Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gilt bekanntlich nicht für Leitende Angestellte. Wer Leitender Angestellter ist, wird in § 5 Abs. 3 BetrVG definiert. Zu dem Kreis der Leitenden Angestellten gehören danach auch Prokuristen. Das Bundesarbeitsgericht hat sich nun in einem aktuellen Beschluss mit dieser Fallgruppe ausführlich befasst (BAG, Beschl. v. 25.3.2009 – 7 ABR 2/08). Die Entscheidung ist für die Praxis von besonderer Bedeutung. Die Wahrnehmung von Stabsfunktionen ist nach dem BAG nicht ausreichend. Die Prokura muss vielmehr auch im Außenverhältnis besondere Bedeutung erlangen.
Der Fall:
Die Arbeitgeberin ist eine Genossenschaftsbank mit ca. 440 Mitarbeitern. Sie streitet mit dem Betriebsrat darüber, ob der Leiter der Revisionsabteilung Leitender Angestellter ist und darüber, ob sie dessen Beschäftigung zu unterlassen hat, weil der antragstellende Betriebsrat seiner Einstellung nicht zugestimmt hat.
Die Revisionsabteilung verfügt über 6,5 Stellen sowie die Stelle eines Leiters der Revision, die im Jahre 2005 neu geschaffen wurde. Die Arbeitgeberin schloss im August 2005 einen Arbeitsvertrag dessen § 1 u.a. lautet:
„(1) Der Mitarbeiter wird als Leiter Gesamtrevision mit Wirkung vom 1. Januar 2006 angestellt. Er ist Leitender Angestellter der Bank. …
(2) Der Mitarbeiter ist dem Vorstand unmittelbar unterstellt und berichtet direkt. Er ist weisungsbefugt gegenüber den Mitarbeitern seiner Abteilung und berechtigt, sie nach vorheriger Abstimmung mit dem Vorstand einzustellen und zu entlassen.
(3) Die dem Mitarbeiter übertragene Stellung ist mit Handlungsvollmacht im Sinne des § 54 HGB ausgestattet. Innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach Eintritt in das Unternehmen wird ein Mitarbeiter zum Prokuristen der Bank bestellt. Er ist dann zur Vertretung der Bank zusammen mit einem Vorstand oder einem anderen Prokuristen oder einen Handlungsbevollmächtigten berechtigt.
(4) Der Mitarbeiter nimmt an Sitzungen der erweiterten Geschäftsleitung teil.“
Die Arbeitgeberin unterrichtete den Betriebsrat von der beabsichtigten Einstellung unter Bezugnahme auf § 105 BetrVG. Das Zustimmungsverfahren nach § 99 BetrVG wurde nicht durchgeführt. Der Betriebsrat widersprach der Einstellung. Zum 1. Januar wurde der Leiter der Revisionsabteilung wie vorgesehen tätig. Die Arbeitgeberin erteilte ihm Prokura.
Der Mitarbeiter ist Mitglied der so genannten erweiterten Geschäftsleitung. Diese besteht aus vier Vorstandsmitgliedern und acht weiteren Mitarbeitern, darunter ein Prokurist und drei Bankdirektoren.
Der Betriebsrat hat im Januar 2006 geltend gemacht, die Arbeitgeberin habe sein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG bei der Einstellung des Mitarbeiters missachtet. Die Einstellung habe nur mit seiner Zustimmung erfolgen dürfen. Der Mitarbeiter sei kein Leitender Angestellter. Deshalb habe die Beschäftigung des Arbeitnehmers zu unterbleiben.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Antrag zurückgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
I. Leitende Angestellte und Betriebsrat
Der Betriebsrat ist bei personellen Maßnahmen nach § 99 BetrVG zu beteiligen und hat seine Zustimmung zu erteilen. Wird das Mitbestimmungsrecht missachtet, hat der Betriebsrat nach § 101 BetrVG die Möglichkeit, dem Arbeitgeber gerichtlich aufgeben zu lassen, die personelle Maßnahme aufzuheben. Zusätzlich kann das Arbeitsgericht für jeden Tag der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von maximal 250,00 € verhängen. Die Missachtung des Mitbestimmungsrechts hat damit für den Arbeitgeber gravierende Folgen und kann im Einzelfall dazu führen, einen bereits eingestellten Mitarbeiter wieder „entlassen“ zu müssen.
Das Mitbestimmungsverfahren nach §§ 99 ff. BetrVG findet aber keine Anwendung auf Leitende Angestellte. Dies folgt aus § 5 Abs. 3 BetrVG. Die Einstellung von Leitenden Angestellten wird dem Betriebsrat lediglich im Rahmen von § 105 BetrVG informatorisch mitgeteilt. Hierüber streiten die Beteiligten.
II. Begriff des Leitenden Angestellten
Der betriebsverfassungsrechtliche Begriff des Leitenden Angestellten wird in § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG näher umschrieben. Die Bestimmung weist drei Tatbestandsgruppen auf, wobei es für die Zuordnung zum Kreis der Leitenden Angestellten genügt, dass der Arbeitnehmer unter eine dieser Gruppen fällt:
(1) Berechtigung zur Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern,
(2) Generalvollmacht oder Prokura,
(3) Eigenverantwortliche Wahrnehmung unternehmerischer Aufgaben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG soll nur der Angestellte ein Leitender sein, der wegen der Bedeutung seiner Aufgaben dem Unternehmer nahe steht. Wer also Angestellter mit wesentlichen Unternehmerfunktionen ist, erfüllt die Grundvoraussetzungen des § 5 Abs. 3 BetrVG. Dabei genügt es jedoch nicht, dass diesem Angestellten die in den Nummern 1 – 3 genannten Aufgaben lediglich pro forma zugewiesen sind. Er muss sie auch tatsächlich ausüben, denn Leitender Angestellter ist nach dem Gesetzestext nur, wer nach „Arbeitsvertrag und Stellung“ im Unternehmen und Betrieb eine der unter Nummern 1 – 3 fallenden Aufgaben wahrnimmt.
