Mit dem unten wiedergegebenen Urteil vom 17.05.2003 hat das AG Bonn zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage (vgl. unsere Mitteilung in „Aktuell“ vom 16.05.2003) mit wünschenswerter Klarheit die Versendung unerbetener Werbe-E-Mails als rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Empfängers untersagt. Gewerbebetrieb in diesem Sinn ist auch eine Freiberufler-Sozietät, hier eine Sozietät von Rechtsanwälten und Steuerberatern. Zudem ergingen in einer Parallelsache ebenfalls beim AG Bonn am 20.05.2003 ein Anerkenntnisurteil und bereits zuvor § 91a ZPO – Beschlüsse, die ebenfalls allesamt von der Unzulässigkeit unerbetener Werbe-E-Mails ausgehen.
Zwischenzeitlich wird man deshalb von einer „gefestigten Rechtsprechung des AG Bonn sprechen können, selbst wenn die unten stehende Entscheidung ausdrücklich die Berufung zulässt. Der endgültige Streiwert ist noch nicht festgesetzt. LG Bonn und die meisten Zivilabteilungen des AG Bonn setzen einen Streitwert von € 2.000,00 an.
Amtsgericht Bonn
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
der Sozietät Meyer-Köring, v. Danwitz, Privat, vertreten durch die
Geschäftsführer Michael C. Gussone und Dr. Reiner Schäfer, Oxfordstraße 21, 53111 Bonn
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Meyer-Köring & Partner, Oxfordstraße 21, 53111 Bonn, v.d.d. GF Michael C. Gussone und Dr. Reiner Schäfer-Gölz
g e g e n
die ……….. KG, vertreten durch die Komplementär-GmbH, diese vertreten durch die Geschäftführer …………,
hat das Amtsgericht Bonn
im schriftlichen Verfahren am 17. Mai 2003
durch die Richterin am Amtsgericht Gräfin Vitzthum von Eckstädt
für R e c h t erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, der Klägerin per E-Mail Werbung an deren E-Mail-Adresse bonn@mkvdp.de zu übersenden, es sei denn, die Klägerin hat der Übersendung zugestimmt oder ihr Einverständnis kann vermutet werden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Ohne Tatbestand gemäß § 495 a ZPO
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu, §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB.
Die Zusendung der vier E-Mails stellt einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin dar.
Es greifen keine vorrangigen anderen Anspruchsgrundlagen ein; insbesondere ist das Eigentum der Klägerin nicht verletzt worden (s. dazu LG Berlin CR 1999, 187, 187 f.).
Die Anwaltspraxis der Klägerin gehört zu den geschützten Betrieben, da § 823 Abs. 1 auch Selbständige schützt (LG Berlin a.a.O. 188).
Der erforderliche Eingriff liegt vor.
Voraussetzung für die Rechtsverletzung ist ein unmittelbar zielgerichteter Eingriff in den Gewerbebetrieb, der gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen ist und nicht von dem Gewerbebetrieb ohne Weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betrifft (LG Berlin a.a.O.).
Ein entsprechender Eingriff und nicht nur eine hinzunehmende Belästigung liegt vor. Die erforderliche Intensität ist zu bejahen.
Es fehlt zwar – anders als z.B. bei Faxwerbung – eine längere Blockade des Empfangsgerätes für erwünschte Sendungen, weil die Übertragungszeiten kurz sind. Auch verbraucht der Empfänger weder Toner noch Papier, da die Mails nicht automatisch ausgedruckt werden (LG Traunstein NJW 1998, 1648 = NJW-CoR 1998, 109 f.).
Der Eingriff besteht jedoch in Folgendem:
Der Empfänger muss höhere Telekommunikationsgebühren aufwenden, denn die Übertragungszeit wird verlängert, wenn auch in geringem Maße als bei Faxgeräten (LG Berlin a. a. O.).
Der Empfänger muss die Sendung regelmäßig lesen, um sicher festzustellen, ob es sich um Werbung handelt, selbst wenn erkennbar ist, dass die Sendung von einem kommerziellen Verwender stammt. Dies führt zu einem nicht hinzunehmenden zeitlichen Aufwand (LG Berlin a. a. O.; LG Traunstein a. a. O.). Nicht alle Absender kennzeichnen ihre Mails bereits in der Überschrift als Werbung.
Zudem besteht die Gefahr, dass eine große Anzahl von Werbesendungen die Speicherkapazität der Empfänger-Mailbox überschreitet. Dann kann es sogar zu Datenverlusten oder Rücksendungen an den Absender mit Fehlermeldung kommen (LG Berlin a. a. O.).
