17.02.2014 -

Die Regelungen einer Betriebsvereinbarung gelten nach Ablauf nur in solchen Angelegenheiten weiter, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung ersetzen kann, bis sie durch eine weitere Abmachung ersetzt werden können, § 77 Abs. 6 BetrVG. Die Nachwirkung von betrieblichen Regelungen in einer Betriebsvereinbarung bezieht sich damit auf Regelungen der zwingenden Mitbestimmung. Demgegenüber unterliegen Betriebsvereinbarungen über Gegenstände, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterliegen, keiner Nachwirkung. Problematisch sind immer die Fälle, in denen eine Betriebsvereinbarung teils erzwingbare, teils freiwillige Regelungen enthält. Wie verhält es sich hier mit der Nachwirkung? Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil seine Rechtsprechung hierzu nochmals präzisiert und bestätigt (BAG, Urteil v. 09.07.2013 – 1 AZR 275/12).

Der Fall:

Die Parteien des Rechtsstreits streiten über die Zahlung einer außertariflichen Zulage.

Der beklagte Arbeitgeber betreibt einen holzverarbeitenden Betrieb, für den ein Betriebsrat gewählt ist. Der Arbeitgeber ist kraft Verbandsmitgliedschaft an die Tarifverträge der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie Rheinland-Pfalz gebunden. Dieser sieht eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden bei einer Fünf-Tage-Woche vor, lässt aber Betriebsvereinbarungen über die Einführung von Schichtarbeit ausdrücklich zu.

Die Betriebspartner haben von dieser Öffnungsklausel Gebrauch gemacht und in gesonderten Betriebsvereinbarungen Schichtplanregelungen getroffen. Zusätzlich war in den Betriebsvereinbarungen eine außertarifliche Zulage geregelt.

Der Arbeitgeber kündigte nun die Betriebsvereinbarungen zum 31. Dezember 2009 und stellte die Zahlung der darin vereinbarten Zulagen zum Jahresende 2009 ein. Die Arbeitnehmer haben die Auffassung vertreten, die gekündigten Betriebsvereinbarungen unterlägen der Nachwirkung, weil sie teilmitbestimmt seien. Sie hätten daher auch nach Ablauf der Kündigungsfrist wegen der Nachwirkung weiterhin Anspruch auf die Zulagen für Tätigkeiten im Schichtbetrieb.

Der Arbeitgeber hat hingegen zur Begründung seines Abweisungsantrages ausgeführt, einer Nachwirkung der Betriebsvereinbarungen stehe bereits entgegen, dass er die Zahlung der in den Betriebsvereinbarungen vorgesehenen Zulagen vollständig eingestellt habe und in einem solchen Fall keine zwingende Mitbestimmung des Betriebsrats vorliege.

Das Arbeitsgericht hat den Zahlungsklagen der Arbeitnehmer stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Klagen hingegen abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht den Klagen stattgegeben und die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben.

I. Keine Regelungssperre nach § 77 Abs. 3 BetrVG

Gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte oder Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Hierdurch soll verhindert werden, dass Gegenstände, derer sich die Tarifvertragsparteien angenommen haben, konkurrierend durch Betriebsvereinbarung geregelt werden.

Deshalb verstößt eine Betriebsvereinbarung über eine übertarifliche Zulage gegen den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG, wenn sie sich in der Aufstockung der Tariflöhne erschöpft.

Hiervon war vorliegend jedoch nicht auszugehen. In den Betriebsvereinbarungen waren zusätzliche Entgeltbestandteile geregelt. Diese waren auch an besondere Voraussetzungen gebunden und daher nicht Teil des Tariflohnes. Die vereinbarten Zulagen stellen vielmehr eine besondere Leistung dar, die nur den Arbeitnehmern gewährt wird, die in den dort vereinbarten Schichtsystemen arbeiten. Durch die Zulagen wird daher nicht lediglich der Tariflohn erhöht.

II. Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen

Nach § 77 Abs. 6 BetrVG gelten die Regelungen in einer Betriebsvereinbarung in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Zu diesen Angelegenheiten gehören Regelungen über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) und der betrieblichen Lohngestaltung (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG).

Betriebsvereinbarungen über Gegenstände, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterliegen, entfalten kraft Gesetzes keine Nachwirkung. Betriebsvereinbarungen mit teils erzwingbaren, teils freiwilligen Regelungen wirken grundsätzlich nur hinsichtlich der Gegenstände nach, die der zwingenden Mitbestimmung unterfallen. Dies setzt allerdings voraus, dass sich die Betriebsvereinbarung sinnvoll in einen nachwirkenden und einen nachwirkungslosen Teil aufspalten lässt. Andernfalls entfaltet zur Sicherung der Mitbestimmung die gesamte Betriebsvereinbarung Nachwirkung.

Das Bundesarbeitsgericht hat hier die Regelungen über die Schichtarbeit und die Zulagenregelung als Einheit angesehen. Der Wille der Betriebsparteien sei darauf gerichtet gewesen, die Zulagen als Ausgleich für die besonderen Arbeitsbelastungen der Schichtarbeit zu gewähren. Damit wollten die Betriebspartner die Zulage solange den Arbeitnehmern zukommen lassen, wie diese nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung Schichtarbeit zu leisten haben. Dies hat dann zur Folge, dass sich bei einer Kündigung der Betriebsvereinbarung die Nachwirkung der erzwingbaren Schichtplanregelung auch auf die teilmitbestimmte Zulagenregelung erstreckt.

Hinweis für die Praxis:

Der Arbeitgeber kann sich nur in einem Fall von der Verpflichtung lösen, die Zulagen zu zahlen, indem er nämlich eine neue Arbeitszeitregelung mit dem Betriebsrat vereinbart. Eine solche Neuregelung kann auch in einem Einigungsstellenverfahren herbeigeführt werden. Die Einigungsstelle kann gegen den Willen des Arbeitgebers keine kompensatorischen Leistungen für ungünstige Arbeitszeitregelungen vorsehen.

Autor

Bild von Prof. Dr. Nicolai Besgen
Partner
Prof. Dr. Nicolai Besgen
  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht

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