01.04.2015

Das Problem „ewiger Widerrufsrechte“ beschäftigt Gerichte und Anwälte in zahlreichen Konstellationen, insbesondere bei Versicherungs- und Darlehensverträgen. Dabei geht es immer wieder um die Frage, ob ein Verbraucher über ihm gesetzlich zustehende Widerrufsrechte ordnungsgemäß belehrt wurde. Ist dies nicht der Fall, läuft die gesetzlich vorgesehene Widerrufsfrist nicht an und deshalb auch nicht ab. Entwickelt sich der geschlossene Vertrag nicht so, wie vom Verbraucher gewünscht, wird der „Widerrufsjoker“ oft nach vielen Jahren noch gezückt, um sich von unliebsamen Verträgen zu trennen. Besonderer Beliebtheit erfreut sich dieses Mittel aufgrund des Zinsniveaus zur Zeit bei Darlehensverträgen, um alte Darlehensverträge umschulden zu können, ohne Vorfälligkeitsentschädigung zahlen zu müssen.

Die Zahl der Fälle ist uferlos, weil die Rechtslage zum Inhalt von Widerrufsbelehrungen aufgrund einer Vielzahl gesetzlicher Änderungen kaum durchschaubar war und selbst der Gesetzgeber nicht in der Lage war, in der von ihm geschaffenen BGB-Informationspflichtenverordnung eine den Anforderungen des BGB entsprechende Musterbelehrung vorzusehen. Viele Unternehmen versuchten daher, den gesetzlichen Anforderungen durch selbst formulierte oder zumindest angepasste Widerrufsbelehrungen nachzukommen, die ihnen nun als fehlerhaft vorgehalten werden. 

Regelmäßig kommt deshalb die Frage auf, ob es denn richtig sein kann, dass ein Verbraucher auch nach vielen Jahren den Vertrag noch widerrufen kann, ihm also gewissermaßen ein „ewiges Widerrufsrecht“ zusteht, oder ob der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Treu und Glauben
(§ 242 BGB) verwirkt hat, weil sein Vertragspartner darauf vertrauen durfte, dass der Vertrag Bestand hat und in diesem Vertrauen Leistungen erbracht wurden. 

Der für das Versicherungsrecht zuständige 4. Zivilsenat des BGH hat zu dieser Frage nun Stellung genommen. Sie betraf zwar Versicherungsverträge. Die zur Verwirkung eines Widerrufsrechts aufgestellten Grundsätze lassen sich aber auch auf andere Vertragskonstellationen übertragen.

Der Fall:

Im August 1988 beantragte der Versicherungsnehmer und spätere Kläger beim  Rechtsvorgänger des Versicherers den Abschluss einer Lebensversicherung. Daraufhin erhielt er mit dem Versicherungsschein die Verbraucherinformationen nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) sowie eine schriftliche Belehrung über sein Widerspruchsrecht in der damals gesetzlich festgelegten Form. Im Januar 2004 wurde dem Versicherungsnehmer – seinem Antrag folgend – ein neuer Versicherungsschein nebst Verbraucherinformationen und ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung ausgestellt. Im März 2004 kündigte er den Vertrag und ließ sich den entsprechenden Rückkaufswert vom Versicherer auszahlen. Im März 2011 erklärte er sodann den Widerspruch. Der Vertrag sei nicht wirksam zustande gekommen, so dass er nun den kompletten Betrag der gezahlten Prämien zurück verlange. Der Versicherer weigerte sich, der Versicherungsnehmer reichte Klage ein. Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen, und das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen hatte, ging er in Revision.

Die Entscheidung des BGH:

Der BGH hat die Revision des Klägers als unbegründet verworfen und damit die Entscheidung der Berufungsinstanz bestätigt. Der Versicherungsvertrag sei wirksam zustande gekommen, und eine Ausübung des Widerspruchs jedenfalls aufgrund unzulässiger Rechtsausübung  nach Treu und Glauben zu verwehren.