Der Vergleich mit anderen Formen von Werbung, die unverlangt verwendet werden und bei denen ein Eingriff verneint wird, führt nicht zu einem anderen Ergebnis.
Briefkastenwerbung wird als zulässig angesehen, so lange der Empfänger nicht ausdrücklich widerspricht (LG Kiel MDR 2000, 1331). Sie ist jedoch mit E-Mail-Werbung nicht vergleichbar. Von E-Mails ist eine weit größere Belästigung zu erwarten, weil sie weit billiger, schneller, arbeitssparender und gezielter als Briefe an eine Vielzahl von Adressaten verschickt werden können. Überdies dringt sie stärker in den Betriebsablauf ein (LG Traunstein NJW 1998, 1648; LG Kiel MDR 2000, 1331, 1331 f.).
Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung berufen, die das Zusenden von als solchen erkennbaren Werbe-E-Mails als zulässig ansieht, da die Löschung von E-Mails bei Benutzung eines zweckmäßig arbeitenden Providers nur Sekundenbruchteile dauere und kaum Kosten verursache (so LG Braunschweig NJW-RR 2000, 924, 924 f.).
Es kommt nämlich nicht auf die Umstände des Einzelfalles an. Die Gefahr von Werbe-E-Mails besteht gerade darin, dass eine nicht kontrollierbar Anzahl von Personen E-Mails an eine ebenfalls unüberschaubare Zahl von Empfängern sendet, was erst im Zusammenwirken zu den Beeinträchtigungen der Empfänger führt. Hier muss jeder einzelne Mitverursacher für die Gesamtwirkung verantwortlich gemacht werden, weil ansonsten keine Handhabe gegen diese Art der Belästigung bestünde. Im Wettbewerbsrecht ist eine Werbeart schon dann als unlauter anzusehen, wenn sie den Kaum zu einem immer weiteren Umsichgreifen in sich trägt und damit erst zu einer untragbaren Belästigung und einer Verwilderung der Wettbewerbssitten führt. Für die Beurteilung der Zulässigkeit von E-Mail-Werbung sind dieselben Erwägungen anzustellen, die im Wettbewerbsrecht (§ 1 UWG) gelten, denn der Schutz des Gewerbebetries durch § 823 BGB dient auch gerade dazu, ergänzungsbedürftige Lücken im Anwendungsbereich des § 1 UWG zu schließen (LG Berlin a. a. O.).
Hinsichtlich der unverlangten Zusendung von Werbe-E-Mails ist angesichts der aufgezeigten Vorteile gegenüber der Verwendung von Briefen infolge von Sog- und Nachahmungseffekt eine deutliche Steigerung zu erwarten (LG Traunstein a. a. O.; LG Berlin a. a. O.). Die Zahl der Nutzer des Internets steigt zudem immer weiter, was dessen Attraktivität für Werbetreibende erhöht.
Es besteht keine Möglichkeit, sich gegen diese Art der Werbung erfolgreich zu wehren, obwohl Filterprogramme existieren. Die Verwendung derartiger Programme wirft mehrere Probleme auf: Zum Einen besteht die Gefahr, dass sie auch erwünschte Geschäftspost herausfiltern, zum Anderen ist zu erwarten, dass die Verwender von Werbe-E-Mails die Filterwirkung umgehen, indem sie ihre Mails entsprechend gestalten (LG Traunstein a. a. O.; LG Berlin a. a. O., 189).
Der Eingriff war zielgerichtet betriebsbezogen. Er trag die Klägerin als Anwaltssozietät.
Dies ergibt sich daraus, dass es der Beklagten nach ihrem eigenen Vortrag darauf ankam, die Mitglieder der Klägerin in deren Eigenschaft als Rechtsanwälte bzw. -innen anzusprechen. Es war offensichtlich nach außen erkennbar, dass die Klägerin die Internetanschrift für ihre anwaltliche Tätigkeit nutzt (s. dazu LG Berlin a. a. O., 188), da die Beklagte dies wusste.
Ein Verstoß gegen die Richtlinie 97/7EG (Fernabsatz-Richtlinie; abgedruckt in NJW 1998, 212 ff.) liegt nicht vor.
Gleichgültig ist, dass Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie, der für bestimmte Arten der Fernkommunikation die vorherige Zustimmung des Verbrauchers voraus setzt, E-Mails nicht betrifft und dass Adressaten von Richtlinien vor deren Umsetzung in nationales Recht zunächst nur die Mitgliedsstaaten sind, so dass Einzelne keine Rechte daraus herleiten können, zumindest bis die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, Art. 249 EG-Vertrag (Fassung 2.10.1997), Art. 19 Fernabsatz-Richtlinie. Bereit vor Umsetzung ist das nationale Recht schon richtlinienkonform auszulegen (LG Berlin a. a. O., 189) und die Umsetzungsfrist, die gemäß Art. 15 Abs. 1 Fernabsatz-Richtlinie drei Jahre betrug, ist abgelaufen.
