Der Hintergrund:

 

In den neunziger Jahren blühte das Geschäft mit kreditfinanzierten Käufen von Immobilien, sog. Erwerbermodelle. Seinerzeit zogen ganze Kolonnen von Vermittlern/Verkäufern durchs Land, um Mittel- oder Schlechtverdienende zu überzeugen, eine fremdfinanzierte Immobilie zu kaufen. Die Geschäfte wurden den potenziellen Käufern in der Regel dadurch schmackhaft gemacht, dass sich die Investition schon allein durch die anvisierten Mieteinnahmen und Steuervorteile rechnen sollte. Da es den Vermittlern aber vornehmlich darum ging, möglichst viele Kredite zu verkaufen und dafür die entsprechende (überhöhte) Provision zu kassieren, wurden den potenziellen Käufern häufig völlig überteuerte Immobilien verkauft, die aufgrund ihres schlechten baulichen Zustandes oder der schlechten Lage entweder so gut wie gar nicht oder nur zu einem viel geringeren Mietzins als vom Vermittler berechnet vermietbar waren. Dem durch ein scheinbar schlüssiges Finanzierungskonzepts und die Aussicht auf Steuerersparnisse geblendeten Käufer fielen diese Unstimmigkeiten in der Regel nicht auf.

 

Dies führte häufig dazu, dass solche Schrottimmobilien – ein für solche Projekte inzwischen geläufiger Ausdruck – sich nicht mehr selbst tragen konnten. Die betroffenen Käufer (nach Schätzungen der Zeitschrift Finanztest (Heft 1/2002) ca. 300.000) mussten/müssen deshalb Monat für Monat den fehlenden Betrag aus eigener Tasche zuschießen.

 

 

Das Problem:

 

Nachdem den Käufern/Kreditnehmern die Unschlüssigkeit der Finanzkonzepte aufgefallen war, ging es darum, ob und ggf. wie sie sich ohne Schaden von den geschlossenen Kreditverträgen lösen konnten.

 

Dabei besannen sich viele Betroffene angesichts der Tatsache, dass die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zum Teil nur schwer nachzuweisen sind, auf das Haustürwiderrufsgesetz (HWG; seit der Schuldrechtsreform im Jahre 2001 in das BGB aufgenommen) und die entsprechende Europarichtlinie. Danach steht Verbrauchern, die Verträge in einer sogenannten Haustürsituation abschließen, das Recht zu, den Vertrag innerhalb einer Woche zu widerrufen. Werden sie über dieses Recht nicht schriftlich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Inhalts- und Gestaltungserfordernisse informiert, besteht das Widerrufsrecht zeitlich unbegrenzt fort.

 

Diese Möglichkeit hatte der Gesetzgeber aber scheinbar für Realkreditverträge versperrt, indem er in § 5 Abs. 2 HWG bestimmte, dass Geschäfte, die in einer Haustürsituation abgeschlossen wurden, dann nicht vom Haustürwiderrufsgesetz erfasst werden, wenn sie zugleich die Voraussetzungen eines Geschäfts nach dem Verbraucherkreditgesetz erfüllen.

 

In diesem Fall fanden ausweislich des Wortlauts des § 5 Abs. 2 HWG nur die Vorschriften des Verbraucherkreditgesetzes (VerbrKrG) Anwendung (sogenannte Subsidiaritätsklausel). Zwar sah das Verbraucherkreditgesetz in § 7 der damals geltenden Fassung ein Widerrufsrecht des Verbrauchers vor. Allerdings fand die Vorschrift des § 7 des Verbraucherkreditgesetz gem. § 3 Abs.2 Satz 2 VerbrKrG auf Realkreditverträge keine Anwendung. Dies hatte mithin zur Folge, dass man zunächst davon auszugehen hatte, dass ein Widerruf nach dem Haustürwiderrufsgesetz aufgrund der Subsidiaritätsklausel des § 5 Abs. 2 und der Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG bei Realkreditverträgen nicht möglich war.

 

Mit dieser scheinbar verbraucherfeindlichen Gesetzgebung befasste sich in der Folge u.a. der EuGH, der mit Urteil vom 13.12.2001 (NJW 2002, 281) die Europarechtswidrigkeit dieser Handhabung bestätigte. Der EuGH wies insbesondere darauf hin, dass die Haustürgeschäftsrichtlinie dahingehend auszulegen ist, dass sie auf Realverträge Anwendung findet, so dass dem Verbraucher bei solchen Verträgen ein Widerrufsrecht nach Artikel 5 der Richtlinie eingeräumt werden muss. Dieses darf überdies für den Fall, dass der Verbraucher über das Widerrufsrecht nicht gemäß Artikel 4 der Richtlinie belehrt wurde, nicht auf 1 Jahr nach Vertragsschluss befristet werden.

 

 

Das Folgeproblem:

 

Neben der grundsätzlichen Zulassung des Widerrufs gem. Haustürwiderrufsgesetz ist die Rechtsprechung des BGH auch unter einem weiteren Gesichtspunkt bemerkenswert, der für den Widerrufsberechtigten im Falle des Widerrufs äußerst unangenehme Konsequenzen haben kann.