III. Titularprokuristen
Der Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG legt nahe, dass die bloße Prokuraerteilung bereits ausreichend ist, um einen Mitarbeiter in den Kreis der Leitenden Angestellten zu heben. Die Rechtsprechung hat jedoch schon seit langem weitere Beschränkungen entwickelt. Die Prokuraerteilung als solche ist nicht ausreichend. Vielmehr müssen mit der Prokuraerteilung Führungsaufgaben verbunden sein, die regelmäßig einem Prokuristen aufgrund der mit der Prokura verbundenen gesetzlichen Vertretungsmacht (§ 49 HGB) vorbehalten sind. Ferner fallen unter die Tatbestandsgruppe des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG nur solche Prokuristen, die nach der Dienststellung und dem Dienstvertrag dazu befugt sind, die mit einer Prokura im Außenverhältnis verbundene Vertretungsmacht auch im Innenverhältnis uneingeschränkt auszuüben. Damit sind die so genannten Titularprokuristen aus dem Kreis der Leitenden Angestellten ausgenommen. Es handelt sich hierbei um Prokuristen, die aufgrund ausdrücklicher Vereinbarung oder Weisung des Arbeitgebers von der Prokura keinen Gebrauch machen dürfen bzw. erheblich beschränkt sind.
IV. Prokurist mit bloßen Stabsfunktionen
Im vorliegenden Fall hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung fortentwickelt. Als Leitender Angestellter muss ein Prokurist unternehmerische Führungsaufgaben wahrnehmen. Damit dürfen sich die dem Prokuristen obliegenden unternehmerischen Führungsaufgaben nicht in der Wahrnehmung so genannter Stabsfunktionen erschöpfen. In einer Stabsfunktion erfüllt der Leitende Angestellte eine unternehmerische bedeutsame Aufgaben dadurch, dass er planend und beratend tätig wird und Kraft seines besonderen Sachverstandes unternehmerische Entscheidungen auf eine Weise vorbereitet, die es der eigentlichen Unternehmensführung nicht mehr gestattet, an seinen Vorschlägen vorbeizugehen.
Aber: Der unternehmerische Einfluss von Angestellten in Stabsfunktionen ist auf das Innenverhältnis zum Unternehmer beschränkt. Sie üben keine Aufgaben aus, die regelmäßig einem Prokuristen Kraft gesetzlicher Vertretungsmacht (§ 49 HGB) vorbehalten sind. Mit anderen Worten: Für ihre Aufgaben hat die Prokura – ebenso wie bei Titularprokuristen – keine sachliche Bedeutung. Das schließt es aus, sie als Leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG anzuerkennen. Angestellte in Stabsfunktionen sind daher den Leitenden Angestellten nicht schon wegen ihrer Prokura zugeordnet.
Im vorliegenden Fall lagen dem Tätigkeitsbereich des Leiters der Revisionsabteilung rein betriebsinterne Aufgabenstellungen ohne unmittelbare Außenwirkung zugrunde. Die dem Arbeitnehmer übertragene Leitung der Revisionsabteilung ist keine Aufgabe, die regelmäßig einem Prokuristen Kraft gesetzlicher Vertretungsmacht vorbehalten ist. Für diese Tätigkeit hat die Prokura keine sachliche Bedeutung. Das Bundesarbeitsgericht hat daher die Zuordnung zum Kreis der Leitenden Angestellten wegen der Prokuraerteilung abgelehnt.
Hinweis für die Praxis:
Der Rechtsstreit wurde dennoch nicht abschließend entschieden, sondern zur Neuverhandlung an das Landesarbeitsgericht in die 2. Instanz zurückverwiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat nämlich deutlich darauf hingewiesen, dass der Leiter der Revisionsabteilung durchaus Leitender Angestellter sein kann, dann aber wegen der Tatbestandsgruppe des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG, also wegen der eigenverantwortlichen Wahrnehmung unternehmerischer Aufgaben. Mit dieser Tatbestandsgruppe hatten sich die Vorinstanzen nicht befasst, so dass der Rechtsstreit dort noch weiter im Sachverhalt aufzuklären war.
Fazit:
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts macht deutlich, dass die bloße Prokuraerteilung für die Zuordnung eines Mitarbeiters zum Kreis der Leitenden Angestellten nicht ausreichend ist. Dies gilt nicht nur für Titularprokuristen, sondern auch für Leitende Angestellte mit Stabsfunktionen. Die Prokuraerteilung ist damit für die Praxis in vielen Fällen kein taugliches Mittel, um einen Mitarbeiter aus dem Anwendungsbereich des BetrVG herauszunehmen. Erst recht ist es nicht ausreichend, den Status eines Leitenden Angestellten im Arbeitsvertrag zu vereinbaren. Dies ist für die rechtliche Beurteilung irrelevant.
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