiert werden können.

Im Gegensatz zum deutschen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Geheimnisschutzrichtlinie sieht der EU-Entwurf daher keine Gesinnungsprüfung vor. Außerdem enthält der Vorschlag eine Beweislastumkehr zugunsten der Whistleblower vor. Demnach muss die von der Meldung betroffene Organisation nachweisen, dass sie keine Vergeltungsmaßnahmen gegen den Hinweisgeber ergreift. Die Bedeutung einer solchen Beweislastumkehr zeigt sich gerade im Arbeitsrecht, da Arbeitgeber sonst die Möglichkeit haben, eine Kündigung auf andere behauptete Gründe zu stützen und insofern Fakten zu schaffen.

Fazit für die Praxis:

Was aus den EU-Plänen für eine eigene Whistleblowing-Richtlinie wird, ist noch schwer vorherzusagen. Auch wenn die Frist des 9. Juni 2018 zur Umsetzung wohl nicht gewahrt wird, ist noch im Jahr 2018 mit Inkrafttreten des Geheimnisschutzgesetzes zu rechnen. Der bisherige Entwurf bezieht sich allerdings nicht auf die arbeitsrechtlichen Fragen, sondern vor allem den strafrechtlichen Bereich. Daher bleibt es im Zweifel weiter bei den bisherigen Vorgaben der Rechtsprechung in Bezug auf eine umfassende Interessenabwägung. Die Bewertung ist dabei abhängig von den Umständen des Einzelfalls, wobei das vorausgegangene Verhalten der Parteien, das Motiv der Anzeige sowie die Qualität der möglicherweise gefährdeten Rechtsgüter mit einfließen. Bislang trifft den Arbeitgeber keine Beweislastumkehr dafür, dass eine Sanktion nichts mit einem Whistleblowing zu tun hat.

Ergänzender Hinweis:

Bei einem bloßen Verdacht gegen einen Mitarbeiter auf Whistleblowing muss auch den Vorgaben für eine Verdachtskündigung genügt werden. Ein Arbeitgeber muss daher zunächst ergebnisoffen und auch durch Anhörung des Mitarbeiters ermitteln, ob der Verdacht tatsächlich objektiv begründet ist.

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