 

Der Widerruf hat nämlich zur Folge, dass das Geschäft zwischen den Parteien rückabzuwickeln ist. Dies führt dazu, dass das ausgezahlte Darlehen sofort zur Rückzahlung an den Kreditgeber fällig wird. Da das Darlehen in der erworbenen Immobilie gebunden ist, wird es dem Widerrufenden nicht ohne Weiteres möglich sein, den geschuldeten Betrag kurzfristig zurückzuzahlen. Der Widerrufende wird aufgrund der sofortigen Fälligkeit mitunter dazu gezwungen sein, die Immobilie übereilt zu einem womöglich ungünstigen Preis zu veräußern, um den Rückzahlungsanspruch des Kreditgebers zu bedienen. Sollte eine zeitnahe Liquidierung nicht gelingen, sieht sich der Verbraucher im Übrigen mitunter ganz erheblichen Zinsforderungen ausgesetzt. Auch der Bundesgerichtshof räumt in seinem Urteil vom 12.11.2002 (NJW 2003, 422, 423) ein, dass der in einer Haustürsituation überrumpelte Darlehensnehmer damit erheblich schlechter gestellt ist, als er vor In- Kraft-Treten des Haustürwiderrufsgesetzes gestanden habe. Dies beruhe aber auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers.

 

Der BGH verweist ferner auf seine ständige langjährige Rechtsprechung, wonach der Realkreditvertrag und der finanzierte Immobilienerwerb grundsätzlich nicht als wirtschaftliche Einheit anzusehen sind und infolgedessen die Ungültigkeit oder der Widerruf des Kreditvertrags nicht zur Auflösung oder Rückgängigmachung des Immobilienerwerbs führe. Nur bei sehr enger wirtschaftlicher Verbundenheit des Kreditgebers und des Immobilienverkäufers könne ausnahmsweise etwas anderes gelten. Der BGH begründet diese Rechtsprechung damit, dass beim Immobilienkauf selbst der rechtlich und geschäftlich unerfahrene Leihe wisse, dass Kreditgeber und Verkäufer verschiedene Personen seien und jeweils für eigene Rechnung handelten. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass der Kreditgeber auf Weisung der Kreditnehmer direkt an den Verkäufer zahle. Dem rechtlichen Eigenleben beider Geschäfte habe der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er in § 3 Abs. 3 Satz 2 VerbrkrG die Anwendung des § 9 VerbrKrG über verbundene Geschäfte für Realkreditverträge ausgeschlossen habe.

 

Diese Rechtsauffassung hat der BGH in der Folge mehrfach bestätigt, zuletzt mit Beschluss vom 16.09.2003 ( NJW 2004, 153). Sie führt im Ergebnis dazu, dass die Ausübung des Widerrufsrechts nach dem Haustürwiderrufsgesetz bei Realkreditverträgen in nahezu allen Fällen sinnlos ist, weil der Kreditnehmer im Rahmen der Rückabwicklung zur sofortigen Rückzahlung des gesamten Darlehensbetrages verpflichtet wird, während er auf der Immobilie sitzen bleibt. Damit geht auch die eingangs erläuterte Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines Widerrufs nach dem Haustürwiderrufsgesetz bei Realkreditverträgen weitgehend ins Leere, weshalb die Rechtsprechung des BGH sowohl bei den Instanzgerichten als auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur überwiegend kritisiert wurde.

 

Da der BGH keine Bereitschaft gezeigt hat, von seinem Standpunkt abzuweichen, hat das Landgericht Bochum dies Sache nunmehr dem Wege des Vorlagebeschlusses dem EuGH vorgelegt. Das Landgericht Bochum hält die Rechtsprechung des BGH zur Abwicklung von Realkreditverträgen nach Widerrufserklärung als mit dem Schutzzweck des Widerrufsrechts nicht vereinbar. Außerdem widerspreche eine Handhabung, wie sie der BGH vertritt, dem Gebot der Effektivität des Verbraucherschutzes (NJW 2003, 2612).

 

 

Die Stellungnahme der Europäischen Kommission:

 

In einer Stellungnahme vom 26.12.2003 hat sich nunmehr auch die EU-Kommission mit ausführlicher Begründung und zum Teil sehr deutlichen Worten gegen die bisherige Rechtsprechung des BGH ausgesprochen. Diesem wird insbesondere vorgeworfen, mit seiner Judikatur eine verbraucherfeindliche Haltung einzunehmen und damit insbesondere die Heininger-Entscheidung des EuGH (NJW 2003, 281) und das Gebot der Effektivität des Verbraucherschutzes zu unterlaufen. Weiter heißt es in der Stellungnahme der Kommission wörtlich:

 

„28. (…) Der BGH wendet die deutschen Vorschriften über das Rücktrittsrecht und die Rückabwicklung des Kreditvertrages formal und mechanisch an, ohne sich auch nur im Mindesten an den Gründen des Verbraucherschutzes, die den Rücktritt ausgelöst haben, auszurichten. Nachdem es der BGH im Gefolge des Heininger – Urteils nach Auffassung der Kommission an der notwendigen objektiven und der vollständigen Analyse und Bewertung einer sachlichen und rechtlichen Umstände hat fehlen lassen, muss diese nun im zweiten Vorlageverfahren vor dem europäischen Gerichtshof nachgeholt werden.

