03.01.2010 -

 

Bei Pflichtverletzungen muss der Arbeitgeber regelmäßig vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung den Mitarbeiter abmahnen. Wurde die Abmahnung ausgesprochen, ist sie aber unwirksam, kann sich der Arbeitgeber nicht auf die vorangegangene Abmahnung berufen und die Kündigung ist schon aus diesem Grunde unwirksam. Dies gilt allerdings nicht in allen Fällen. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung klargestellt, dass der Arbeitnehmer aus einer formell unwirksamen Abmahnung nicht entnehmen kann, der Arbeitgeber billige das abgemahnte Verhalten (BAG, Urt. v. 19.2.2009 – 2 AZR 603/07). Vielmehr bleibt der Arbeitnehmer auch dann abgemahnt, wenn die Abmahnung lediglich an einem Formfehler leidet.

 

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war bei der Beklagten seit 1993 als Kundenbetreuer im Nahverkehr beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehörte der Fahrscheinverkauf im Zug. Zu diesem Zweck führte der Mitarbeiter ein so genanntes mobiles Terminal mit sich. Die Abrechnung musste der Kundenbetreuer auch bei Arbeitsverhinderung innerhalb bestimmter, in Dienstvorschriften geregelten Fristen vornehmen.

Der Mitarbeiter erhielt wegen Überschreiten der Abrechnungsfristen im März und April 2002 jeweils eine Abmahnung. In einem Rechtsstreit hat das Arbeitsgericht Hannover den Arbeitgeber rechtskräftig zur Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte verurteilt, weil der Kläger entgegen tarifvertraglichen Vorschriften nicht vorher angehört wurde.

Im Juni 2005 kam es wiederum zu einem Abrechnungsvergehen. Der Mitarbeiter wurde wegen dieses Vergehens fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung mit der Begründung bestätigt, die Pflichtverletzungen hätten einer vorhergehenden Abmahnung bedurft. Die dem Kläger im Jahre 2002 erteilten Abmahnungen könnten ihm aber nicht entgegengehalten werden, weil sie nach rechtskräftigem Urteil des Arbeitsgerichts Hannover aus der Personalakte hätten entfernt werden müssen.

 

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht Bremen zurückverwiesen.

 

I. Abmahnung und Warnfunktion

Bei verhaltensbedingten Kündigungen muss eine Pflichtverletzung sich noch in der Zukunft belastend auswirken. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzten. Die Abmahnung dient damit der Objektivierung der negativen Prognose.

Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen.

 

II. Warnfunktion bleibt auch bei formeller Unwirksamkeit erhalten

Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung bekräftigt, wonach eine wegen der fehlenden tariflichen Nichtanhörung des Arbeitnehmers formell unwirksame Abmahnung dennoch die erforderliche Mahnung beinhaltet, die vor einer verhaltensbedingten Kündigung notwendigerweise ausgesprochen werden muss. Es kommt für die Erfüllung der Warnfunktion auf die sachliche Berechtigung der Abmahnung und darauf an, ob der Arbeitnehmer aus ihr den Hinweis entnehmen kann, der Arbeitgeber erwäge für den Wiederholungsfall die Kündigung. Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist der Arbeitnehmer unabhängig von formellen Unvollkommenheiten der Abmahnung gewarnt. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach in einer unwirksamen Kündigung eine kündigungsrechtlich wirksame Abmahnung liegen kann.

Mit anderen Worten: Aus der formellen Unwirksamkeit einer Abmahnung kann der Arbeitnehmer nicht entnehmen, der Arbeitgeber billige das abgemahnte Verhalten.

 

Fazit:

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Die inhaltlich zutreffende Abmahnung behält ihre Warnfunktion auch dann, wenn der Arbeitgeber einen formalen Fehler begangen hat. Nicht nachzuvollziehen ist allerdings, weshalb das Bundesarbeitsgericht die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen hat. Die formell unwirksamen Abmahnungen lagen bereits über drei Jahre zurück. Regelmäßig verliert eine Abmahnung jedenfalls nach erheblichem Zeitablauf ihre Warnfunktion, solange der Arbeitnehmer zwischenzeitlich keine neuen Verfehlungen begangen hat. Dies war hier der Fall. Das Bundesarbeitsgericht hat sich mit diesem Einwand nicht auseinandergesetzt.

 

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