Der Betriebsrat hat nach § 99 Abs. 1 BetrVG bei Ein- und Umgruppierungen mitzubestimmen. Im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers stellt in diesem Sinne die im einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütungsordnung zugleich das im Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts der Arbeitnehmer dar. Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass bei einer Bindung des Arbeitgebers an zwei tarifliche Vergütungsordnungen (tarifpluraler Betrieb/Tarifpluralität) der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitnehmer unter Beteiligung des Betriebsrats beiden Vergütungsordnungen zuzuordnen (BAG, Beschluss v. 23.08.2016 – 1 ABR 15/14). Die Entscheidung wirft komplizierte betriebsverfassungsrechtliche Fragen auf und die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten und weiterentwickelten Grundsätze sind für die Praxis besonders relevant, insbesondere dann, wenn Tarifverträge nur noch nachwirken und der Arbeitgeber von der bisherigen Vergütungsordnung abweichen möchte.
Der Fall:
Die Arbeitgeberin ist eine Bank und Mitglied im Arbeitgeberverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (AVR). Sie beschäftigt ca. 640 Arbeitnehmer. Es besteht ein Betriebsrat.
Der Arbeitgeberverband hat sowohl mit ver.di als auch mit dem Deutschen Bankangestellten-Verband e.V. (DBV) und dem DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V. jeweils eigenständige und inhaltsgleiche Mantel- und Gehaltstarifverträge für die Volks- und Raiffeisenbanken verhandelt.
Die Gehaltstarifverträge wurden zum 31. Mai 2006 von ver.di, DBV und DHV jeweils gekündigt. Den mit ver.di geschlossenen Manteltarifvertrag kündigte der AVR zum 28. Februar 2013. Schon im Jahre 2008 wurden mit dem DBV als auch mit dem DHV jeweils inhaltsgleiche Manteltarifverträge u.a. für die Volks- und Raiffeisenbanken abgeschlossen, die eine geänderte Vergütungsstruktur enthalten. Damit galten kraft Tarifbindung nur noch die mit dem DBV als auch dem DHV vereinbarten Tarifverträge. Die mit ver.di vereinbarten Tarifverträge befanden sich in der Nachwirkung.
In der Folgezeit lehnte die Bank es gegenüber dem Betriebsrat ab, dessen Zustimmung zur Ein- oder Umgruppierungen nach den mit ver.di vereinbarten Tarifverträgen einzuholen. Der Betriebsrat hat dazu die Auffassung vertreten, die Bank könne die betriebliche Vergütungsordnung nicht einseitig ändern. Sie müsse Ein- und Umgruppierungen anhand der repräsentativen Vergütungsordnung des MTV ver.di 2004 in Verbindung mit dem mit ver.di geschlossenen Gehaltstarifvertrag vornehmen.
Die Bank hat dazu die Auffassung vertreten, ihre derzeitige Tarifgebundenheit bestimme die betriebliche Vergütungsordnung allein nach den mit dem DBV und dem DHV geschlossenen Tarifverträgen. Diese seien für die Arbeitnehmer auch günstiger. Jedenfalls verdrängen sie im tarifpluralen Betrieb eine lediglich auf nachwirkenden Tarifverträgen beruhende Vergütungsordnung.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats, festzustellen, Ein- und Umgruppierungen der Arbeitnehmer müssten sich nach den ver.di Tarifverträgen richten, abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag hingegen im Beschwerdeverfahren stattgegeben.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat in der Rechtsbeschwerde die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.
I. Vergütungsordnung bei Tarifbindung
Im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers stellt die im einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütungsordnung zugleich das im Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts der Arbeitnehmer dar. Bei den tariflichen Vergütungsregelungen handelt es sich um Inhaltsnormen, die nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 1 TVG unmittelbar und zwingend zwar nur zwischen dem Arbeitgeber und den tarifgebundenen Arbeitnehmern (Mitgliedern der Gewerkschaft) gelten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist aber der tarifgebundene Arbeitgeber dennoch betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet, die tarifliche Vergütungsordnung ungeachtet der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, soweit deren Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegen.
