Es gibt sie, diese hartnäckigen Steuererklärungsverweigerer, die über Jahre hinweg ihren Steuererklärungspflichten nicht nachkommen, und es gibt sie, die Finanzbeamten, die solche ungebührlichen Nachlässigkeiten mit harten Strafschätzungen sanktionieren wollen. Beide tun nicht gut daran. Der Eine fängt sich ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren, der Andere die mit harscher Kritik gespickte gerichtliche Verwerfung der Schätzbescheide als nichtig.
Einen besonders krassen Fall eklatant willkürlicher Strafschätzungen verwarf jetzt das FG Köln als nichtig und las den beteiligten Finanzbeamten ordentlich die Leviten (FG Köln, Urteil vom 22.05.2014, 11 K 3056/11).
Wegen der besonderen Früchte, die betroffene Steuerpflichtige und deren Berater aus dem Fall ziehen können, soll auf eine ausführliche Darstellung des Sachverhalts nicht verzichtet werden. Die Entscheidungsgründe sind unter Ziffer 2. wiedergegeben.
1. Der Fall (ausführliche Sachverhaltsdarstellung)
Die Beteiligten streiten um die Nichtigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung für 2008.
Der Kläger, ein Handelsvertreter, war seinen Steuererklärungspflichten spätestens seit dem Veranlagungszeitraum 1997 nicht mehr nachgekommen, so dass das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung gegen ihn am 12.12.2008 eine Steuerfahndungsprüfung für die Jahre 1997 bis 2006 einleitete.
Der Bericht über die Steuerfahndungsprüfung vom 8.9.2009 enthält Feststellungen sowohl zur Einkommensteuer als auch zur Gewerbesteuer und zur Umsatzsteuer. Hinsichtlich der Umsatzsteuer enthält der Bericht über die Steuerfahndungsprüfung folgende Einzelfeststellungen:
„Die in der Anlage 1 des Prüfungsberichts aufgeführten Einnahmen (Anm.: die Versicherungsprovisionen) unterliegen nicht der Umsatzsteuer, da sie nach § 4 Nr. 11 UStG von der Umsatzsteuer befreit sind. Umsatzsteuerveranlagungen sind für die Kalenderjahre 2000 bis 2006 nicht durchzuführen. In den Jahren 1997 bis 1999 kommt es zu keinen Änderungen.“
Der Kläger war aufgrund der während der Fahndungsprüfung gewonnenen Erkenntnisse seit September 2007 nicht mehr mit seiner eigenen Versicherungsagentur am Markt aufgetreten, sondern als Versicherungsvermittler nur noch für einen Dritten tätig, von dem er noch im Dezember 2008 Provisionserlöse aus der Versicherungsvermittlung vereinnahmt hatte.
Da der Kläger seiner Steuerklärungspflicht auch für das Jahr 2008 nicht nachgekommen war, schätzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen und setzte unter anderem die Umsatzsteuer für 2008 mit einem nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheid vom 18.12.2009 auf 9.500 Euro fest. Dabei legte es ausweislich des sich in der Steuerakte befindenden Ausdrucks der eingegebenen Daten einen umsatzsteuerpflichtigen Jahresumsatz von 50.000 Euro zu Grunde. Vorsteuern wurden nicht berücksichtigt.
Als Erläuterung war auf dem mit Datum vom 30.11.2009 unterzeichneten Ausdruck der eingegebenen Daten der Hinweis „Testkäufer nicht Vers. Vertreter!“ vermerkt. Anhaltspunkte über die Ermittlung der Höhe des geschätzten Umsatzes sowie dazu, weshalb der Beklagte nunmehr davon ausging, dass der Kläger im Jahr 2008 umsatzsteuerpflichtige Umsätze aus einer Tätigkeit als Testkäufer erzielte, ließen sich den Steuerakten nicht entnehmen. Ein gesonderter Eingabe- oder Berechnungsbogen betreffend die Ermittlung oder Zusammensetzung des geschätzten Betrags von 50.000 Euro war in den Steuerakten nicht vorhanden.