 

29. (…) Eine Rückabwicklung muss also erfolgen, aber sie muss derart vollzogen werden, dass sie dem Verbraucher ermöglicht, sich ohne Schaden von dem Vertrag zu lösen, ihm also insbesondere nicht das Risiko dafür aufbürdet, dass er nach Lage der Verhältnisse und ohne das ihn ein Verschulden trifft, zur (vollen) Rückabwicklung gar nicht mehr in der Lage ist.

 

31. (…) …,die angeführte Rechtsprechung des BGH jedoch die rechtsgestalterischen Möglichkeiten dieser Rechtslage nicht nur in keiner Weise ausgeschöpft hat, sondern an ihnen geradezu vorbei gegangen ist, obwohl das höchste deutsche Zivilgericht selbst feststellt, dass, wenn man den Verbraucher zur sofortigen und völligen Rückzahlung der Darlehenssumme verpflichtet, sich das Widerrufsrecht nach der Richtlinie 85/577, das ihm der Europäische Gerichtshof auch bei Realkreditverträgen zuerkannt hat, abgesehen von einigen wenigen Fällen seines Sinnes entleert, ja geradezu illusorisch wird, weil der Verbraucher wegen der Ausübung seines Rechts schlechter gestellt wird, als würde er auf die Ausübung des Rechts verzichten; denn er muss, legt man die Rechtsprechung des BGH zu Grunde, das gesamte Darlehen nun sofort zurückzahlen statt lediglich (wie bisher) ratenweise.

 

39.            Wie die Kommission bereits aufgezeigt hat, sind nationalen Gerichte zu solch gemeinschaftsfreundlicher Anwendung und Auslegung des nationalen Ausführungsrecht zu Richtlinien gehalten und können deshalb nicht, wie es der BGH getan hat, einfach an ihnen vorbei gehen. Bei der Lektüre der Urteile des BGH kann man sich ohnehin nicht der Frage erwehren, wieso der BGH im Falle „Heininger“ überhaupt einen Vorlagebeschluss erlassen hat, denn wenn der Ertrag einer Vorlageentscheidung des Gerichtshofs bei Anwendbarkeitserklärung der Richtlinie nur sein konnte, dass der Verbraucher nach den nationalen Ausführungsrecht zur Richtlinie 85/577 noch schlechter dastehen würde als ohne eine solche Anwendbarkeit der Richtlinie, erübrigte sich eine Vorlage völlig (…) offenbar hatte der BGH eine Entscheidung im dann ergangenen Sinne nicht erwartet und entschloss sich daraufhin, ihre Wirkung durch eine die Wirksamkeit der Richtlinie ignorierende Auslegung des Deutschen Rechts zu neutralisieren. Dies ist aber aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts nicht akzeptabel.

 

40. (…) Der nationale Richter hat die nach Artikel 7 erlassenen Bestimmungen des nationalen Rechts eingehend auszulegen, dass sie in größtmöglichen Einklang mit Worten, Ziel und Zweck der Richtlinie in der Auslegung, die sie durch den Europäische Gerichtshof erfahren hat, stehen. Der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts hat er ggf. unbeachtet zu lassen.“

            (Hervorhebungen durch uns)     

 

Die Kommission hat den EuGH aufgrund der Tatsache, dass einige 100.000 deutsche Verbraucher von der Zwangsvollstreckung durch Banken bedroht sind und um ihr wirtschaftliches Überleben bangen, gebeten, diese Rechtssache vorrangig zu behandeln.

 

Fazit:

 

Verbraucher, die in der Vergangenheit Realkreditverträge in einer Haustürsituation abgeschlossen habe, können sich angesichts der Stellungnahme der EU-Kommission durchaus Hoffnungen machen, dass der EuGH in einem verbraucherfreundlichen Sinne entscheiden wird. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rückabwicklung über das Haustürwiderrufsgesetz noch andere Hürden bietet. Einerseits muss nämlich überhaupt eine sog. Haustürsituation vorliegen und andererseits muss diese Haustürsituation der kreditgebenden Bank zurechenbar sein. In einer Entscheindung jüngeren Datums hat der BGH die Zurechenbarkeit einer Haustürsituation jedenfalls sehr restriktiv gehandhabt (vergleiche hierzu BGH WM 2004, 521). Eine verbraucherfreundliche Entscheidung des EuGH könnte daher letztlich zu einem Phyrrussieg werden.

 

 

Verfasser: Rechtsanwalt Alexander Wolf LL.M. (Panthéon-Sorbonne)

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  • Deutschlands beste Kanzleien für Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2024)

  • Alexander Knauss bei „Beste Anwälte Deutschlands 2024“ für Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2024)

  • Anwalt des Jahres in NRW (Alexander Knauss) für Bank- und Finanzrecht
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