18.04.2018 -

Die Schwellenwerte im Betriebsverfassungsgesetz richten sich nach der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. Dies gilt zunächst für die Besetzung des Betriebsrates nach § 9 BetrVG, aber auch für die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder gem. § 38 BetrVG. Das zum 1. April 2017 neu gefasste Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) bestimmt zudem, dass Leiharbeitnehmer bei diesen Schwellenwerten zu berücksichtigen sind. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun mit der Frage zu befassen, inwieweit Leihar-beitnehmer unter Berücksichtigung der neuen Vorschriften mitgezählt werden müssen bzw. ob sie auch zu dem regelmäßigen Personalbestand des Betriebes gehören (BAG v. 2.8.2017, 7 ABR 51/15). Der 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts führt die schon vor Inkrafttreten des neuen AÜG bestehende Rechtsprechung weiter fort. Dies führt zur Rechtssicherheit für die betriebliche Praxis.


Das Bundesarbeitsgericht hat kürzlich darüber entschieden, ob Leiharbeitnehmer nach dem neu gefassten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) im Hinblick auf die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitgliederter zum regelmäßigen Personalbestand des Betriebes gehören und deshalb mitgezählt werden müssen. 

Der Fall:

Der beteiligte Arbeitgeber ist ein Unternehmen der Automobilindustrie. Zusätzlich zu den Arbeitnehmern mit denen er Arbeitsverträge abgeschlossen hat, setzt er seit Jahren ca. 150 Leiharbeitnehmer ein. Unter Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer betrug die Zahl der be-schäftigten Arbeitnehmer im Kalenderjahr 2012 durchschnittlich 758,17, im Kalenderjahr 2013 durchschnittlich 661,5 und im Zeitraum von Januar bis September 2014 durchschnittlich 635,17 beschäftigte Arbeitnehmer. In der Zeit von Oktober 2014 bis Juni 2015 beschäftigte der Arbeitgeber mindestens 433 Vertragsarbeitnehmer und mehr als 150 Leiharbeitnehmer. Ende Juni 2015 waren es 463 Vertragsarbeitnehmer und 165 Leiharbeitnehmer.

Ein Betriebsratsmitglied ist von seiner beruflichen Tätigkeit bislang freigestellt. Die Freistellung eines zweiten Betriebsratsmitglieds lehnte der Arbeitgeber ab.

Der Betriebsrat hat nun die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber sei nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verpflichtet, ein weiteres Betriebsratsmitglied von der beruflichen Tätigkeit freizustellen. Die Leiharbeitnehmer seien bei der für die Anzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke zu berücksichtigen, da sie das Arbeitsaufkommen im Betriebsrat wesentlich beeinflussen.

Der Arbeitgeber hat demgegenüber beantragt, den Antrag abzuweisen. Leiharbeitnehmer seien bei den Schwellenwerten nicht mitzuzählen. Zudem beschäftige er selbst bei Berück-sichtigung der Leiharbeitnehmer in der Regel nicht mehr als 501 Arbeitnehmer, da aufgrund des Auslaufens von zwei Aufträgen, mit der Reduzierung der Abteilung Nachtarbeit und durch weitere Prozessoptimierungen mit einem weiteren Personalabbau von 80 bis 120 Arbeitsplätzen zu rechnen sein.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

Die Entscheidung:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren konnte sich der Arbeitgeber ebenfalls nicht durchsetzen.

I. Schwellenwerte und neues AÜG

Nach § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG in der seit dem 1. April 2017 geltenden Fassung sind Leiharbeitnehmer auch im Entleiherbetrieb zu berücksichtigen. Damit sind Leiharbeitnehmer bei der nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für die Anzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke mitzuzählen.

II. Regelmäßige Personalstärke maßgeblich

Für die Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer nach § 38 BetrVG ist die normale Beschäftigtenzahl maßgeblich, also diejenige Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist. Zur Ermittlung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl ist nicht nur der Personalbestand in der Vergangenheit zugrunde zu legen, sondern auch die künftige, aufgrund konkreter Unternehmerentscheidungen zu erwartende Entwicklung des Beschäftigtenstands einzubeziehen, wenn sie unmittelbar bevorsteht.

Künftige Veränderungen der Arbeitnehmeranzahl, die nicht unmittelbar bevorstehen, können allenfalls eine spätere Anpassung der Zahl der Freizustellenden bedingen. Die Feststellung der maßgeblichen Betriebsgröße erfordert daher sowohl eine rückblickende Betrachtung, für die ein Zeitraum zwischen sechs Monaten bis zwei Jahren als angemessen erachtet wird, als auch eine Prognose, bei der konkrete Veränderungsentscheidungen zu berücksichtigen sind.

Hinweis für die Praxis:

Werden Arbeitnehmer nicht ständig, sondern lediglich zeitweilig beschäftigt, kommt es für die Frage der regelmäßigen Beschäftigung darauf an, ob sie normalerweise während des größten Teils eines Jahres, d.h. länger als sechs Monate, beschäftigt werden. Das gilt auch für Leiharbeitnehmer, wenn Leiharbeit längerfristig als Instrument zur Deckung des Personalbedarfs im Betrieb genutzt wird.

III. Nur konkrete Planungen maßgeblich!

Der Arbeitgeber berief sich auf künftige Personalentwicklungen und einen Rückgang der Beschäftigtenzahl. Dieser war jedoch nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht zu berücksichtigen. So hat der Arbeitgeber keine konkrete Veränderungsentscheidung dargelegt. Zu berücksichtigen ist nur ein unmittelbar bevorstehender Rückgang der Arbeitnehmeranzahl. Es muss also ein unmittelbar bevorstehender Abbau des Personalbestandes eintreten. Demgegenüber sind Vorstellungen und Planungen noch nicht ausreichend.

Fazit:

Leiharbeitnehmer sind bei den Schwellenwerten zu berücksichtigen. Die Neufassung des AÜG hat dies in § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG klargestellt. Allerdings müssen nur solche Leihar-beitnehmer mitgezählt werden, die auch zur regelmäßigen Beschäftigtenzahl gehören. Dies ist der Fall, wenn Leiharbeitnehmer als Instrument zur Deckung des Personalbedarfs längerfristig eingesetzt werden und die Leiharbeitnehmer mehr als sechs Monate beschäftigt werden.

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