Zum 1. Juli 2001 ist das Sozialgesetzbuch – 9. Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen in Kraft getreten (Bundesgesetzblatt I, S. 1046). In diesem neuen Sozialgesetzbuch IX werden nahezu sämtliche Vorschriften des deutschen Rechts, die sich mit dem Ausgleich von Nachteilen behinderter Menschen befassen, zusammengefasst. Das bislang im Schwerbehindertengesetz (SchwbG) geregelte Schwerbehindertenrecht ist insgesamt in die §§ 68 ff. SGB IX überführt und mit Wirkung zum 1. Juli 2001 aufgehoben worden.
Ab dem 1. Juli 2001 ist deshalb in allen Betrieben das neue SGB IX für die Beschäftigung von Behinderten anzuwenden. Nachfolgend wollen wir die wichtigsten Neuregelungen im Überblick darstellen:
Der neue Behindertenbegriff
In § 2 SGB IX befindet sich die sprachliche Neufassung des Behindertenbegriffs. Aus den Behinderten bzw. Schwerbehinderten wird nun der behinderte bzw. schwerbehinderte Mensch. Als unterstützungsbedürftige Gruppe werden zusätzlich in § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX die von Behinderung Bedrohten eingeführt. Diese von Behinderung bedrohten Menschen sollen Leistungen nach dem SGB IX und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen erhalten. Sie sind jedoch in den Geltungsbereich der arbeitsrechtlichen Regelungen nicht einbezogen.
Die begriffliche Abgrenzung der Schwerbehinderten von den behinderten Menschen erfolgt nach bisherigen Prinzipien (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Auch künftig beginnt die Schwerbehinderung erst bei einem Grad der Behinderung von 50. Die Möglichkeit der Gleichstellung wurde ebenfalls beibehalten.
Benachteiligungsverbot mit Entschädigungsanspruch
Neu eingeführt wurde ein Benachteiligungsverbot für Behinderte mit Entschädigungsanspruch, das dem § 611 a Bürgerliches Gesetzbuch nachgebildet wurde (§ 81 Abs. 2 Ziffer 1 bis 5 SGB IX). Dieses Benachteiligungsverbot findet sowohl in dem bereits bestehenden Arbeitsverhältnis als auch bei dessen Begründung Anwendung.
Klagerecht der Verbände
In § 63 SGB IX findet sich ein Klagerecht der Verbände in Form einer gesetzlichen Prozessstandschaft. Verbände, die auf Bundes- oder Landesebene behinderte Menschen vertreten, können gegen die Verletzung von Rechten behinderter Menschen damit nach dem SGB IX klagen. Behinderte Menschen, die nicht selbst prozessieren wollen oder das Prozessrisiko scheuen, können deshalb ihren Behindertenverband zur Klageerhebung bevollmächtigen.
Schwerbehindertenvertretung
Das SGB IX enthält nunmehr in § 95 Abs. 2 eine Erweiterung der Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung bei der Besetzung freier Arbeitsplätze durch Rechte zur Teilnahme an Vorstellungsgesprächen und auf Einsicht der Bewerbungsunterlagen.
Integrationsämter, bisher Hauptfürsorgestellen
Die bislang nach dem SchwbG insbesondere für den Kündigungsschutz zuständige Hauptfürsorgestelle nennt sich künftig Integrationsamt. Die Umbenennung soll verdeutlichen, dass nicht Fürsorge, sondern Eingliederung Ziel des Gesetzes ist. Die Aufgaben des Integrationsamtes finden sich im Einzelnen in § 102 SGB IX niedergelegt.
Keine Änderungen im Sonderkündigungsschutz
An dem Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte, der nun in den §§ 85 ff. SGB IX (bisher §§ 15 ff. SchwbG) geregelt ist, hat sich inhaltlich nichts geändert, so dass auf die bisherige Rechtsprechung und Literatur ohne Einschränkung zurückgegriffen werden kann.
Auch nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (bisher Hauptfürsorgestelle).
Die Zustimmung zur Kündigung ist nach § 87 Abs. 1 SGB IX bei dem für den Sitz des Betriebes oder der Dienststelle zuständigen Integrationsamt schriftlich zu beantragen. Das Integrationsamt soll nach § 88 Abs. 1 SGB IX die Entscheidung, falls erforderlich aufgrund mündlicher Verhandlung, innerhalb eines Monats vom Tage des Eingangs des Antrages an treffen. Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung, kann der Arbeitgeber die Kündigung nach § 88 Abs. 3 SGB IX nur innerhalb eines Monats nach Zustellung erklären. Widerspruch und Anfechtungsklage haben gem. § 88 Abs. 4 SGB IX keine aufschiebende Wirkung.
Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung richtet sich nach § 91 SGB IX. Sie kann nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden (Ausschlussfrist nach Abs. 2). Das Integrationsamt trifft gem. § 91 Abs. 3 SGB IX die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tage des Eingangs des Antrages an. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt. Nach § 91 Abs. 4 SGB IX soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Die Kündigung kann gem. § 91 Abs. 5 SGB IX auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 1 S. 2 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird.
Hinweis:
Der vollständige Wortlaut des neuen SGB IX kann im Internet auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung www.bma.de oder als Leseversion unter der Internetadresse www.bundesanzeiger.de
abgerufen werden.Verfasser: Rechtsanwalt Dr. Nicolai Besgen
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