Die Sitzungen des Betriebsrats finden in der Regel während der Arbeitszeit statt. Allerdings muss der Betriebsrat bei der Ansetzung von Betriebsratssitzungen auf betriebliche Notwendigkeiten Rücksicht nehmen, § 30 BetrVG. Das Landesarbeitsgericht Berlin Brandenburg hat sich in einem aktuellen Beschluss mit der Frage befasst, ob dem Arbeitgeber zu dieser Verpflichtung des Betriebsrats ein korrespondierender allgemeiner Unterlassungsanspruch zusteht (LAG Berlin Brandenburg, Urteil 18.03.2010, 2 TaBV 2694/09).
Der Fall:
Der Arbeitgeber betreibt eine Seniorenresidenz und beschäftigt im fraglichen Betrieb ca. 65 Arbeitnehmer; der aus fünf Personen gebildete Betriebsrat hält seine Sitzungen regelmäßig jede zweite Woche in voller Länge in einer Schicht von 07.00 Uhr bis 15.18 Uhr ab.
Der Arbeitgeberin sieht hierin eine Verletzung der Pflicht des Betriebsrats, bei der Anberaumung von Sitzungen auf betriebliche Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen. In dieser Zeit findet die Grundpflege der Bewohner statt, mithin die zentrale Tätigkeit des Arbeitgebers. Ersatzkräfte für diese Zeit seien kostenintensiv und wiesen nicht die gleiche Qualifikation wie die dann abwesenden Betriebsratsmitglieder auf.
Der Arbeitgeber hat daher beantragt, den Betriebsrat zu verpflichten, seine Sitzungen nicht vor 11.30 Uhr zu beginnen.
Der Betriebsrat ist der Auffassung, die ganztägigen Sitzungen alle zwei Wochen seien erforderlich und auch effektiv.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Arbeitgebers zurückgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.
I. Rücksichtnahmepflicht
Der Betriebsrat hat gem. § 30 S. 2 BetrVG bei der Ansetzung von Betriebsratssitzungen auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen. Dem Betriebsrat steht das so genannte Primat der zeitlichen Festlegung der Betriebsratssitzungen zu. Dabei sind „betriebliche Notwendigkeiten“ im Sinne des § 30 S. 2 BetrVG solche Gründe, die zwingend Vorrang vor dem Interesse des Betriebsrats auf Abhaltung der Betriebsratssitzungen zu dem von ihm vorgesehenen Zeitpunkt haben. Dies entspricht der herrschenden Meinung in der betriebsverfassungsrechtlichen Literatur.
II. Kein Unterlassungsanspruch
Nicht jeder Rechtspflicht, die die Betriebsparteien aus dem Betriebsverfassungsgesetz trifft, ist ein „Unterlassungsanspruch“ der Gestalt zugeordnet, dass die jeweilige Gegenseite einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch geltend machen könnte. Das Bundesarbeitsgericht hat bislang einen allgemeinen Unterlassungsanspruch bei drohenden Verstößen des Arbeitgebers gegen Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG anerkannt. Unterlassungsansprüche für die Beteiligungsrechte aus § 99 BetrVG wurden jedoch abgelehnt. Hier gelten die besonderen Regelungen der §§ 99 ff. BetrVG.
Hieraus folgt, dass nicht jeder sich aus dem BetrVG ergebenden Pflicht ein gesonderter Unterlassungsanspruch zuzuordnen ist. Die Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten ist vielmehr im Grundsatz in der Norm des § 23 Abs. 3 BetrVG geregelt. Hierbei handelt es sich um die Grundnorm zu betriebsverfassungswidrigem Verhalten einer der Betriebsparteien. Dort sind zugleich die jeweiligen Sanktionen normiert, die bei betriebsverfassungswidrigem Verhalten eintreten können.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sonstige Pflichtenkreise im Betriebsverfassungsgesetz auch nicht etwa in gleicher Weise fixiert sind wie ein normiertes Mitbestimmungsrecht. Dies zeigt sich auch im Bereich des § 30 S. 2 BetrVG. Die dort vom Betriebsrat geforderte Rücksichtnahmepflicht ist nur rahmenmäßig umschrieben und muss – bezogen auf den Einzelfall – konkretisiert und konturiert werden. Die hieraus resultierenden Pflichten können in dem ein oder anderen Betrieb, in der ein oder anderen konkreten Einzelsituation variieren. Das Ergebnis der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Interessenabwägung kann je nach dem Einzelfall unterschiedlich ausfallen. Fixe Grenzen und Konturen existieren nicht.
Hinweis für die Praxis:
Im Rahmen des § 30 S. 2 BetrVG ist der Arbeitgeber damit auf einen konkreten „Feststellungsantrag“ verwiesen, der dann seinerseits Grundlage einer späteren Feststellung eines groben Verstoßes im Sinne von § 23 Abs. 3 BetrVG sein könnte. Auch ist es dem Arbeitgeber möglich, in Einzelfällen, und zwar durchaus auch im Wege einer einstweiligen Verfügung, eine Verschiebung einer konkreten Sitzung begehren zu können. Das Recht, „global“ auf die zeitliche Lage der regelmäßigen Betriebsratssitzungen einwirken zu können, steht ihm aus der Vorschrift des § 30 S. 2 BetrVG hingegen nicht zu.
Fazit:
Die Rechtsprechung bejaht zwar die Rücksichtnahmepflicht des Betriebsrats, stellt aber hohe Anforderungen. Betriebsratssitzungen finden nach dem BetrVG während der Arbeitszeit statt. Hieraus folgt zugleich, dass der Arbeitgeber die mit Sitzungen während der Arbeitszeit verbundenen Nachteile grundsätzlich hinnehmen muss. Diese Konstellation betrifft alle Betriebe, in denen Betriebsräte gebildet sind. Der notwendige Einsatz von Ersatzkräften und auch höhere Kosten sind nicht geeignet, auf eine Verlegung der Betriebsratssitzungen hinwirken zu können. Es müssen vielmehr Besonderheiten vorliegen, die vom Arbeitgeber in vollem Umfange bewiesen werden können. Eine generelle Verlegungspflicht des Betriebsrats wird in der Rechtsprechung abgelehnt.
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