II. Bindung an zwei tarifliche Vergütungsordnungen
Ist der Arbeitgeber an zwei tarifliche Vergütungsordnungen gebunden, die zu einer Tarifpluralität führen, werden seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten durch das Bestehen zweier, unabhängig voneinander geltenden Entgeltsysteme erweitert. Er ist dann grundsätzlich verpflichtet, die Arbeitnehmer unter Beteiligung des Betriebsrats den Entgeltgruppen der beiden betriebsverfassungsrechtlich geltenden Vergütungsordnungen zuzuordnen. Ob sie einen vertraglichen Anspruch durch Bezugnahmeklauseln auf die Anwendung dieser Tarifverträge haben oder unmittelbar tarifgebunden sind, hat auf die gegenüber dem Betriebsrat bestehende Pflicht des Arbeitgebers aus § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG keinen Einfluss.
III. Keine Tarifkonkurrenz
Im vorliegenden Verfahren hatte sich ver.di auf die Regeln der Tarifkonkurrenz gem. § 4a TVG berufen. Das Bundesarbeitsgericht hat dies zurückgewiesen. Die neue Vorschrift des § 4a TVG gilt vorliegend schon deshalb nicht, weil nach § 13 Abs. 3 TVG die Vorschrift nicht anzuwenden ist auf Tarifverträge, die schon am 10. Juli 2015 galten, was hier der Fall war. Zudem liegt vorliegend kein Fall der Tarifkonkurrenz, sondern ein Fall der Tarifpluralität vor. Zwei tarifliche Vergütungsordnungen, die mit unterschiedlichen Gewerkschaften vereinbart werden, führen zu einer Bindung der jeweiligen Tarifnormen unabhängig voneinander für die jeweils tarifgebundenen Arbeitnehmer.
IV. Nachwirkung unbeachtlich!
Im vorliegenden Fall waren die ver.di Tarifverträge gekündigt und befanden sich nur noch in der Nachwirkung. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu jedoch klargestellt, dass dies nichts daran ändert, dass die in der Nachwirkung befindende tarifliche Vergütungsordnung weiterhin das für den Betrieb maßgebliche kollektive Entgeltschema darstellt. Der Eintritt der Nachwirkung hat lediglich zur Folge, dass das im Betrieb geltende kollektive, abstrakte Entgeltschema und die in ihm zum Ausdruck kommenden Vergütungsgrundsätze nicht mehr zwingend gelten. Das ändert jedoch nichts daran, dass diese Grundsätze bislang im Betrieb angewendet wurden und deshalb dort geltende Entlohnungsgrundsätze sind. Bis zu einem wirksamen Änderungsakt sind sie grundsätzlich betriebsverfassungsrechtlich daher weiter gültig.
Hinweis für die Praxis:
Die maßgebliche Vergütungsordnung, die auf einem nachwirkenden Tarifvertrag beruht, wird durch den Abschluss von Tarifverträgen mit einer anderen Gewerkschaft nicht abgelöst und auch nicht durch das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG verdrängt. Eine Ablösung setzt Tarifverträge identischer Normgeber voraus. Das Günstigkeitsprinzip regelt das Verhältnis von kollidierenden individualvertraglich vereinbarten und kraft Tarifgebundenheit geltenden Arbeitsbedingungen. Dies gilt hingegen nicht für das Verhältnis unterschiedlicher Tarifverträge verschiedener Vertragsparteien.
Fazit:
Ein einmal im Betrieb angewandter Tarifvertrag bestimmt das im Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts der Arbeitnehmer (Vergütungsordnung). Dieses System gilt weiterhin, selbst wenn der Tarifvertrag gekündigt wird und sich nur noch in der Nachwirkung befindet. Eine Abweichung von diesem System ist nur mit der maßgeblichen Gewerkschaft oder durch Betriebsvereinbarung möglich. Der Abschluss eines neuen Tarifvertrages mit einer anderen Gewerkschaft ändert daran nichts. Der Arbeitgeber kann auch nicht einseitig mit Arbeitnehmern Arbeitsverträge mit einer abweichenden Vergütung vereinbaren. Im Verhältnis der Tarifverträge zueinander gilt noch nicht einmal das Günstigkeitsprinzip.
Arbeitgeber sind gut beraten, im Falle einer früheren Tarifbindung und einem Austritt aus dem Arbeitgeberverband bei der Einführung neuer Vergütungsordnungen genau zu prüfen, welche Regelungen galten und gelten und ob Änderungen auf Basis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts möglich sind. Wird unzulässig abgewichen, können die Arbeitnehmer ihre Ansprüche weiterhin auf Basis der alten Vergütungsordnung geltend machen!
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