Kurz zuvor hatte der BGH noch entschieden, dass Versicherungsnehmern, die einen Versicherungsvertrag  unter der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung des VVG abgeschlossen hatten, ein „ewiges“ Widerrufsrecht zusteht (BGH, Urteil vom 07.05.2014 – IV ZR 76/11, siehe unsere Besprechung hier). In dieser Fassung des VVG war in § 5 a VVG a. F. das Zustandekommen von Versicherungsverträgen nach dem sogen. „Policemodell“ geregelt. Danach galt der Antrag des Versicherungsnehmers an den Versicherer als Angebot zum Abschluss eines Versicherungsvertrages, das der Versicherer durch Übersendung des Versicherungsscheins mitsamt sämtlicher Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen annahm. Wirksam wurde der Vertrag jedoch erst, wenn der Versicherungsnehmer nicht binnen einer Frist von 14 Tagen widersprach, bis dahin war er schwebend unwirksam. Diese Art des Vertragsschlusses erkennt der BGH als unionsrechtskonform an. Die entsprechende EU-Richtlinie enthielte keine Angaben zum Zustandekommen von Versicherungsverträgen, so dass es dem Mitgliedstaat überlassen sei, diese Regelung zu treffen. Soweit die Informationspflicht richtlinienkonform ausgeführt würde, sei die Wirksamkeit eines nach dieser Regelung zustande gekommenen Vertrages nicht zu beanstanden.

Unionsrechtswidrig und damit unanwendbar dagegen sei aber die Regelung des § 5 a II S. 4 VVG a. F., die für den Fall der nicht ordnungsgemäß erfolgten Belehrung das Erlöschen des Widerspruchsrechts spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie vorsah. Das Unionsrecht sieht zwar ein Widerspruchsrecht, aber keine zeitliche Begrenzung für den Fall einer fehlerhaften Belehrung vor. In diesem Fall könne der deutsche Gesetzgeber eine solche Begrenzung nicht selbst bestimmen.

Wie der BGH nun entschied, kann aber trotzdem im Einzelfall die Ausübung des eigentlich „ewigen“ Widerspruchsrechts wegen unzulässiger Rechtsausübung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt sein. Der Kläger war von der Versicherung nach den damals geltenden Vorschriften ordnungsgemäß belehrt worden, so dass er in Kenntnis seines  Widerspruchsrechts über Jahre hinweg die Vertragspflichten erfüllte, 2004 den Vertrag sogar bewusst modifizierte und bei Eintritt eines Versicherungsfalles die Leistungen der Beklagten sicher auch in Anspruch genommen hätte.

Nach Auffassung des BGH sei das Versicherungsunternehmen auch schutzwürdig gewesen, weil die verwendete Widerrufsbelehrung zumindest nach damals geltendem nationalem Recht ordnungsgemäß war:

“Die Beklagte hatte durch die Wahl des Policenmodells zwar die Ursache für die vom Kläger behauptete Unwirksamkeit des Vertrages gesetzt. Ihr Vertrauen ist gleichwohl schon schutzwürdig, weil sie dem Kläger den gesetzlichen Vorgaben des nationalen Rechts entsprechend eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung und auch die weiteren Informationen erteilt hatte. Dem Vertrauensschutz der Beklagten steht auch nicht entgegen, dass die Richtlinienkonformität des Policenmodells im Schrifttum in Zweifel gezogen wurde. Das Policenmodell entsprach dem damals geltendem nationalen Recht; seine etwaige Gemeinschaftsrechtswidrigkeit stand nicht fest und konnte der Beklagten nicht positiv bekannt sein. Von einer überlegenen Rechtskenntnis auf ihrer Seite kann insoweit jedenfalls keine Rede sein.“

Mithin durfte die Beklagte darauf vertrauen, dass der Kläger – in Kenntnis seines ihm zustehenden Widerspruchsrechts – von der Ausübung Abstand nimmt.

Fazit:
Nach der für die Versicherungswirtschaft zunächst fatal erscheinenden Entscheidung im Mai setzt der BGH mit dieser Ausnahme dem „ewigen“ Widerspruchsrecht nun dort eine Grenze, wo ansonsten der Verbraucherschutz illoyales Verhalten des Versicherungsnehmers begünstigt hätte, und schafft so die Möglichkeit einer angemessenen Risikoverteilung zwischen den Vertragspartnern.

Abzuwarten bleibt, wie die Risikoverteilung in Fällen erfolgt, in denen der Versicherer im Kern richtig, formal aber nicht ordnungsgemäß belehrt hat, oder der Versicherungsnehmer auf anderem Wege gesicherte Kenntnis seines Widerrufsrechts erlangt hat. Die Geltendmachung vermeintlich „ewiger Widerrufsrechte“ ist und bleibt jedenfalls kein „Selbstläufer“.

Dieser Artikel entstand unter Mitwirkung von Frau Judy Valbert, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bonner Büro unserer Sozietät.

Autor

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