Der Kläger legte gegen den Umsatzsteuerbescheid am 30.12.2009 Einspruch ein und reichte eine unterschriebene Umsatzsteuererklärung für 2008 ein. Die Umsatzsteuererklärung enthielt den Hinweis, dass eine Anlage UR nicht beigefügt sei, weil darin keine Angaben zu machen seien. In der Umsatzsteuererklärung war unter der Rubrik „B. Angaben zur Besteuerung der Kleinunternehmer (§ 19 Abs. 1 UStG)“ der Umsatz für die Kalenderjahre 2007 und 2008 jeweils mit 0 Euro angegeben.
Das Finanzamt wies den Kläger mit Schreiben vom 5.1.2010 darauf hin, dass der Einspruch nicht begründet sei und forderte den Kläger auf, für seine Tätigkeiten als Versicherungsvertreter und als Testkäufer jeweils eigenständige, ordnungsgemäße Gewinnermittlungen vorzulegen.
Nach nochmaliger Erinnerung teilte der Kläger mit Schreiben vom 15.2.2010 Folgendes mit:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
im Jahr 2008 und 2009 hatte ich umsatzsteuerfreie und umsatzsteuerpflichtige Einkünfte und Umsätze. Die geplanten und tatsächlichen umsatzsteuerpflichtigen Einkünfte und Umsätze beliefen sich für den Zeitraum April bis Dezember 2008 auf unter 3000 Euro. Für das Jahr 2009 betrugen diese Zahlen unter 8000 Euro für Umsatz und unter 4000 Euro für Einkünfte. Für das Jahr 2010 und 2011 sind Umsätze von 10.000 Euro bei voraussichtlichen Einkünften in Höhe von 5000 Euro geplant. Daher habe ich unter Berufung auf § 19 UStG keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt und erhalten. Aufgrund dieser Kleinunternehmerregelung brauche ich keine Umsatzsteuer-Voranmeldung abgegeben und lege Einspruch bezüglich der oben genannten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid ein.
Mit freundlichen Grüßen“
Das Finanzamt antwortete:
„Aufgrund des vorliegenden Einspruchs habe ich die zu Grunde liegende Festsetzung nochmals vollumfänglich überprüft. Danach vermag ich ihrem Einspruchsbegehren gegenwärtig nicht entsprechen zu können.
Da sie ihren steuerlichen Erklärungspflichten für den Veranlagungszeitraum 2008 nicht zeitgerecht entsprachen, ermittelte das Finanzamt G die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO im Schätzungswege …
Gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen wandten sie sich mit dem vorgenannten Einspruch vom 30.12.2009 und reichten zeitgleich eine Umsatzsteuererklärung per Elster ohne Anlage UR ein, die lediglich eine Umsatzsteuerschuld in Höhe von 0 Euro festsetzte und entsprechende Umsätze für die Vorjahre deklarierte.
Trotz mehrfacher Aufforderung des Finanzamts, ordnungsgemäße Gewinnermittlungen vorzulegen, damit eine Prüfung der Einspruchsbegründung erfolgen und gegebenenfalls eine Abhilfe erfolgen könne, entsprachen sie dem nicht.
… Da bereits in den Vorjahren – zumindest seit 1997 – kontinuierlich keine Steuererklärungen eingereicht wurden, aufgrund der für die Veranlagungszeiträume 1997 bis 2007 durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung getroffenen Feststellungen steuerpflichtige Umsätze nicht ausgeschlossen werden können, kann auf die Vorlage der Gewinnermittlungsunterlagen zur Begründung des Einspruchs und Glaubhaftmachung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung nicht verzichtet werden. Die insoweit lediglich vorgelegte Umsatzsteuererklärung reicht zur Begründung des Einspruchs nicht aus. Lediglich der Hinweis im Schreiben vom 17.2.2010, im Jahr 2008 seien umsatzsteuerfreie und umsatzsteuerpflichtige Umsätze und Einkünfte erzielt worden, allerdings keine Umsatzsteuer gesondert in Rechnung gestellt worden, rechtfertigt ebenfalls noch keine Aufhebung der angefochtenen Festsetzung. Ich bitte daher nochmals um Vorlage der bereits angeforderten Unterlagen innerhalb genannter Frist. Ohne ausreichende Begründung des Einspruchs beabsichtige ich ihr vorgenanntes Einspruchsbegehren als unbegründet zurückzuweisen.“
Da eine Reaktion des Klägers nicht mehr erfolgte, wies das Finanzamt den Einspruch des Klägers mit Datum vom 08.03.2010 zurück und führte zur Begründung aus, dass auch nach einer erneuten Überprüfung kein Anlass bestehe, an der Richtigkeit des angefochtenen Steuerbescheids zu zweifeln. Der Kläger habe die ihm kraft Gesetzes obliegende Mitwirkungspflicht verletzt, indem er es trotz wiederholter Aufforderung unterlassen habe, den Einspruch durch Vorlage der Gewinnermittlung nebst erläuternder Unterlagen zu begründen. Die sich hieraus ergebenden Konsequenzen gingen daher zu seinen Lasten.
