Die außerordentliche Kündigung von schwerbehinderten Menschen unterliegt besonders formalen Regeln gem. § 91 SGB IX. Strenge Anforderungen sind dabei an die Einhaltung der Fristen zu stellen (s. dazu ausführlich Besgen, Schwerbehindertenrecht – Arbeitsrechtliche Besonderheiten, 1. Aufl. 2009). Trifft das Integrationsamt nach Antrag keine Entscheidung, gilt die Zustimmung des Integrationsamtes als erteilt, § 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX (sogenannte Zustimmungsfiktion). Wann muss dann aber mit welcher Frist die außerordentliche Kündigung erklärt werden und nachweisbar zugehen? Das Landesarbeitsgericht Hamm hat dazu nun festgestellt, dass jedenfalls ein Zuwarten von mehr als sechs Tagen nicht mehr als unverzüglich angesehen werden kann (LAG Hamm, Urteil v. 25.10.2012 – 15 Sa 765/12). Die mit einer Fristversäumnis verbundenen Prozessrisiken sind für den Arbeitgeber beträchtlich. Die Entscheidung bedarf daher besonderer Beachtung.
Der Fall:
Der klagende Arbeitnehmer ist 1949 geboren und war seit Juli 1986 bei dem Beklagten als Masseur und medizinischer Bademeister beschäftigt.
Wegen eines Vorfalls mit einem Patienten beantragte der Arbeitgeber mit dem am 15. September 2011 beim zuständigen Integrationsamt eingegangenen Antrag die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Mit bei den Prozessbevollmächtigten des Arbeitgebers am 4. Oktober eingegangenem Einschreiben des Integrationsamtes vom 30. September 2011 wies dieses auf die Fiktion des § 91 Abs. 3 SGB IX hin. Der Arbeitgeber erklärte sodann mit Schreiben vom 6. Oktober 2011, dem Kläger am selben Tag zugegangen, die fristlose Kündigung.
Hiergegen hat der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage eingereicht. Er hat gemeint, die Kündigung sei unwirksam. Sie sei bereits nicht unverzüglich im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.
Die Entscheidung:
Das Landesarbeitsgericht hat im Berufungsverfahren die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.
I. Fristenproblematik
Die außerordentliche Kündigung von schwerbehinderten Menschen richtet sich nach den speziellen Regeln des § 91 SGB IX. Innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis der Kündigungsumstände muss die Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt beantragt werden (Abs. 2). Das Integrationsamt muss dann seine Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tage des Eingangs des Antrages an treffen, § 91 Abs. 3 S. 1 SGB IX. Besondere Bedeutung kommt dabei der Zustimmungsfiktion zu, die in Abs. 3 S. 2 geregelt ist. Trifft das Integrationsamt nämlich keine Entscheidung, gilt die Zustimmung als erteilt. Der Kündigungsausspruch ist schließlich in Abs. 5 geregelt. Danach muss die Kündigung unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung bzw. der Zustimmungsfiktion erklärt werden. In der Praxis entsteht immer wieder Streit darüber, was unter „unverzüglich“ konkret zu verstehen ist.
II. Erkundigungspflicht des Arbeitgebers!
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht eine Obliegenheit des Arbeitgebers, sich beim Integrationsamt zu erkundigen, ob es innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 S. 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, weil andernfalls die Zustimmung fingiert wird (BAG, Urteil v. 19.04.2012 – 2 AZR 118/11). Allerdings ist das Integrationsamt nicht verpflichtet, eine inhaltliche Auskunft zu erteilen oder den Arbeitgeber schon vorab darüber in Kenntnis zu setzen. Teilt also das Integrationsamt auf Nachfrage lediglich mit, dass es innerhalb der Frist eine Entscheidung getroffen habe, darf der Arbeitgeber die Zustellung des entsprechenden Bescheides eine Zeitlang abwarten.
Die Fiktionswirkung nach § 91 Abs. 3 S. 2 tritt nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist ein. Auch dies kann und muss der Arbeitgeber mit einem Anruf in Erfahrung bringen. Im konkreten Fall lief hier nach Antragseingang (15. September 2011) die Entscheidungsfrist des Integrationsamtes am 29. September 2011 ab. Dies konnte also am 30. September 2011 telefonisch in Erfahrung gebracht werden. Dass es sich dabei um einen Freitag gehandelt hat und das Integrationsamt nur von 08.30 Uhr bis 12.30 Uhr zu erreichen war, ändert daran nichts.
Nach der ständigen Rechtsprechung, nunmehr auch der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm, bedeutet unverzüglich nicht sofort. Dem Arbeitgeber bleibt also ein Entscheidungsspielraum, dessen Dauer höchstrichterlich vom Bundesarbeitsgericht noch nicht abschließend festgelegt worden ist. Arbeitgebern kann aber daher nur dringendgeraten werden, spätestens am Folgetag die Kündigung nachweisbar zuzustellen. Es kommt dabei nicht auf die Absendung des Kündigungsschreibens an, sondern auf den Zugang.
Hinweis für die Praxis:
Die strengen Fristen im Zusammenhang mit § 91 SGB IX sind bekannt und jede Fristversäumnis geht zu Lasten des Arbeitgebers. Man sollte daher mit dem Integrationsamt und dem zuständigen Sachbearbeiter bereits ab Antragseingang Kontakt aufnehmen und sich über den Fortgang der Angelegenheit ständig informieren. Kündigungsschreiben sind bereits für den Fall der Zustimmungserteilung bzw. des Eintritts der Zustimmungsfiktion rechtzeitig vorzubereiten, damit unverzüglich am ersten Folgetag gekündigt werden kann. Gleiches gilt für die Betriebsratsanhörung. Nur so können Unsicherheiten bei der Fristenüberwachung und der Zustellung der Kündigung vermieden werden. Es gilt also die dringende Empfehlung: Am ersten Arbeitstag nach Ablauf der Fristen muss die Kündigung nachweisbar zugestellt werden. Arbeitstage sind dabei nach dem BGB auch Samstage! Bis zu einer gegenteiligen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sollte man sich hier auf keinerlei Ausnahmen einlassen und auch anderslautende Belehrungen der zuständigen Integrationsämter nicht beachten.
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