Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteilen vom 22. September 2009 den Kreis der Freiberufler im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung deutlich erweitert.
1. Urteil vom 22.09.2009, VIII R 31/07 – Diplom-Ingenieur (Studienrichtung technische Informatik) Netz- oder Systemadministrator als freier Beruf
Ingenieur im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ist, wer über die erforderliche Berufsqualifikation verfügt und eine Ingenieurtätigkeit auch tatsächlich ausübt.
- Über die persönliche Qualifikation als Ingenieur verfügt derjenige, der wegen der Prägung des Berufsbildes des Ingenieurs durch die Ingenieurgesetze der Länder aufgrund seiner Ausbildung an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule oder eines Betriebsführerlehrganges an einer Bergschule befugt ist, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Dem steht das Studium an einer staatlichen Berufsakademie gleich, wenn sein Abschluss zur Führung der Berufsbezeichnung Ingenieur berechtigt.
- Eine Tätigkeit als Ingenieur zeichnet sich dadurch aus, dass sie durch die Wahrnehmung von für den Ingenieurberuf typischen Aufgaben geprägt wird.
- Auf dem Gebiet der EDV und der Informationstechnik gehören zu den Tätigkeiten von Ingenieuren neben der Entwicklung und Konstruktion von Hard- und Software die auch die Entwicklung von Betriebssystemen und ihre Anpassung an die Bedürfnisse des Kunden, die rechnergestützte Steuerung, Überwachung und Optimierung industrieller Abläufe, den Aufbau, die Betreuung und Verwaltung von Firmennetzwerken und -servern, die Anpassung vorhandener Systeme an spezielle Produktionsbedingungen und Organisationsstrukturen sowie die Bereitstellung qualifizierter Dienstleistungen, wie etwa Benutzerservice und Schulung. Informatik-Ingenieure arbeiten u.a. auch in der Netz- und Systemadministration, sie beurteilen die Leistungsfähigkeit von Rechnernetzen oder bewerten die Energieeffizienz bestehender Systeme.
2. Urteil vom 22.09.2009, VIII R 63/06 – Autodidakt Softwareentwicklung , Softwareimplementierung und -anpassung als freier Beruf
Eine freiberufliche Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG übt auch aus, wer einem dem Ingenieurberuf ähnlichen Beruf nachgeht. Der ähnliche Beruf muss dem Beruf des Ingenieurs sowohl hinsichtlich der erforderlichen Berufsausbildung als auch hinsichtlich der tatsächlich entfalteten Tätigkeit im Wesentlichen gleichen.
- Nach den Feststellungen des FG verfügte der Kläger als Autodidakt über Kenntnisse und Fähigkeiten, die in Breite und Tiefe denen eines Diplom-Informatikers entsprachen. Er erfüllte damit die in der Rechtsprechung konkretisierten Anforderungen an eine vergleichbare Berufsausbildung.
- Der Kläger war im Streitfall auch wie ein Ingenieur tätig, denn er ist in einem wesentlichen Betätigungsfeld von Informatikern, nämlich dem der Entwicklung, Implementierung und Betreuung von Software, berufstätig gewesen. Neben Softwareentwicklungstätigkeit hat er die zusätzlich nicht von ihm entwickelte Software den örtlichen Gegebenheiten angepasst. Die Tätigkeit sei nach Auffassung des BFH der eines Ingenieurs vergleichbar, der ein technisches Werk zunächst konstruiert und das entwickelte Produkt später bei verschiedenen Kunden betriebsfertig installiert.
3. Urteil vom 22.09.2009, VIII R 79/06 –Autodidakt als IT-Projektleiter als freier Beruf
- Nach den Feststellungen des FG verfügte der Kläger als Autodidakt über Kenntnisse und Fähigkeiten, die in Breite und Tiefe denen eines Diplom-Informatikers entsprachen. Er erfüllte damit die in der Rechtsprechung konkretisierten Anforderungen an eine vergleichbare Berufsausbildung.
- Der Kläger war auf einem typischen Betätigungsfeld von Informatik-Ingenieuren, nämlich der IT-Projektleitungberufstätig. Bei den vom Kläger betreuten Projekten handelte es sich um hoch komplexe Datenverarbeitungsprojekte. Dabei ging es in erster Linie um die technische Realisierung der Vorhaben. Der Kläger hatte die technische Oberleitung der Arbeiten und die Verantwortung für die technische Realisierung. Diese Aufgabe konnte nur einer Person anvertraut werden, die über besonders fundierte Fachkenntnisse und ein entsprechendes Fachwissen im Bereich der EDV verfügte. Der Kläger ist damit wie ein projektleitender Ingenieur tätig geworden.
- Dass die vom Kläger geleiteten Projekte wegen ihres Umfangs und aufgrund ihrer Schwierigkeit von einem Team bearbeitet wurden, ist unschädlich. Freiberufliche Leistungen können grundsätzlich im Wege der Teamarbeit erbracht werden. Die Anerkennung freiberuflicher Teamarbeit setzt voraus, dass der – eigenverantwortlich und leitend i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG tätige – Projektverantwortliche neben Fachkenntnissen über weitere Fähigkeiten verfügt, die nicht auf fachlichem oder technischem Gebiet liegen. Dass von einem IT-Projektleiter oder einem Projektingenieur zusätzlich Managementleistungen und soziale wie kommunikative Fähigkeiten verlangt werden, macht ihn nicht zum Gewerbetreibenden.
4. Hinweis
Die neue Rechtsprechung des BFH wird es vielen im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung tätigen Spezialisten ermöglichen, als Freiberufler anerkannt zu werden und damit Gewerbesteuer zu sparen (ebenso wie IHK-Beiträge). Das gilt insbesondere für qualifizierte Autodidakten.
Nachzuweisen sind immer zwei Voraussetzungen, nämlich
- die Qualifikation als Diplom-Informatiker, Ingenieur, Informatik-Ingenieur, Diplom-Ingenieur, Projektingenieur oder vergleichbar qualifizierter Autodidakt
- die tatsächlich ausgeübte Berufstätigkeit auf einem typischen Betätigungsfeld dieser Berufsgruppen (siehe dazu: Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit, abrufbar unter www.berufenet.arbeitsagentur.de, Berufe „Ingenieur – Elektrotechnik/technische Informatik“ und „Ingenieurinformatik“ und Beruf „Projektingenieur“)
Die Erfolgsaussichten von Einsprüchen und Klagen gegen durch die Finanzämter erlassene Gewerbesteuermessbescheide ist nach den jüngst veröffentlichten Entscheidungen des BFH erheblich gestiegen.
Auszeichnungen
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2022/2023)
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017-2021)
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