Mit Datum vom 4.5.2011 reichte der nunmehr steuerlich beratenden Kläger die ausstehende Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2008 beim Beklagten ein. Dabei beantragte er die Anwendung der Kleinunternehmerregelung nach § 19 Abs. 1 UStG und bezifferte den im Kalenderjahr 2007 erzielten Umsatz mit 0 Euro und den im Jahr 2008 erzielten Umsatz mit 1.998 Euro. Auf der beigefügten Anlage UR zur Umsatzsteuererklärung 2008 bezifferte er die nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfreien Umsätze mit 50.150 Euro. Der Kläger berief ich auf die Nichtigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung.
Das Finanzamt half nicht ab und vertrat die Auffassung, der Kläger habe seine Mitwirkungspflichten verletzt, so dass die Schätzung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ermessensfehlerfrei und sachgerecht sei. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs selbst eine Mehrzahl grober Schätzungsfehler oder gar ein überhöhtes Schätzungsergebnis nicht zwingend zu einer Nichtigkeit der Schätzung führten.
Mit seiner Klage rügt der Kläger, das Finanzamt habe im vorliegenden Fall bewusst und willkürlich zu seinem Nachteil geschätzt. Im Bericht der Steuerfahndungsprüfung sei ausdrücklich festgestellt worden, dass die Einnahmen aus der Tätigkeit als Versicherungsvertreter nach § 4 Nr. 11 UStG von der Umsatzsteuer befreit seien und somit Umsatzsteuerveranlagungen für die Jahre 2000 bis 2006 nicht durchzuführen seien. Für das Jahr 2007 habe er eine Umsatzsteuererklärung eingereicht und für 2008 erklärt, dass die Umsätze aus Testkäufen unterhalb der Kleinunternehmergrenze im Sinne des § 19 UStG gelegen hätten.
Der Beklagte habe dennoch an den geschätzten Umsätzen von 50.000 Euro aus den Testkäufen festgehalten. Das Festhalten an diesen Umsätzen habe eindeutig Strafcharakter. Für die Vermutung, dass die Angaben in der Steuererklärung für 2008 falsch seien, habe der Beklagte keine nachvollziehbare Begründung abgegeben. Es sei in keinster Weise nachvollziehbar, weshalb das Finanzamt davon ausgehe, dass der Kläger im Jahr 2008 als Testkäufer 50.000 Euro an Erlösen erzielt haben sollte.
2. Die Entscheidung
Das FG Köln gab der Klage statt. Den Umsatzsteuerbescheid vom 18.12.2009 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung verwarf es mit deutlichen Worten als nichtig.
Nichtigkeit nach § 125 Abs. 1 AO
Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies außerdem bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Selbst grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen führen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides, und zwar selbst dann nicht, wenn sie auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen
Schwerwiegender Fehler im Sinne des § 125 Abs. 1 AO
Ein schwerwiegender Fehler im Sinne des § 125 Abs. 1 AO liegt demgemäß vor, wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt wurden, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen.
Voraussetzung einer Schätzung nach § 162 AO
Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen setzt nach § 162 AO voraus, dass die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann. Dies ist unter anderem der Fall, wenn Mitwirkungspflichten nicht erfüllt werden. Nach der Rechtsprechung des BFH kommt eine Schätzung erst dann in Betracht kommt, wenn alle anderen Möglichkeiten, die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, für das Finanzamt ausgeschöpft sind. Die Erzwingung der Abgabe der Steuererklärungen hat für das Finanzamt Vorrang gegenüber einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen.