Dennoch ist es nicht geboten, E-Mail-Werbung unbeschränkt zuzulassen. Art. 10 Abs. 2 der Fernabsatz-Richtlinie ist auch dann nicht verletzt, wenn die vorherige ausdrückliche Zustimmung oder ein vermutetes Einverständnis Voraussetzung dafür ist, dass E-Mails verwendet werden dürfen.
Art. 10 Abs. 2 erlaubt die Verwendung von Fernkommunikationstechniken, die eine individuelle Kommunikation erlauben – also u.a. E-Mails -, nur dann, wenn der Verbraucher ihre Verwendung nicht ausdrücklich abgelehnt hat.
Es ist zur Zeit davon auszugehen, dass der Verbraucher die Verwendung der E-Mail als Webemittel offenkundig ablehnt (a. A. LG Braunschweig NJW-RR 2000, 924). Er muss nämlich noch immer damit rechnen, dass seine Mailbox blockiert wird und dass er mit Kosten für die E-Mail-Werbung belastet wird. Deshalb und aufgrund der Vielzahl von Werbe-E-Mails braucht er die Zusendung nicht zunächst zu dulden und kann sie nicht nur unterbinden, indem er sich gegen jede Einzelne zur Wehr setzt. Gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinien soll er vielmehr die Möglichkeit haben, mir seiner einmal erklärten Ablehnung den Erhalt von E-Mails generell zu verhindern. Zur Zeit fehlen jedoch die technischen Möglichkeiten, eine generell erklärte Ablehnung effektiv durchzusetzen und es sind keine Vorkehrungen dafür getroffen, wie der Empfänger seinen Widerspruch gegen den Empfang rechtlich durchsetzen kann (LG Berlin a.a.O.; LG Kiel a.a.O., 1332: sog. opt-out-Register).
Ein anderes Ergebnis folgt nicht daraus, dass die Beklagte der Klägerin Informationen über einen Fonds gegeben hat, der mit der Berufsausübung der Mitglieder der Klägerin zu tun hat.
Selbst in diesem Fall droht eine „Schwemme“ von E-Mails. Zudem bestünde, ließe man entsprechende Ausnahmen zu, die Gefahr, dass Anbieter eine – und sei sie noch so fern liegende – Verbindung zur Tätigkeit der Empfänger herzustellen suchen. Es entstünden erhebliche Abgrenzungsprobleme.
Die Versendung war nicht zulässig, weil ein Angebot zum Vertragsschluss vorlag (für die Zulässigkeit unverlangt übersandter E-Mails in diesem Fall (LG Kiel a.a.O.). Die Mail der Beklagten stellte nämlich nur eine sog. invitatio ad offerendum dar, also die Aufforderung, ihr ein Angebot zu machen, das sie annehmen oder ablehnen kann.
Um einen Vertrag über die Beteiligung an dem Fonds der Beklagten zu schließen, reichte eine bloße Beantwortung der E-Mail in dem Sinne, man akzeptiere den Inhalt als verbindlich, nicht aus, denn der Vertragsinhalt war in der Mail nicht vollständig enthalten. Wie sich aus der E-Mail selbst ergibt, war es vielmehr erforderlich, weitere Unterlagen anzufordern und z.B. die Höhe der Einlage zu konkretisieren. Zudem ist angesichts dessen, dass der Adressatenkreis der Beklagten persönlich unbekannt und unübersehbar groß war, nicht davon auszugehen, dass die Beklagte sich verpflichten wollte, mit jeder Person ohne Überprüfung einen Vertrag zu schließen, die auf Ihre Mail antwortete. Entsprechendes behauptet die Beklagte auch nicht.
Die erforderliche Wiederholungsgefahr besteht. Grundsätzlich kann der Täter sie nur dadurch ausräumen, dass er eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt. Dies verweigert die Beklagte. Zudem vertritt sie nach wie vor die Auffassung, sie dürfe unverlangt E-Mails versenden, so lange die Empfänger nicht widersprächen.
Die Beklagte handelte rechtswidrig und schuldhaft. Das kein vermutetes Einverständnis der Klägerin vorlag, ergibt sich aus den obigen Ausführungen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Berufung wird zugelassen, da die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 ZPO vorliegen.
Streitwert: bis 600,00 Euro
Gräfin Vitzthum von Eckstädt
Richterin am Amtsgericht
(mitgeteilt von RA & StB Andreas Jahn)
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