Selbst wenn Erkenntnismöglichkeiten und auch andere geeignete Anhaltspunkte für die Schätzung fehlen, muss es Ziel der Schätzung sein, die Besteuerungsgrundlagen annähernd zutreffend zu ermitteln. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss nur schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein und feststehende Tatsachen berücksichtigen. Die Schätzung darf hingegen nicht dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten. Strafschätzungen gilt es zu vermeiden.
Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, wird eine Schätzung, die den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt, grundsätzlich nur als rechtswidrig angesehen und muss angefochten werden, wenn sie nicht in Bestandskraft erwachsen soll.
Anders bei willkürlichen Schätzungen
Anders verhält es sich nur, wenn das Finanzamt bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt. Willkürlich und damit nichtig im Sinne des § 125 Abs. 1 AO ist ein Schätzungsbescheid nicht nur bei subjektiver Willkür des handelnden Bediensteten. Auch wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und die Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und gegebenenfalls welche Schätzungserwägungen angestellt wurden – wenn somit ein „objektiv willkürlicher“ Hoheitsakt vorliegt – ist eine Nichtigkeit im Sinne von § 125 Abs. 1 AO gegeben. Denn in einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass die Schätzung nicht mehr mit der Rechtsordnung und den diese Ordnung tragenden Prinzipien in Einklang steht, da das Finanzamt grundsätzlich gehalten ist, diejenigen Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen wäre, auszuschöpfen.
Anwendung dieser Grundsätze auf den Fall
Nach diesen Rechtsgrundsätzen litten, so das FG Köln, der Umsatzsteuerbescheid vom 18.12.2009 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung an einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 125 Abs. 1 AO, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig sei. Das Finanzamt habe die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den Umsatzsteuerbescheid 2008 als verbindlich anzuerkennen.
Wörtlich heißt es:
Die Schätzung weicht zunächst in einem krassen Umfang von den tatsächlichen Gegebenheiten ab und verlässt damit den zulässigen Schätzungsrahmen in einem dermaßen eklatanten Umfang, dass sich schon aus diesem Grund der Verdacht einer unzulässigen Strafschätzung aufdrängt. Denn der Kläger hat im Streitjahr ausweislich der … eingereichten Steuererklärung Umsätze aus der Tätigkeit als Testkäufer in Höhe von lediglich 1.998 Euro erzielt. Dieser vom Beklagten im Übrigen nicht bestrittene Umsatz entspricht nur rund 1/25 der im Schätzungsbescheid angesetzten Besteuerungsgrundlagen.
Die Schätzung der Umsätze aus den Testkäufen ist darüber hinaus zumindest objektiv willkürlich und nicht nachvollziehbar.
Für den Senat ist bereits in keiner Weise erkennbar, dass der Beklagte im Zeitpunkt der Schätzung irgendwelche Erwägungen zu den Umsätzen des Klägers aus der Tätigkeit als Testkäufer angestellt hat.
Aus den im Klageverfahren vorgelegten Steuerakten lässt sich an keiner Stelle entnehmen, aus welchem Grund der Beklagte beim Erlass des Schätzungsbescheids überhaupt zu der Annahme gelangt ist, dass der Kläger im Jahr 2008 als Testkäufer tätig wurde. Weder aus den Steuerakten noch den Feststellungen der Steuerfahndungsprüfung – die sich im Übrigen lediglich auf den Zeitraum 1997 bis 2006 erstreckte – sind Anhaltspunkte für diese im Vergleich zu den Jahren bis 2006 neu aufgenommene Tätigkeit des Klägers ersichtlich. Vor diesem Hintergrund sind zudem die Ausführungen des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 28.1.2014 nicht nachvollziehbar, dass die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen auf den Feststellungen der Steuerfahndungsprüfung beruhen soll. Denn zu umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen aus einer Tätigkeit als Testkäufer enthält der Prüfungsbericht überhaupt keine Feststellungen. Der Bericht der Steuerfahndung führt sogar vielmehr aus, dass jedenfalls für die Zeit von 2000 bis 2006 mangels steuerpflichtiger Umsätze überhaupt keine Umsatzsteuerveranlagungen durchzuführen sind. Auch die Vertreterin des Beklagten konnte weder im Rahmen des Erörterungstermins noch in der mündlichen Verhandlung auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts erläutern, weshalb der Beklagte beim Erlass des Schätzungsbescheids eine Tätigkeit des Klägers als Testkäufer zugrunde gelegt hatte und auf welchen Erkenntnissen diese Annahme beruht haben soll. …
Die dem Bescheid vorausgegangene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ist – mit Ausnahme des bloßen Hinweises „Testkäufer nicht Vers.Vertreter!“ auf dem Ausdruck der Eingabedaten – darüber hinaus nicht in den Akten dokumentiert. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar ist, woher der Beklagte die Information über die Tätigkeit des Klägers als Testkäufer hatte, enthält die Steuerakte keine Anhaltspunkte darüber, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte überhaupt Erwägungen zur Höhe der Schätzung angestellt hat. Wie und anhand welcher Umstände der zugrunde gelegte Betrag von 50.000 Euro ermittelt wurde, erschließt sich dem Senat insgesamt nicht. …
Die Schätzung des Beklagten erfolgte vor diesen Hintergründen nicht mit dem Ziel, den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit nahe zu kommen, sondern vielmehr um über die Steuerbelastung Druck auf den Kläger auszuüben und diesen für die auch schon die Vorjahre betreffende Nichtabgabe der Steuererklärungen und der Nichtabgebe der Gewinnermittlung zu sanktionieren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger im Rahmen des Einspruchsverfahrens die ausstehende Umsatzsteuererklärung (zwar ohne Anlage UR, diese betraf jedoch nur die nach § 4 Nr. 11 UStG ohnehin steuerfreien Versicherungsprovisionserlöse, auf die es für die vorliegende Steuerfestsetzung der Höhe nach nicht ankommt) eingereicht und seine Angaben hinsichtlich der Tätigkeit als Testkäufer nochmals ergänzt hatte.
Erstmals im Rahmen des Einspruchsverfahrens ergaben sich Anhaltspunkte für eine Tätigkeit des Klägers als Testkäufer. Weshalb der Beklagte trotz des Hinweises des Klägers, dass die Umsätze mit „rund 3.000 Euro“ unterhalb der Grenzen des § 19 UStG lägen und dass er zudem keine Umsatzsteuer offen ausgewiesen habe, weiterhin an der ursprünglichen Schätzung festgehalten hat und die Ausführungen des Klägers nicht berücksichtigte, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, zumal sich der zusätzliche Erkenntnisgewinn für die Umsatzsteuer aus den vom Beklagten weiterhin angeforderten Gewinnermittlungen kaum erschließt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre im Rahmen einer ordnungsgemäßen Schätzung zumindest eine Herabsetzung des bislang geschätzten Umsatzes – gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlags – geboten gewesen, da sich die Schätzung an denjenigen Besteuerungsgrundlagen zu orientieren hat, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben.
Der Beklagte versagte dennoch eine (Teil)Abhilfe weiterhin ausdrücklich mit der Begründung, dass keine ordnungsgemäße Gewinnermittlung vorgelegt worden sei und deshalb Zweifel an der zutreffenden Höhe der Steuer bestünden. Dabei wurden die Angaben in der Steuererklärung und die erläuternden Ausführungen bewusst nicht berücksichtigt.
Diese Gesamtumstände legen einen Strafcharakter der Schätzung nahe. Damit verbleibt als einziger erkennbarer Gesichtspunkt für das Verhalten des Finanzamts zum Zeitpunkt der Schätzung und beim Erlass der Einspruchsentscheidung, dass die Verletzung der Steuererklärungspflicht sanktioniert werden und der Kläger zur Ergänzung seiner Steuererklärung und zur Abgabe der Gewinnermittlung angehalten werden sollte.
3. Fazit
Sehr lesenswert und mit außergewöhnlich unverblümter Deutlichkeit bereitet das FG Köln die Voraussetzungen der Steuerschätzungen auf, legt die Anforderungen an eine wirksame Schätzung dar und zeigt auf, wann die Grenze des rechtmäßigen Schätzungsrahmens verlassen wird und wann sogar die Schwelle der Nichtigkeit überschritten ist.
Zwar werden derart krasse Fälle willkürlicher Strafschätzungen die Ausnahme bleiben; jedoch verschafft die Lektüre dieser Entscheidung betroffenen Steuerpflichtigen und ihren Beratern Argumentationshilfen und Ansatzpunkte, um den häufig überzogenen Schätzungen zu begegnen.
Auszeichnungen
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2022/2023)
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017-2021)
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